In Bad Cannstatt geben Skater mit Herz jungen Flüchtlingskindern Skatekurse for free - und ganz nebenbei entwickeln sich Freundschaften, Zuversicht und neue Perspektiven für die Kleinen.

Stadtkind: Tanja Simoncev (tan)

Stuttgart - In Zeiten von Fremdenhass, Furcht und Flüchtlingsdebatte, zeigt sich ganz in unserer Mitte Nächstenliebe von ihrer schönsten Seite – und zwar jeden Donnerstag in der Boost-Skatehalle in Bad Cannstatt. Dort geben Skater mit Herz Flüchtlingskindern nicht nur Skatekurse for free, sondern vor allem auch wieder eine Perspektive. Ehrensache für die Mitwirkenden.

 

„Wir wussten nur, wir wollen den Kids etwas bieten, wo sie ihre Energie rauslassen können und gehen das alles ganz entspannt an“, erklärt Ralf Knecht, Inhaber der TheStep-Skateschule. Mit der Idee, Flüchtlingskindern zu helfen, habe man schon seit letztem Jahr gespielt, so der 44-Jährige, umgesetzt wurde das Ganze aber erst im Juli 2015. „Klar, hätte ich gern schon während der Boost-Vereins-Zeiten etwas auf die Beine gestellt, aber weil wir Probleme mit der Stromrechnung hatten, hat eben alles ein bisschen länger gedauert.“ Vom Gedanken abbringen lassen habe man sich trotzdem nie. „Für uns war einfach klar, wir werden etwas tun. Ich habe dann mit Tommy, einem der Skater, gequatscht und die kostenlosen Kurse ins Leben gerufen.“ Natürlich ging das nicht von heute auf morgen, am Anfang habe noch Hardware gefehlt, Boards mussten besorgt werden – und so kam Sven Gräschke mit ins Spiel.

Valerio aus Bosnien ist ein Naturtalent

Der 26-Jährige zeigte sich sofort sehr engagiert, denn er wollte etwas tun und nicht nur meckernd Zuhause herumsitzen. Also leitete er über den Skateshop Blue Tomato diverse Aktionen in die Wege, um das Vorhaben „Skatekurse for free“ zu unterstützen. „Natürlich musste ich das alles erst einmal im Laden abklären. Können wir da überhaupt was machen? Wird es schwierig, sich politisch zu positionieren?“ Doch die Sorgen des Skaters waren unbegründet. „Es gab überhaupt keine Probleme, ganz im Gegenteil. Die Resonanz der Leute war super und der Shop wurde zum Sammelpunkt für Spenden.“ Viele Pakete habe er bekommen, aus Frankfurt, mit Schuhen und auch bei der Alt-gegen-Neu-Tauschaktion zeigten sich die Menschen in Geberlaune. „Es gab viele, die einfach gesagt haben: Nimm, ich habe eh genug und ein paar Boards übrig“, erinnert sich auch Knecht.

Die Boards waren damit besorgt, nun ging es an die Stunden mit den Kids. Einer stach dabei sofort heraus. Valerio aus Bosnien, 11 Jahre alt. „Er ist ein ganz verrückter Skater geworden und ein extremes Naturtalent. Nach nur einer halben Stunde konnte er schon einen Olli, nach ein paar Kursen bereits super Tricks. Da ist bei uns allen erst einmal die Kinnlade runtergeklappt.“ Klar, würden sich die Kinder auch verletzen, aber das sei ihnen egal, weil sie hier frei sein dürften und einfach Spaß hätten. Valerio verbringt mittlerweile jede freie Minute damit, Tricks zu üben. Der Kickflip muss sitzen, auch wenn es bis in die Nacht hinein dauert. Der kleine Wildfang rollt im Boost mit seinen Besten und hat großen Spaß dabei: „Das ist mein Sport und es ist cool, was die hier machen. Ich habe viele neue Freunde gefunden“, so der 11-Jährige. Und auch seine 13-jährige Schwester Valeria betont: „Skateboarding ist für mich sehr wichtig geworden.“

Gräschke übernimmt manchmal die Vaterrolle

Damit sprechen die beiden einen für Gräschke sehr wichtigen Punkt an. „Wir haben zu den Kindern mittlerweile eine wichtige Beziehung aufgebaut, schreiben täglich über Facebook miteinander oder sie rufen mich an. Manchmal hängen wir auch mit den Familien ab und trinken gemeinsam Kaffee. Und wenn dann was passiert, nimmt dich das echt mit, zum Beispiel wenn Kinder abgeschoben werden. Das ist für mich jedes Mal ganz furchtbar.“ Für ihn sei es einfach sehr schwierig, sich damit abzufinden. „Du selbst kannst ja nichts machen und sagen: Ne, ihr könnt unsere Freunde nicht abschieben. Sie sind bei uns voll integriert, wir brauchen sie und da besteht eine Beziehung. Das interessiert einfach niemanden und das ist halt das Schlimme an der ganzen Sache.“

Gräschke ist einer der auffällt, hat bunte Haare, viele Piercings. Und auch, wenn da am Anfang viel Skepsis ist, wird er akzeptiert, übernimmt bei Kindern, die nur ein Elternteil haben, oft die Vaterrolle. „Wir kümmern uns dann auch darum, dass die Kids zur Schule gehen“, so der 26-Jährige. Außerdem gibt es während der Kurse die Regel: Gestritten, geschlagen und geschimpft wird nicht, wer das macht, muss gehen. Und man wolle noch mehr tun, betont Knecht. „Wir machen das Ganze gerne ehrenamtlich und haben unseren Spaß dabei. Aber unbegrenzt können wir so nicht weitermachen. Weil wir aber vorhaben, das Angebot zu erweitern – sobald die neue Halle steht, das heißt so im Frühsommer nächsten Jahres – werden wir uns mit dem Jugendamt oder anderen Trägern zusammentun, um ein finanzielles Polster zu schaffen. Dann können wir auch einfach noch mehr tun und irgendwann zwei bis drei Stunden pro Woche geben – das ist unser Ziel.“

Hier sind Menschen am Werk, die helfen wollen – das ist offensichtlich. Sie schaffen für Kinder einen Ort der Geborgenheit und Freude und lassen Fremdenhass und Flüchtlingsdebatten ganz nebensächlich erscheinen. Gräschke fasst es selbst so zusammen: „Für mich gibt es nicht den Türken, den Russen, den Deutschen, für mich gibt es hier die Kinder und draußen die Menschen. Und es gibt Menschen, die Arschlöcher sind und Menschen, die okay sind.“ Damit wäre dann wohl alles gesagt.