Kurzarbeit ist im öffentlichen Dienst bisher weitgehend unbekannt – die Coronakrise ändert die Lage. Verdi, der Beamtenbund und die kommunalen Arbeitgeber vereinbaren daher Aufstockungsleistungen auf das Kurzarbeitergeld, höher als in jedem anderen Flächentarifvertrag.
Stuttgart - Im Rekordtempo – verglichen mit den üblichen Tarifrunden – haben die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) sowie die Gewerkschaften Verdi und Deutscher Beamtenbund (DBB) einen sogenannten Covid-19-Tarifvertrag zur Regelung der Kurzarbeit für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes verabredet. Am Montagabend einigten sich die Spitzenvertreter auf ein Eckpunktepapier, das am Dienstag intern bekannt und am Mittwoch veröffentlicht wurde.
Kurzarbeit war im öffentlichen Dienst bisher nicht notwendig und ist auch nicht in den Tarifverträgen geregelt – insofern handelt es sich um eine Premiere. „Es geht darum, einerseits den Belastungen der Kommunen zum Beispiel durch Schließung von Bädern oder Museen Rechnung zu tragen und andererseits betroffene Beschäftigte im öffentlichen Dienst abzusichern“, sagte Verdi-Chef Frank Werneke. „Dieser Abschluss setzt auch für andere Bereiche der Wirtschaft und des öffentlichen Lebens Maßstäbe.“
Beschäftigte nun „umfassend abgesichert“
Für die weitaus meisten Bereiche des öffentlichen Dienstes sei Kurzarbeit überhaupt kein Thema. Das gelte etwa in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, in der Kinderbetreuung, in sozialen Diensten, in Jobcentern, bei der Bundesagentur für Arbeit oder in der Verwaltung. Bei den so genannten eigenwirtschaftlichen Betrieben, beispielsweise Theatern, Museen oder im Nahverkehr, könne jedoch Kurzarbeit zur Anwendung kommen. „Für diesen Fall sind die Beschäftigten umfassend abgesichert“, unterstrich der Vorsitzende.
Eine Aufzahlung auf 100 Prozent des Nettoentgelts gibt es bisher in keinem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes. In der Corona-Krise kommen die Tarifparteien den 100 Prozent mit der höchsten Zuzahlung eines Flächentarifvertrags aber sehr nahe – ein starkes Signal des guten Willens an die Beschäftigten, aber auch an alle anderen Branchen wie den Handel, wo noch um eine Aufstockung gestritten wird.
Zuzahlung auf 95 Prozent für das Gros der Beschäftigten
Demnach gibt es bis zur Entgeltgruppe (EG) zehn eine Zuzahlung auf 95 Prozent des pauschalierten Nettoentgelts – wer darüber eingestuft ist, erhält immerhin noch bis zu 90 Prozent. In den Entgeltgruppen neun und zehn sind beispielsweise die Beschäftigten von Bürgerbüros oder Sachbearbeiter mit zweiter Verwaltungsprüfung angesiedelt. Verdi zufolge hat die Entgeltgruppe zehn eine Spanne von 3380 Euro in der ersten Stufe bis zu 4795 Euro in Stufe sechs. Dort ist auch ein Großteil der Verdi-Mitglieder versammelt. Die „Kerntruppen“ wie die nicht künstlerischen Beschäftigten in den Theatern sind dort oder darunter eingestuft, wenn man von Leitungstätigkeiten absieht.
Vereinbart wurde, dass keine Kurzarbeit ohne Beteiligung der Betriebs- und Personalräte erfolgen darf. Erfasst sind alle Mitglieder der VKA, auch im Tarifbereich Versorgungsbetriebe und Nahverkehr. Generell ausgenommen ist die kommunale Kernverwaltung sowie der Sozial- und Erziehungsdienst. Dort soll keine Kurzarbeit eingeführt werden, selbst wenn die Einrichtungen geschlossen sind – vor allem, um den Kontakt zu den Familien daheim nicht abbrechen zu lassen.
Laufzeit bis Ende Dezember 2020
Weitere Details des Covid-19-Tarifvertrag regeln unter anderem den Umgang mit Arbeitszeitkonten, Mehrarbeit oder bereits bestehenden Betriebsvereinbarungen zur Kurzarbeit. In den betroffenen Betrieben sind zudem betriebsbedingte Kündigungen während der Kurzarbeit und für drei Monate danach ausgeschlossen.
Der Tarifvertrag tritt an diesem 1. April in Kraft und hat eine Laufzeit bis zum 31. Dezember 2020. Die Tarifpartner haben eine relativ lange Erklärungsfrist bis zum 15. April 2020 vereinbart – vor allem auf Wunsch der Arbeitgeber, die in ihren eigenen Reihen noch Überzeugungsarbeit für den Tarifabschluss leisten müssen. Dem Vernehmen nach gibt es aufseiten der Kommunen schon jetzt großen Ärger über das Verhandlungsergebnis wegen der hohen Zuzahlungen – damit haben viele Oberbürgermeister vermutlich nicht gerechnet.