Der Platz unter der Paulinenbrücke gilt als Wohnzimmer für Obdachlose, Junkies und Substituierte. Drei Menschen aus der Szene wollen ihre Situation ändern und organisieren eigenständig eine Essensausgabe unter der Brücke – ein Filmemacher hat sie mit der Kamera begleitet.

Stuttgart - Die Lebenswelten an der Paulinenbrücke könnten unterschiedlicher nicht sein. Während die anliegenden Straßen als Poserzone gelten, auf der manche ihre getunten Autos zur Schau stellen, ist unter der Paulinenbrücke auch der Treffpunkt von Menschen in prekären Lebensumständen. Von Obdachlosen, Drogenabhängigen und Substituierten – „Menschen aus der ganzen Gesellschaft“, wie der Filmemacher Uwe Kassai die Menschen unter der Paulinenbrücke beschreibt.

 

Der Stuttgarter Filmemacher hat einen Kurzfilm über die Szene unter der Paulinenbrücke gedreht und dafür drei Protagonisten über ein dreiviertel Jahr mit der Kamera begleitet. Erzählt wird die Geschichte von Simon, Iva und Marvin, drei Substituierte, die sich nicht mehr bevormunden lassen wollen und anfangen, sich selbst zu organisieren. Das Trio gründet den sogenannten Paule-Club und organisiert eine Essensausgabe unter der Paulinenbrücke, für Menschen, die dasselbe Schicksal teilen wie sie selbst.

Simon, Iva und Marvin sammeln Essensspenden von verschiedenen Organisationen und Läden. Sie wollen zum einen den Menschen unter der Brücke helfen, die von den Drogen gezeichnet sind und sich nicht mehr selbst zu den Essensausgaben bewegen können und zum anderen auch ein Stück Freiheit über ihr Leben zurückgewinnen. „Wir sind die ganze Zeit nur der Kontrolle anderer unterworfen“, sagt Iva im Film. Durch den Paule-Club bekommen sie etwas Kontrolle zurück.

Film erzählt berührende Schicksale

Der Film „Unter der Paule“ schafft dabei Einblicke in das Leben der Menschen unter der Paulinenbrücke. Auch für den Regisseur Uwe Kassai änderte sich während der Dreharbeiten sein Blick auf die Szene an der „Paule“. „Ich bin an der Brücke bisher auch immer nur vorbeigelaufen und habe gehofft, nicht angesprochen zu werden und habe mich auch ein bisschen gegruselt“, sagt Kassai. Wenn man mit den Menschen allerdings einmal in ein Gespräch komme, würde man merken, dass die Gruppen unter der Brücke eine „ganz normale Gesellschaft“ sind, welche nur von ihrer Sucht gezeichnet sei.

Der Kurzfilm zeigt auch Momente, in denen die Protagonisten sich öffnen und einen Teil ihrer Lebensgeschichte teilen. So erzählt Simon davon, wie er zusammen mit seiner Mutter vor dem prügelnden Vater aus den USA nach Deutschland zu seinem Großvater floh. Der Großvater, ein KZ-Überlebender, setzt sich dafür ein, dass Simon nicht in ein Kinderheim kommt. Doch während seiner Jugend in Mannheim findet er keinen Anschluss und wird kriminell, viele Gefängnisaufenthalte folgen.

Paule Club als Hoffnungsschimmer

Nach der Meinung von Uwe Kassai gibt der Paule-Club den Menschen unter der Paulinenbrücke auch Hoffnung. „Bisher gibt es zu viele Organisationen, welche sich um die Menschen kümmern. Das Ganze ist viel zu kompliziert und wird auch von den riesigen Verwaltungen der Organisationen gebremst“, sagt Kassai. Wenn die Hilfe allerdings von den Menschen untereinander komme, könne den Leuten vielleicht besser geholfen werden, da diese deren Lebenswirklichkeit unter der Brücke aus eigener Erfahrung kennen.

Die Pandemie hat laut Kassai neben neuen Schwierigkeiten auch zu Verbesserungen für die Szene unter der Brücke geführt. „Ich habe das Gefühl, durch Corona schaut man mehr hin“, sagt Uwe Kassai.

Der Film „Unter der Paule“ ist im Rahmen eines Stipendiums der Heinrich-Böll-Stiftung entstanden. Die Stiftung zeigt unter dem Titel „Neue Normalität. Leben in der Pandemie“ Kurzfilme von verschiedenen Filmemachern, welche die Lebenswelt von unterschiedlichen Menschen in der Pandemie porträtieren. Der Film „Unter der Paule“ von Uwe Kassai feiert am 20. Mai um 19 Uhr seine Premiere. Die Aufführung findet online auf Zoom statt. Interessierte können sich dafür kostenlos auf der Website der Heinrich-Böll-Stiftung anmelden.