Bei ihrer Berufung wurde sie noch als „Glücksfall“ gepriesen. Nach einem halben Jahr als Präsidentin verlässt Eveline Lemke die Karlshochschule in Karlsruhe schon wieder. Mit dem fehlenden Abschluss der Ex-Ministerin, so wird versichert, habe dies nichts zu tun.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Die Presseerklärung der Karlsruher Karlshochschule las sich ein wenig wie ein Arbeitszeugnis. „Hervorragenden Einsatz“ und „stets sehr gute Leistungen“ habe Eveline Lemke (53) als Präsidentin der privaten Hochschule gezeigt; dafür danke man ihr „außerordentlich“.

 

Wenn die Ex-Ministerin der Grünen aus Rheinland-Pfalz nach einem halben Jahr „intensiver Zusammenarbeit“ nun wieder gehe, geschehe das „in gegenseitigem Einvernehmen und in bester Absicht beider Seiten“. Nach langer und offener Diskussion habe man entschieden, dass die Ansichten über das Führungskonzept und die Positionierung der Hochschule leider „nicht überbrückbar“ seien. Näheres zu den inhaltlichen Differenzen werde nicht verraten, um keine belastenden öffentlichen Diskussionen zu befeuern.

Erst vor einem halben Jahr war die Hochschule schließlich wider Willen in die Schlagzeilen geraten. Da wurde bekannt, dass die einstige Mainzer Wirtschaftsministerin und Vizeministerpräsidentin (2011 bis 2016) den Präsidenten-Posten in Karlsruhe übernehme. Nach dem 5,3-Prozent-Debakel bei der Landtagswahl hatte sie sich in die zweite Reihe zurückgezogen, nun schien sie wieder eine passende Aufgabe gefunden zu haben. „Die langen Linien meines Lebens haben mich zur Karlshochschule getragen“, schwärmte sie; wie in der Politik wolle sie dort „Agent des Wandels“ sein. Die Hochschule ihrerseits frohlockte über den Neuzugang, der perfekt zu ihrem Profil als Heimat für „Grenzgänger und Querdenker“ passe. Lemke sei „in höchstem Maße geeignet, Brücken zwischen Hochschule und Gesellschaft zu bauen“.

FDP spottet über grünes Parteibuch

Erst durch StZ-Recherchen wurde publik, dass die Hochschule für die Berufung ihre eigene Grundordnung übergehen musste. Diese nämlich verlangt für die Spitzenposition einen Hochschulabschluss, den Lemke nicht vorweisen kann: Wirtschaftswissenschaften studierte sie nur bis zum Vordiplom, später vertiefte sie ihr Wissen noch an der Fernuni Hagen. Der formale Makel sei kein Problem, entschied der Hochschulrat: Studien- und Lebensleistung Lemkes seien allemal so viel wert wie ein Abschluss; sie sei geradezu ein „Glücksfall“ für die Karlshochschule.

Deutlich weniger euphorisch klang das von der Landtags-FDP angerufene Stuttgarter Wissenschaftsministerium. Man sei „in das Wahlverfahren nicht eingebunden“ gewesen und wolle es daher nicht bewerten, konstatierte das Ressort von Theresia Bauer (Grüne). Anders als bei staatlichen Hochschulen sei ein Abschluss bei Chefs von privaten nicht unabdingbar. Die Zuschüsse an die Karlsruher Hochschule, zuletzt 400 000 Euro, flössen wie geplant weiter. Die „sehr schmallippige Antwort“ des Ministeriums sei ihm schon damals merkwürdig vorgekommen, sagt der FDP-Abgeordnete Nico Weinmann. Durch Lemkes Abgang sehe er sich nun bestätigt. „Ein grünes Parteibuch macht aus einem Menschen erwiesenermaßen kein Universalgenie“, spöttelt Weinmann.

Facebook-Einträge sind nicht mehr sichtbar

Mit der Frage des Abschlusses, versichert ein Hochschulsprecher, habe die Trennung nichts, aber auch gar nichts zu tun. Genaueres zu den Gründen mag er indes nicht sagen. Man mache sich nun auf die Suche nach einem Nachfolger und werde, sobald die Gremien entschieden hätten, die Öffentlichkeit informieren. Angestrebt werde eine „absolut tragfähige“ Lösung.

Lemke selbst kommentierte ihren Abgang in zwei Facebook-Einträgen, die inzwischen öffentlich nicht mehr sichtbar sind. Erst bedankte sie sich bei allen Kollegen in Karlsruhe für die „gute, vertrauensvolle und intensive Zeit“; ansonsten hielt sie sich eng an die offizielle Erklärung. Dann befasste sie sich mit dem Medienecho auf ihren „Blitzabsturz“. „Meine Güte! Das ist doch kein ABSTURZ“, protestierte sie; da gebe es ungleich schlimmere Schicksale. Nicht dem Titel trauere sie nach, sondern nur den „entgangenen Möglichkeiten, wirken zu können“. Der Abschied in Karlsruhe bedeute für sie aber auch einen Gewinn von Freiheit. „Ich werde von den spannenden Abenteuern in meinem Leben gefunden, ich muss sie gar nicht suchen“, philosophierte Lemke. „Und jetzt: ich ruhe mich einfach mal aus“, endete der Eintrag. „Welch schönes Privileg.“

Neu als Aufsichtsrätin bei Windkraftfirma

Seit einigen Wochen hat die Ex-Ministerin immerhin einen Nebenjob: bei der ABO Wind AG in Wiesbaden wurde sie in den Aufsichtsrat gewählt. In ihr habe man „eine profilierte und erfahrene Kämpferin für den Klimaschutz“ gewonnen, lobte der Vorstand im Juni. Auch als Präsidentin der Karlshochschule, hieß es, passe sie „ideal“ zu dem Windkraftunternehmen: Dort würden genau jene Qualifikationen vermittelt, auf die man selbst großen Wert lege.