Ausgerechnet vor der großen 80-Jahr-Feier zur Befreiung des KZ-Außenlagers Vaihingen/Enz (Kreis Ludwigsburg) haben Unbekannte eine Gedenktafel zerstört. Warum wiegt die Tat so schwer?
Französische Truppen befreiten das Konzentrationslager vor 80 Jahren. Die Soldaten trafen an jenem 7. April hinter dem Stacheldraht auf abgemagerte Häftlinge. „Hier starben geschätzt mindestens etwa 1600 Menschen – selbst nach der Befreiung starben noch mehr als 90 Menschen im Vaihinger Krankenhaus, wo sie gepflegt wurden.“ Rainer Mayer, Vorsitzender des KZ-Gedenkstättenvereins, ist gewohnt, die Kernfakten des Schreckensortes nüchtern weiterzugeben. Innerlich ist der 62-Jährige aber aufgewühlt, seitdem Unbekannte seit Februar dreimal eine Info-Tafel zerstört haben.
Wir stehen am Ende von Eisenbahnschwellen. Der Anblick erinnert an Auschwitz. Daran, dass das Leben von Millionen von Juden in Gaskammern endete. Zyklon B ist in Vaihingen nie eingesetzt worden, doch der zynische Zug, den die Auschwitz-Lagerüberschrift „Arbeit macht frei“ ausdrückte, ist auch an dieser Stelle, am Ankunftsort der Viehwaggons an der inzwischen stillgelegten WEG-Bahn, spürbar: Deportierte erwartete knochenharter Arbeitseinsatz, kaum Nahrung mit nur einem Teller Wassersuppe mittags und abends sowie Verachtung und Schläge der SS-Schergen.
Rainer Mayer erklärt, wo die Deportierten ankamen. Die zerstörte Gedenktafel ist inzwischen wieder hergerichtet. Foto: Simon Granville
Die Stadt hat wegen der Zerstörung einen runden Tisch einberufen
Die meisten Arbeiter in den siebentägigen Zwölf-Stunden-Schichten pro Woche magerten auf etwa 35 bis 40 Kilo ab, bevor sie starben. „Muselmänner, so haben sie sich fatalistisch selbst genannt“, erklärt Mayer, „ein Ausdruck, der nichts mit Muslimen zu tun hat, aber zeigt, wie unbarmherzig sie behandelt wurden, da sie bis zum Skelett abmagerten“.
Der gnadenlose Umgang mit Andersdenkenden, mit Juden oder Kriegsgefangenen – das steckt hinter dem Gedenken, das der von Rainer Mayer geführte Verein wachhalten will. Den Opfern des NS-Terrors einen würdigen Ort zu bereiten, das treibe ihn und die etwa 110 Mitglieder mit dem harten Kern von 20 Aktiven an. Dass ausgerechnet wenige Tage vor der 80-Jahr-Feier am kommenden Sonntag, 13. April, Unbekannte eine Info-Tafel zerstört haben, ärgert Rainer Mayer. „Früher hatten wir ein paar Dumme-Jungen-Streiche – jetzt aber ist die Tafel richtig aus der Verankerung gerissen und der Metalldruck zerstört worden: Da steckt eine neue Qualität hinter.“
Ob Neo-Nazis oder Holocaust-Leugner hinter der Tat stecken, damit befasse sich der Staatsschutz, erklärt Mayer, denn Vandalismus an Gedenkstätten werde fast schon automatisch an die Polizeibehörde weitergemeldet. „Die Stadtverwaltung steht hinter uns – die Tafel steht wieder, und wir haben am 16. April einen runden Tisch mit der Polizei und besprechen, wie wir den Ort besser absichern können.“
Mit Stacheldraht abgesichert war das kleine Seitental am Rande Vaihingens erstmals im Juli 1944. Der Zweite Weltkrieg bewegte sich schon auf sein Ende zu, als die Nationalsozialisten das Gelände beschlagnahmten, um dort unter dem Namen „Stoffel“ ein geheimes Rüstungsprojekt zu starten. Am Rande des Steinbruchs sollten relativ gut getarnte Montageplätze für Messerschmidt und dessen Flugzeugbau entstehen. Doch die Front näherte sich rasch und die Bombardierungen wurden stärker.
Von Oktober an diente das Lager nur noch als „Erholungs- und Krankenlager“ für Häftlinge, die aus anderen der 20 Nebenlagern des KZ Natzweiler/Elsaß wegen Seuchengefahr abgeschoben wurden. Die Nazis evakuierten aus Vaihingen 1800 noch arbeitsfähige Häftlinge an andere Einsatzorte.
Für die Insassen bedeuteten beide Zwecke des Lagers akute Lebensgefahr. „Auf Verluste brauchte die SS keine Rücksicht zu nehmen“, erinnert sich Jules Schelvis, ein holländischer Jude, der von kurzsichtigen Häftlingen berichtet , die ihre Brille verloren: „Man stürzte von schmalen Treppen oder steilen Leitern der Steinbruchwand ab.“ SS-Männer peitschten Häftlinge aus, die unter der Last der zu schleppenden Ziegelsteine zusammengebrochen waren.
Im Krankenlager herrschten katastrophale Zustände
Im Krankenlager herrschten katastrophale hygienische Zustände, insbesondere in der vom SS-Arzt Adam Dichmann angeordneten „Krepierstube“, in der Kranke, deren Gesundheitszustand sich nach zwei Wochen nicht verbessert hatte, weder einen Arzt noch Medikamente sahen und kaum noch Nahrung bekamen.
Der Weg zu einer Gedenkstätte war nach Kriegsende jedoch noch weit. Erst im Jahr 1954 wurden die Massengräber in Vaihingen exhumiert. Zum Vorschein kamen 1488 Leichen aus 13 Massengräbern. An deren Stelle wurde am 3. November 1958 ein Friedhof eingeweiht, auf dem 1267 Menschen ihre letzte Ruhestätte fanden. Zuvor hatte schon 1947 in Rastatt ein französisches Gericht zehn SS-Männer, die unter anderem in Vaihingen gedient hatten, zum Tode verurteilt.
Die Gedenkhalle steht auf dem Fundament einer alten Baracke
Nach ersten Initiativen im Jahr 1985 durch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gründete sich 1988 der Initiativkreis KZ-Gedenkstätte Vaihingen an der Enz. Aus ihm heraus entwickelte sich 1990 der jetzt aktive Trägerverein. Auch wenn die bereits 1945 aus seuchenhygienischen Gründen abgerissenen Baracken nicht mehr stehen und das Gelände wegen des Baus der Schnellbahntrasse Stuttgart-Mannheim zum Großteil aufgefüllt ist, vermittelt die Gedenkstätte ein realistisches Bild. Dazu trägt vor allem die Gedenkhalle bei, die auf den Fundamenten der ehemaligen Bade- und Entlausungsbaracke im Jahr 2005 errichtet worden war.
Anlass Die französischen Truppen befreiten das KZ-Außenlager am 7. April 1945. Eine große Gedenkfeier sollte zum 75. Jahrestag im Jahr 2020 stattfinden – sie fiel aber wegen der Corona-Maßnahmen vor fünf Jahren aus. Diese Feier wird jetzt nachgeholt.
Termin Die Gedenkfeier findet am Sonntag, 13. April, um 15 Uhr auf dem Ehrenfriedhof der KZ-Gedenkstätte in Vaihingen/Enz statt. Für Besucher geöffnet ist die ehrenamtlich geführte Gedenkstätte grundsätzlich immer sonntags von 14 bis 17 Uhr.