Die bayerische Blasmusikband La Brass Banda hat auf der Freilichtbühne Killesberg in Stuttgart ein Konzert gegeben. Sie widmet ihre Musik der kollektiven Verausgabung. Das hat allerbestens funktioniert.

Stuttgart - So geht das meistens: Ratatatatatatat. Und wenn sie nicht so freundlich wäre, käme man kaum umhin, die Hochgeschwindigkeitsmusik von La Brass Banda mit Maschinengewehrfeuer zu assoziieren. Aber sie ist ja freundlich, sehr sogar: „Voi gei“, ruft der Sänger und Trompeter Stefan Dettl nach vielen seiner rasant herausgeschleuderten Lieder, und als sich das Konzert auf der mit 4500 Zuschauern ausverkauften Freilichtbühne Killesberg seinem Ende nähert, da entfährt dem Bandchef ein ganzer Schwall an Danksagungen, an den Veranstalter, an die „Merch-Mädels“ (vulgo CD- und T-Shirt Verkäuferinnen), „Danke Nachbarn!“, ruft er auch, und beim euphorischen Publikum bedankt er sich besonders oft.

 

Das zum Training entschlossene Publikum ist in gewisser Weise ein besonders wichtiges Bandmitglied. Weil es mitmacht, weil es auf Kommando acht Schritte nach links geht, die Arme hochreißt, mit den Händen wedelt und klatscht, gelingt La Brass Banda die Vervollkommnung eines Trends, der ein bisschen eingeschlafen war, seit Jane Fonda nicht mehr ganz so agil Aerobic vorzuturnen vermochte: Musik als Triebfeder des lustvollen Workouts. Das Ziel ist die kollektive Verausgabung. Die Trophäe, die jeder sich selbst überreichen kann, ist ein komplett durchgeschwitztes T-Shirt. Und klar: das provoziert in einem Umfeld, in dem für gewöhnlich erwartet wird, dass Kunst das Hirn zu erobern hat, womöglich ersatzweise die Seele. Aber überschüssiges Körperfett?

Viertaktige Kriegstanzmuster und prasselndes Blech

Die Männer aus Übersee am Chiemsee widmen sich ihrer selbstgestellten Aufgabe mit äußerster Konsequenz: La Brass Banda ist Rhythmus pur. Das Schlagzeug wird mit der Vehemenz malträtiert, die man anno dazumal per Dreschflegel dem Getreide angedeihen ließ. Dazu Percussion und ein hochtourig blökendes Gespann aus E-Bass und Tuba. Darüber prasselndes Blech: Auch die Männer an Trompeten und Posaune verrichten bei La Brass Banda eigentlich Rhythmusarbeit, zerhacken Noten in Sechzehntel, zerteilen Zeit in Synkopen, schmettern in irrem Tempo und auf höchstem technischen Niveau zumeist viertaktige Kriegstanzmuster, die puristisch auch gerne mit einer festgezurrten Tonhöhe auskommen. Und schließlich: Stefan Dettls ratternder Sprechgesang. Genau: Ratatatatatatat.

Wer genauer hinhört und zudem des Bayerischen mächtig ist, der merkt schnell, dass La Brass Banda so einfach dann doch nicht funktioniert: Das Lied „Opa“ zum Beispiel, dargeboten, als die Verausgabung schon weit fortgeschritten ist, handelt von einem sterbenden alten Mann. Eine ins Krankenhaus geschmuggelte Leberkassemmel, sorgt am Schluss für die wundersame Erweckung seiner Lebensgeister.

Das passt zum Programm einer Band, die nicht erst auf ihrem aktuellen Album „Europa“ fast alles anders macht als fast alle anderen: Während Popmusik für gewöhnlich Sehnsüchte thematisiert, die in die Zukunft reichen, verspricht La Brass Banda Befriedigung im Hier und Jetzt. Und diese Kollektivvirtuosen lösen ihr Versprechen ein, sofern man nur bereit ist, bei der packenden Performance mitzuturnen.

Blasmusik als hinreißende Karussellfahrt

Doch auch wer lieber nur mit dem Fuß wippt, merkt bald, wie schlau die Band mit dem Turbolader hantiert: Die Rituale des Hip-Hop, die Wucht des Punkrock und die Bodenständigkeit dörflicher Blasmusik vereinen sie zu einer hinreißenden Karussellfahrt, ganz unbeeindruckt vom Stau auf der nahe gelegenen „Autobahn“. So heißt ein kerniger Song, den La Brass Banda spontan auf Zuruf spielt („wenn’s es brauchts), weil das vorangegangene Lied, „VW Jetta“ von den Fans besonders frenetisch bejubelt wurde. „Ma braucht ka neiches Auto!“, ruft Stefan Dettl da.

Was man sonst braucht? Einen Bauch? „Ein Mann ohne Bauch ist wie ein Himmel ohne Sterne“, verkündet das hemdsärmlige Entertainmentgenie und beschwört dann doch die einschlägige Verbindung zwischen körperlicher Musik und Gewichtsverlust. Viel spricht dafür, dass Dettl Folgendes für nötig hält: Gelegentliche kontrollierte Ekstase, die folgenlos bleibt oder sogar noch g’sund ist. Und jetzt mal ehrlich: Wer mag ihm da schon widersprechen?