Ein Strohhut, eine Vogelpfeife und eine Tuba auf Rollen: Seit fast zehn Jahren sammelt Chris Sanchis Rubio beim Lab-Festival Spenden – mit einer ungewöhnlichen Methode. Warum macht sie das?

Stuttgart - Unauffällig sitzt Chris vor dem Festzelt. Ohne ihren Hut und die Tuba ist sie in der Menge der Festivalbesucher kaum zu entdecken. Chris Sanchis Rubio hat ein Bier in der Hand. Sie die Beine überschlagen, die Sonne scheint ihr ins Gesicht. Blues-Musik tönt aus dem Zelt.

 

Chris mag Blues und Jazz. Darüber kam sie vor vielen Jahren auf das Laboratorium, den ältesten Live-Club Stuttgarts. Das „Lab“ organisiert seit 37 Jahren das Lab-Festival am Berger Festplatz, immer am letzten Augustwochenende. Auch Chris ist dabei. Sie ist Mitglied im Verein und hilft mit mehr als hundert anderen Ehrenamtlichen, die etwas andere Musikveranstaltung zu organisieren.

Ihre Aufgabe: Spenden sammeln. So wie die letzten Jahre. Zusammen mit ihrer Spendentuba und ihrem „Schieber Thimo“. Chris deutet auf einen Mann mit schwarzer Mütze und ausgetragener Weste neben ihr. Die Gesundheit macht nicht mehr so mit, wie sie es sich wünscht. Sie braucht jemanden, der die Tuba für sie lenkt. Denn Chris ist schon „um die achtzig“.

Eine Tuba als Spendentrommel

Vor neun Jahren übernahm Chris die Rolle, nachdem ihr Vorgänger ausfiel. Sie erfand ihre Aufgabe neu. Früher gab es eine Schlagzeugtrommel, um Spenden zu sammeln. „Das war aber zu laut und zu auffällig. Die Tuba stand im Lab rum und wir haben halt ein Loch für das Geld rein gemacht.“ Mittlerweile kommen aus der Tuba nur noch rasselnde Töne, wenn sie über das Pflaster klappert. Gespielt wird sie schon lange nicht mehr.

Ihre Rolle hat Chris über die Jahre weiterentwickelt und Details hinzugefügt. Immer dabei ist ihr Strohhut, der genauso einzigartig ist wie Chris selbst. Dekoriert mit dutzenden Lab-Festival-Buttons mit ihrem Namen ragt er aus der Menge. Um ihren Hals hängt ihre „Wasser-Amsel“, eine Tonpfeife, mit der sie durch das sanfte Zwitschern auf sich aufmerksam macht. Die ist nicht zu auffällig. Sie will die Leute nicht verscheuchen, denn sie hat ja eine Aufgabe.

„Wieviel ich sammele, interessiert mich nicht“

Strom, Wasser, Müll, Miete und noch vieles mehr muss bezahlt werden. Das Laboratorium wird zwar durch die Stadt unterstützt und verdient Geld durch den Getränke- und Essensverkauf, ein Restrisiko bleibe aber trotzdem. Zum Beispiel, wenn bei schlechtem Wetter weniger Besucher kommen. Chris möchte dazu beitragen, ein denkbares Defizit so klein wie möglich zu halten. Doch wie viel sie wirklich sammelt, weiß sie nicht. Und sie möchte es auch nicht sagen. Ihr ist es wichtig, ihren Kunstverein zu unterstützen und bei dem Festival zu helfen. Mehr nicht.

Sie deutet auf eine Familie mit einem Kinderwagen: „Es ist schön, dass auch junge Menschen kommen. Wenn die Kinder älter sind, können sie sich beim Kinderprogramm vergnügen und die Eltern können Musik hören.”

Ein Festival für alle

Wenn das Lab-Festival nicht so einzigartig wäre, wäre Chris wohl kaum schon so lange ein Teil davon. „Es kommen immer die gleichen Leute her. Du kannst sie 20, 30 Jahre nicht sehen und triffst sie hier wieder.“ Sie deutet auf eine Frau im Rollstuhl. „Das ist Natascha.“ Natascha tanzt in der Menge, wie jeder andere auch, bewegt ihre Arme und ihren Oberkörper. Chris mag den offenen, gemeinschaftlichen, vielfältigen Charakter des Festivals. Das ist der Grund, warum sie sich mit rund 80 Jahren immer noch für das Festival engagiert. Chris hat sogar während ihrer Runde eine Freiwillige für das nächste Jahr gefunden. Wie lange sie das noch macht? „Wir werden sehen, sagt der Blinde“, meint sie verschmitzt.

Mitten im Interview dreht sie sich zu zwei Frauen um, die sich neben ihr über das Festival unterhalten. „Flyer gibt es am Infostand, der ist da hinten.“ Sie deutet nach links. Die Frauen bedanken sich herzlich.

„Die Tuba gibt nur Töne von sich, wenn etwas reingeworfen wird.“

Chris’ Auftritt spielt sich abseits der Bands ab - in deren Pausen. Bevor die neue Band mit der Musik beginnt, dreht sie ihre Runden. Ein- bis viermal pro Tag macht sie diese Tour über den Platz. Sie stellt sich stolz neben ihr Arbeitsgerät, die verbeulte Tuba, und stützt sich mit einer Hand auf ihren Gehstock. Ein Junge spielt direkt neben ihr mit einem Papierfrosch. Immer wieder bringt er ihn zum Springen. Ihr Blick schweift über die Menge im Zelt, über die tanzenden Menschen vor der Bühne. Ihr Fuß wippt im Takt mit. Chris beobachtet die Szene gebannt, Lachgrübchen bilden sich um ihren Mund.

„Schieber“ Thimo kommt hinzu - es geht wieder los. Begleitet vom Gezwitscher der Pfeife suchen sich Chris und Thimo ihren Weg durch die Menge. Zielstrebig, dennoch freundlich. Außer einem „Dankeschön!“ muss Chris nicht viel sagen, die Leute kennen sie. Trotzdem finden nicht alle gut, was sie macht. Dinge wie „Halt’s Maul!“ hört sie jedes Jahr von ein und demselben Gast. „Aber von so einem Schnösel lass´ ich mir doch nicht den Mund verbieten!“, sagt sie bestimmt.

Zum Dank gibt’s einen „Muggabadscher“

Heute hört sie nur freudige Reaktionen. Immer wieder klappert es in der Tuba, fast jeder trägt seinen Teil bei. Bis zu 50 Euro bekommt Chris von den Gästen. Jedes Mal, wenn ein Schein den Weg in die Tuba findet, gibt es zum Dank einen „Muggabadscher“:Eine Fliegenklatsche, die laut Chris auch als Fächer und zum Abdecken der Gläser benutzt werden kann. Die verteilt sie fleißig an diesem Tag. „So, jetzt reicht es aber auch mit den Fotos, oder?“, sagt sie, sie will sich wieder auf die Leute konzentrieren. Thimo und Chris beenden ihre Runde alleine.

Zum Ende kommt sie trotzdem noch einmal zurück, die Tube ist gut gefüllt. „So funktioniert das. Mit Freundlichkeit und Witz macht man das!“ Ihre Augen strahlen.

Anmerkung: Der Text ist in Kooperation mit einem Workshop für angehende Journalisten der Konrad-Adenauer-Stiftung entstanden.