Ein Schaden von mehr als drei Milliarden Euro ist dem deutschen Einzelhandel allein 2012 durch diebische Kunden und Mitarbeiter entstanden. Im Trubel des Weihnachtsgeschäftes steigt die Zahl der Delikte erst recht.

Stuttgart - Eine Warensicherung kann ziemlich ärgerlich sein, selbst wenn man kein Dieb ist. Das wissen alle Kunden, denen schon einmal das klassische Missgeschick passiert ist: Am Ladenausgang schlägt die eigene Plastiktüte Alarm, Warnlampen leuchten auf, und Sirenengeheul lenkt die Aufmerksamkeit der Umstehenden auf den vermeintlich Ertappten. Eine Verkäuferin gestikuliert in Richtung Kaufhausdetektiv, der einen Blick in die Tüte des verdutzten Kunden erbittet. Meist löst sich die peinliche Situation schnell auf, wenn an der Kasse nur vergessen wurde, den Sicherungsknopf vom Kleidungsstück zu entfernen. Wirklich Pech hat dagegen, wer erst daheim bemerkt, dass die Sicherung noch am Jackenärmel oder Hemdkragen heftet. Dann hilft nur noch die Rückkehr ins Geschäft.

 

So nervig die Warensicherungen in solchen Fällen für die Kunden sind, so unverzichtbar sind sie für die Läden. Das britische Centre for Retail Research bezifferte den Schaden, der dem deutschen Einzelhandel allein im Weihnachtsgeschäft durch Diebstahl entsteht, zuletzt auf mehr als 920 Millionen Euro. „Die Weihnachtszeit ist für Kriminelle eine überaus attraktive Zeit. Diebe nutzen das rege Treiben in den Geschäften aus, um hochwertige und besonders gefragte Waren zu stehlen“, erklärt Joshua Bamfield, der Direktor der Forschungsgruppe.

Vor allem kleine, teure Waren waren geklaut

Statistisch betrachtet stiehlt jeder deutsche Haushalt jährlich Handelswaren im Wert von 50 Euro. Das ergibt sich aus einer Studie des Kölner EHI Retail Institute. Demnach haben sich im Jahr 2012 Inventurdifferenzen von 3,8 Milliarden Euro aufsummiert. Die Macher der Studie sprechen von Verlustraten auf konstant hohem Niveau verglichen mit früheren Jahren. Genau die Hälfte des Schadens – 1,9 Milliarden Euro – entsteht durch Ladendiebstahl von vermeintlichen Kunden. 1,2 Milliarden Euro fehlen in den Kassen, weil sich eigene Mitarbeiter, Lieferanten oder Servicekräfte bedient haben. Der übrige Schaden geht auf organisatorische Fehler zurück.

Am häufigsten geklaut werden aus Gründen wie Praktikabilität und Weiterverkaufswert vor allem kleine, teure Waren wie Parfüm, Kosmetikartikel, Rasierklingen, Spirituosen, Modeaccessoires, DVDs oder Smartphones. Aber auch hochwertige Markenkleidung, Schuhe und Elektrowerkzeuge stehen weit oben auf der Beliebtheitsskala von Ladenbesuchern, die keinen Zwischenstopp an der Kasse einlegen. Viele dieser Artikel gehören auch zum Sortiment von Galeria Kaufhof. Ein Sprecher der Warenhauskette bestätigt, dass die Zahl der Ladendiebstähle in Zeiten mit hohen Kundenfrequenzen erfahrungsgemäß ansteigt; so auch in der Vorweihnachtszeit. Zahlen zum Schaden oder zu ertappten Betrügern nennt er nicht. Nur so viel: jeder Ladendiebstahl – ungeachtet von Warenwert und Person – werde angezeigt.

Die Polizei unterscheidet zwischen einfachem und schwerem Ladendiebstahl; letzterer ist etwa durch einen vorausgegangenen Einbruch oder eine gewerbsmäßige Organisation gekennzeichnet. Die Zahl der einfachen Delikte geht kontinuierlich zurück, zuletzt sank sie um 6,5 Prozent auf 345 000 angezeigte Fälle im Jahr 2012. Etwa die Hälfte davon sind Bagatelldelikte mit einem Warenwert von maximal 15 Euro. Der durchschnittliche Diebstahlswert beträgt 70 Euro. Jeder zweite einfache Diebstahl wird von einem Wiederholungstäter begangen, rund 15 Prozent der Täter stehen unter Drogen- oder Alkoholeinfluss.

Im Schnitt werden Waren im Wert von 390 Euro entwendet

Parallel dazu verzeichnen die Ordnungshüter einen Trend zu schweren Ladendiebstählen, die zuletzt um fünf Prozent auf knapp 16 000 im Jahr 2012 zulegten. Nur jeder zehnte Fall ist ein Bagatelldelikt, im Schnitt werden Waren im Wert von 390 Euro entwendet. Der Anteil der Mehrfachtäter liegt hier bei über 80 Prozent. Jeder dritte Diebstahl wird von Gruppen begangen, rund 40 Prozent der Täter agieren unter Drogen- oder Alkoholeinfluss.

Lange Öffnungszeiten treiben Diebstahlzahlen

Den leichten Rückgang der Ladendiebstähle insgesamt wertet der deutsche Handelsverband (HDE) als Resultat verstärkter Vorbeugung: „Das zeigt, dass sich die hohen Investitionen der Handelsunternehmen in Prävention und Sicherheit lohnen“, sagt HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Um seine Waren vor Diebstählen zu schützen, steckt der Handel jährlich 1,2 Milliarden Euro in Präventiv- und Sicherungsmaßnahmen, dazu gehören auch Mitarbeiterschulungen sowie der Einsatz von Detektiven. HDE-Chef Genth hält die Kriminalitätsstatistik aber nur für bedingt aussagekräftig: „Ladendiebstahl wird nur in wenigen Fällen bei der Polizei angezeigt. Insofern müssen wir hier von einer hohen Dunkelziffer ausgehen.“ Tatsächlich werden nur etwa zwei Prozent aller Ladendiebstähle erkannt und angezeigt. Fast 30 Millionen Delikte pro Jahr bleiben unentdeckt.

Geldstrafe „kein fühlbares Übel“

Begünstigt wird der Ladendiebstahl laut EHI durch zwei Trends im Handel: längere Öffnungszeiten bei gleichzeitig geringerer personeller Besetzung. Da insgesamt weniger Personal zur Aufsicht zur Verfügung stehe, würden immer weniger Taten entdeckt und angezeigt, so die Studie. Diese Diagnose bezieht sich auf Verkäufer und Sicherheitspersonal: Obwohl die Öffnungszeiten stark erweitert wurden, seien die Detektiveinsatzstunden nicht erhöht worden. „Es wurde mehr Technik zur Prävention, aber nicht zur Überführung eingesetzt.“

Das Kölner Forschungsinstitut attestiert den Einzelhändlern aber auch eine gewisse „Anzeigenmüdigkeit“ infolge mangelnder Bestrafung der Täter. Ladendieben droht laut Paragraf 242 StGB eine Strafe zwischen einer Geldbuße und fünf Jahren Freiheitsentzug. Viele Verfahren werden gegen Zahlung eines Bußgeldes eingestellt. Auf Ladendiebe und andere Kleinkriminelle könnte allerdings eine andere empfindliche Sanktion zukommen: Die Regierungsparteien haben im Koalitionsvertrag vereinbart, Straftäter, „für die eine Geldstrafe kein fühlbares Übel darstellt“, künftig auch mit dem Entzug des Führerscheins zu bestrafen. Das ist bisher ausschließlich bei Straßenverkehrsdelikten möglich.