Etliche Menschen können immer noch nicht fassen, dass der Obst-, Gemüse- und Blumenladen von Ingrid Strähle in Stuttgart-Kaltental geschlossen hat. Doch es gibt gute Gründe dafür.

Klima und Nachhaltigkeit: Julia Bosch (jub)

Kaltental - Eigentlich hatte Ingrid Strähle geplant, nach ihrem Urlaub im Sommer einfach nicht mehr aufzumachen. Sie war überzeugt, dass sie relativ unbemerkt ihren Blumen-, Obst- und Gemüseladen an der Fuchswaldstraße in Kaltental schließen könne. Nun, dieser Plan ging gehörig nach hinten los.

 

Bereits in den Wochen vor dem 10. August – dem letzten Öffnungstag – wurde Ingrid Strähle (73) regelrecht überschüttet mit Geschenken. Kunden brachten selbst gemachten Kuchen vorbei und Marmeladen, Liköre und Säfte, Bücher und Bildbände, Tassen, Schmuck, Kosmetikartikel sowie etliche Gutscheine. „Das Besondere war, dass kein Geschenk unüberlegt war“, sagt Ingrid Strähle. Jeder hätte sich etwas überlegt, was zu ihr passe. Einige hätten sie auch noch mal umarmen wollen – und daraufhin gesagt: „Heulen werde ich dann draußen.“

Schon als Kind Blumenkränze gebunden

45 Jahre lang hat Ingrid Strähle an der Fuchswaldstraße in Kaltental Obst, Gemüse und Blumen verkauft. Sie hat den Laden von ihren Eltern übernommen und ist schon als Kind mit auf den Markt gegangen oder hat Blumenkränze gebunden. Vor rund einem Jahr hat sich die 73-Jährige dann überlegt: Wie viel Zeit bleibt mir noch? „Ich habe bei Kunden miterlebt, wie erbarmungslos manche Krankheiten sind, etwa Alzheimer.“ Sie wollte dann aufhören, wenn es am schönsten ist – und nicht, wenn sie muss. Außerdem möchte sie die kommenden Jahre nutzen, um auch mal ihren Hobbys nachzugehen – etwa dem Restaurieren von alten Möbeln, berichtet sie.

Was mit der nun leer stehenden Ladenfläche passiert, die einer Erbengemeinschaft rund um Ingrid Strähle gehört, ist indes noch unklar. Dass dort wieder ein Gemüse-, Obst- und Blumenladen aufmacht, ist aber eher unrealistisch: „Man müsste ziemlich viel Geld investieren, um die heute geltenden Auflagen zu erfüllen.“

Die Briefe machen sie auch traurig

Und obwohl Ingrid Strähle bereits seit Weihnachten ihre Kunden über die anstehende Schließung informiert hat, wollten es viele bis zum Schluss nicht glauben. Noch immer hat Ingrid Strähle es nicht geschafft, alle Briefe zu lesen, die sie in den vergangenen Wochen bekommen hat. Kürzlich war sie im Urlaub und hat einige Briefe dorthin mitgenommen, „aber ich kann immer nur vereinzelt welche lesen, sonst werde ich zu traurig“.

Aber wie kommt es, dass die Schließung eines Ladens Menschen derart emotional bewegt? Ingrid Strähle glaubt, dass es unter anderem an der Art lag, wie sie mit den Kunden umgegangen ist: „Manche kamen eigentlich, weil sie das Gespräch gesucht haben. Ich habe immer zugehört, jedoch nie etwas weitergetratscht.“ Außerdem habe sie Kunden auch dann nicht abgewiesen, wenn diese abends kamen, als der Laden eigentlich schon zugehabt hätte. Zusätzlich glaubt sie, dass viele die hohe Qualität der Waren bei ihr geschätzt hätten. „Die Kräuter habe ich wo anders gekauft als die Beeren, die Beeren wo anders als die Mangos und die Mangos wo anders als das Gemüse.“ Sie habe immer alles vorher durchprobiert und nur das verkauft, was ihr selbst am besten geschmeckt habe. Deshalb habe ihr morgendlicher Einkauf beim Großmarkt auch immer recht lange gedauert.

Anfangs war Bio etwas sehr Ungewöhnliches

Ihre Tage begannen in den vergangenen 45 Jahren stets um 3.30 Uhr morgens. Dann ging es zum Großmarkt nach Wangen. Um 8.30 Uhr öffnete der Laden, abgesehen von montags und samstags war immer erst um 18 Uhr Schluss. Danach hieß es noch Aufräumen. Zwischendurch hat sie Schulen, Kindergärten und die Jugendfarm mit Gemüse und Obst beliefert. „Ich habe mich nie hingesetzt, sonst wäre ich im Sitzen eingeschlafen.“

Das ständige Stehen, Herumlaufen und Unterwegssein hat der Mutter eines 40-jährigen Sohns aber auch gut getan: Mit 73 Jahren ist sie immer noch fit, schlank und sieht sowieso viel jünger aus. Das liege auch daran, dass sie schon immer gerne Gemüse und Obst esse, sagt sie – vorrangig aus biologischem Anbau. Als sie den Laden von ihren Eltern übernommen hatte, war es noch sehr ungewöhnlich, dass sie größtenteils auf Bio setzte: „Ich musste mir viel anhören.“ Häufig habe sie den Leuten deshalb gar nicht gesagt, dass ihre Ware Bio sei. „Wenn die Kunden danach vom guten Geschmack geschwärmt hatten, war das Bestätigung genug.“

Mittlerweile übrigens, nachdem Ingrid Strähle so viele Briefe und Geschenke von Kunden bekommen hat, räumt sie ein, dass ihr ursprünglicher Plan, den Laden einfach so nach dem Urlaub zu schließen, niemals funktionieren konnte: „Ich hatte das falsch eingeschätzt. Man kann sich nicht einfach so davon schleichen.“ Zumindest Ingrid Strähle nicht.