Bayern und Hessen klagen gegen den Länderfinanzausgleich. Doch in Karlsruhe kann nicht entschieden werden, was politisch zu lösen ist. Schon mit seinem Urteil 1999 hat das Bundesverfassungsgericht der Politik das Handeln nicht abgenommen, analysiert StZ-Redakteur Stefan Geiger.

Stuttgart - Bayern und Hessen, die beiden Bundesländer, die jetzt vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Länderfinanzausgleich klagen wollen, haben diese Regelung vor wenigen Jahren noch mit beschlossen – Hessen war sogar einer der Verhandlungsführer gewesen. Die Neuregelung, die lediglich noch bis 2019 gilt und dann sowieso neu verhandelt werden muss, war notwendig geworden, weil das Verfassungsgericht schon 1999 auf die Klagen unter anderem von Baden-Württemberg, Bayern und Hessen Vorgaben für eine verfassungskonforme Regelung des Finanzausgleichs gemacht hatte.

 

Es gibt also sehr gute Gründe für die baden-württembergische Haltung, der Konflikt um den Finanzausgleich solle durch politische Verhandlungen und nicht schon wieder vom Bundesverfassungsgericht gelöst werden.

Schon der Zeitablauf legt nahe, dass die Klagen aus Hessen und Bayern vor allem politisch motiviert sind: Karlsruhe benötigt bis zu einem solchen Urteil meist weit mehr als ein Jahr Zeit und gibt dann für gewöhnlich den Kontrahenten noch mehrere Jahre, eine Neuregelung nach den Karlsruher Maßstäben zu schaffen. Gemessen daran ist es bis 2019 nicht mehr so lange. Vieles spricht dafür, dass die Klagen vor allem dazu dienen sollen, die eigenen Verhandlungspositionen der beiden Länder zu stärken.

Entscheidend sind die Einnahmen, nicht die Ausgaben

Dass die Klagen in der Sache völlig aussichtslos seien, kann man aber freilich nur schwer behaupten, wenn man das Karlsruher Urteil von 1999 noch einmal nachliest. Die Verfassungsrichter lassen dem Gesetzgeber darin einen weiten Gestaltungsspielraum bei der Regelung des Länderfinanzausgleichs. Das Grundgesetz enthalte „keine unmittelbar vollziehbare Maßstäbe“ in dieser Sache, argumentieren sie. Notwendig sei deshalb zunächst einmal, dass sich Bund und Länder auf einheitliche „Indikatoren“, also auf einheitliche und nachvollziehbare Daten, einigen, mit denen sie rechnen und den Finanzausgleich begründen.

Wer die aktuellen Stellungnahmen aus den verschiedenen Ländern zum Finanzausgleich hört, kann daran seine Zweifel haben. Da werden je nach politischem und landsmannschaftlichem Standort dem Konkurrenten die Kosten für den Berliner Flughafen oder aber für eine in Schieflage geratene Landesbank unter die Nase gerieben und die Subventionierung der Kitaplätze dort mit den Prestigebauten hier verrechnet. Das schafft Schlagzeilen, verfassungsrechtlich ist es aber ohne Bedeutung. Denn die Karlsruher Richter haben in ihrem Urteil festgeschrieben, dass es beim Finanzausgleich auf das „Finanzaufkommen“, also auf die Einnahmen ankommt, nicht auf die „Relation von Aufkommen und besonderen Aufgabenlasten“, also nicht auf die Ausgaben, sei es für Kitas, sei es für die Stützung einer Landesbank.

Deshalb biete sich als „Bedarfskriterium“ die Einwohnerzahl der Bundesländer an. Sie sei ein Maßstab, der „von ländereigenen Prioritäts- und Dringlichkeitsentscheidungen unabhängig ist“. Genau diesem – sagen wir mal – Rat des Gerichts sind die Politiker bei der Novellierung des Gesetzes nicht gefolgt. Sie haben – mit den Stimmen Bayerns und Hessens – beschlossen, dass jeder Bürger der Stadtstaaten, also von Berlin, Hamburg und Bremen, beim Länderfinanzausgleich 35 Prozent mehr wert ist als der Bürger eines Flächenstaates.

Es geht vor allem um die Bundeshauptstadt

Nur wegen dieser Sonderregelung zahlt Hamburg, das das höchste Steueraufkommen pro Einwohner hat, nichts mehr in den Länderfinanzausgleich ein, sondern erhält sogar ein paar Millionen heraus. Aber auch besonders bevölkerungsarme Länder wie Mecklenburg-Vorpommern werden ein bisschen besser gestellt. Das ist eines der Hauptargumente für die neuen Klagen von Bayern und Hessen.

Das Steueraufkommen je Einwohner lag im Jahr 2012 in Berlin bei 1314 Euro, in Baden-Württemberg bei 1884 Euro und in Hamburg bei 2314 Euro. Aber nur Baden-Württemberg, Bayern und Hessen zahlen in den Ausgleichstopf ein, alle anderen 13 Bundesländer bekommen daraus mehr oder weniger gezahlt.

Strittig ist auch, wie weit der Ausgleich gehen muss. Karlsruhe hat gesagt, es gehe nicht um eine „finanzielle Gleichstellung“ der Länder, sondern um eine „ihren Aufgaben entsprechende hinreichende Annäherung der Finanzkraft“. Die Abstände dürften verringert, aber nicht aufgehoben werden. An anderer Stelle heißt es, der Ausgleich dürfe eine „großzügige Ausgabenpolitik“ nicht belohnen und eine „sparsame Ausgabenpolitik“ nicht bestrafen. Genauere Vorgaben machten die Richter nicht. Jetzt wird ihnen wohl die Frage gestellt werden, ob es richtig sein kann, dass ein Nehmerland, das vor dem Ausgleich eine Finanzkraft von 70 Prozent hatte, sich danach über 91 Prozent freuen kann, während einem reichen Land mit einer Finanzkraft von 130 Prozent am Ende nur 109 Prozent bleiben.

Im praktischen politischen Leben geht der Streit vor allem um das Land Berlin, das 3,3 der insgesamt 7,9 Milliarden Euro, also mehr als 40 Prozent des Finanzausgleichs erhält. Hessen und Bayern hatten unter anderem vorgeschlagen, Berlin auch wegen seiner Hauptstadtaufgaben ganz aus dem Länderfinanzausgleich herauszunehmen. Das wird wohl nicht gelingen. Aber das Verfassungsgericht hat auch dazu einen Fingerzeig gegeben. Die „Bundesergänzungszuweisungen“, die das Grundgesetz vorsieht, erlaubten Zahlungen des Bundes an Länder, die „Sonderlasten“ tragen und die „aus Landesmitteln nicht ausgeglichen“ werden können. Dass dies bei der Bundeshauptstadt der Fall ist, liegt nahe. Die Sonderlasten müssten aber benannt, begründet und regelmäßig überprüft werden. Gerichte und Öffentlichkeit müssten das kontrollieren können.

Dass Karlsruhe andererseits nicht bereit ist, Berlin einen Blankoscheck auszustellen, belegt eine andere Entscheidung aus dem Jahr 2006. Damals ging es zwar nicht um den Finanzausgleich, sondern um eine Sanierungshilfe, die Berlin für sich – vergeblich – beanspruchte. Die Thematik ist aber eng verwandt. Damals gingen die Richter ausdrücklich auch auf die Ausgaben ein und bescheinigten den Berlinern eine „nicht ausreichende Konsolidierung“. Die Haushaltsprobleme Berlins, so heißt es in der Entscheidung, lägen schwerpunktmäßig nicht auf den Einnahmen-, sondern auf der Ausgabenseite. Es gebe „nicht ausgeschöpfte Einsparpotenziale in erheblichem Umfang“. Im übrigen sei Berlin zuzumuten, die Gewerbesteuer zu erhöhen und stärker zu privatisieren.

Berlins Finanzsenator Ulrich Nußbaum hat sich dagegen ausgesprochen, sein Land aus dem Finanzausgleich herauszunehmen. Berlin habe seinen Haushalt in den vergangenen Jahren saniert und könne es schaffen, spätestens 2016 ohne neue Schulden auszukommen. Baden-Württembergs Finanzminister Nils Schmid (SPD) warnte noch einmal vor den Klagen: „Das Bundesverfassungsgericht wird weder Herrn Seehofer noch uns einen neuen Länderfinanzausgleich aufschreiben und schon gar nicht einen, der unbedingt den Interessen des Landes Baden-Württemberg entspricht.“ Man müsse verhandeln.