Nach den Bomben von Paris steckt der deutschen Nationalmannschaft der Schreck noch in den Gliedern. Trotzdem spielt sie am Abend gegen Holland – auch wenn sich der Bundestrainer das zunächst nicht vorstellen konnte.

Hannover/Stuttgart - Joachim Löw hat viel Zeit zum Nachdenken gehabt in den quälend langen Stunden im Stade de France, in „dieser schrecklichen, entsetzlichen, schockierenden Nacht“. Mal saß er mit seinen Spielern in der Kabine, mal rauchte er draußen eine Zigarette, mal zog er sich in den Mannschaftsbus zurück – nur geschlafen hat er nicht. „Gibt es nicht Wichtigeres als Fußball?“ Das war eine der Fragen, die den Bundestrainer umtrieb und auf die er spätestens am Samstagmorgen die passende Antwort fand. Nach der Rückkehr in Frankfurt war für ihn klar, dass das Länderspiel gegen die Niederlande „nicht stattfinden kann und nicht stattfinden soll“.

 

Nun wird das Spiel doch ausgetragen, an diesem Dienstag (20.45 Uhr/ZDF) in Hannover, nur vier Tage nach den verheerenden Terroranschlägen in der Pariser Innenstadt und den drei Bomben, die unmittelbar vor dem Stadion explodiert sind. Eine weitere Nacht brauchte Löw, diesmal mit viel Schlaf, dann kam er zu der Erkenntnis, dass eine Absage die falsche Reaktion gewesen wäre: Als „klare Botschaft für Freiheit und Demokratie“ betrachtet er das Spiel nun, als „Zeichen der Verbundenheit, des Mitgefühls und der Solidarität mit unseren französischen Freunden auf der ganzen Welt“.

„Die Gefühlswelt ist durcheinander geraten“

Es fällt Joachim Löw nicht leicht, so viel Kampfgeist und Überzeugung aufzubringen. Der Schrecken ist auch ihm noch immer anzusehen, er ist sichtlich aufgewühlt, als er am Montagmittag auf einem Rittergut nahe Hannover davon berichtet, dass seine „Gefühlswelt völlig durcheinandergeraten“ sei.

Doch weiß Joachim Löw eben auch, dass die eigenen Sorgen und Ängste von untergeordneter Bedeutung sind, wenn man als Bundestrainer im Auftrag der Nation tätig ist. Gleiches gilt für die Spieler, von denen sich zunächst ebenfalls einige außer Stande gesehen hatten, schon wieder ein Länderspiel zu bestreiten, während ihnen noch die Bomben von Paris in den Ohren dröhnen. Inzwischen aber, berichtet Löw, seien auch sie zu der Meinung gelangt, dass es gerade jetzt nötig sei, sich als „gute Botschafter unseres Landes“ zu präsentieren. Vielleicht hat der Bundestrainer die Mannschaft ja selbst überzeugen können – und wenn nicht, dann war es ganz sicher Oliver Bierhoff, der Teammanager.

Die DFB-Elf hat eine Funktion zu erfüllen

„Es geht nicht um persönliche Befindlichkeiten“, sagt Bierhoff und erinnert daran, dass das Leben eines Nationalspielers nicht nur mit Rechten, sondern auch mit Pflichten verbunden ist. Die DFB-Mannschaft habe „eine Funktion“ zu erfüllen, die in diesem Falle darin bestehe, „für unsere Werte und unsere Kultur“ einzustehen. „Wir sind gefordert und werden das Spiel mit voller Überzeugung angehen“, sagt Bierhoff – sehr zur Erleichterung der deutschen Politik: Er sei der Mannschaft „sehr dankbar, dass sie bereit ist, am Dienstag zu spielen“, erklärt der Bundesjustizminister Heiko Maas.

Oliver Bierhoff ist es gewesen, der in der Nacht von Paris die Abläufe koordiniert, die Spieler beruhigt, die Rückreise organisiert – und dabei „die Ratio ausgestellt und nur noch funktioniert hat“. Nun ist er dafür zuständig, der sportlich völlig unbedeutenden Partie gegen die Niederlande den passenden Rahmen zu geben. „Das Spiel hat eine große Symbolik“, sagt Bierhoff, „das wollen wir durch verschiedene Maßnahmen darstellen.“ Das Abspielen der französische Nationalhymne als Zeichen der Anteilnahme ist dabei nur eine von vielen Ideen, die der Manager vorerst nicht konkretisieren will. Sicher ist: „Es wird am Anfang etwas passieren.“

Die sportliche Rivalität tritt in den Hintergrund

Auch die Begegnung selbst, das Duell der beiden Erzrivalen, soll diesmal ganz im Zeichen der Verbrüderung stehen. „Ich wünsche mir sehr, dass die sportliche Rivalität in den Hintergrund tritt“, sagt Joachim Löw. Über die Probleme der Niederländer, die völlig überraschend an der Qualifikation zur Europameisterschaft gescheitert sind, will der Bundestrainer nicht sprechen; er werde bei der Beurteilung des eigenen Teams „andere Maßstäbe als sonst“ anlegen und hält das Ergebnis für „nicht entscheidend“.

Viel wichtiger sei dies: „Es ist ein Spiel mit ganz anderen Werten, für andere Werte“, sagt der Bundestrainer: „Und wenn wir es so verstehen, dann haben wir unabhängig vom Ergebnis gewonnen.“