Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut möchte die Höchstarbeitszeit von zehn auf zwölf Stunden ausweiten. Mit einer Werbetour durch Südwürttemberg geht sie nun in die Offensive. Eine Reportage.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Bebenhausen - Wem es in der Küche zu heiß ist, sollte kein Koch werden, heißt es. Das muss man Nicole Hoffmeister-Kraut jedoch lassen: So entschieden, wie die Wirtschaftsministerin in die Küche des Bebenhausener Landhotels Hirsch vordringt, so lässt sie sich auch nicht von der aufgeheizte Debatte über eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten abbringen – selbst wenn sie sich daran die Finger verbrennen könnte. Da mögen Grüne, SPD und Gewerkschaften noch so viel Schärfe hineintragen, und da mag die eigene Fraktion noch so skeptisch zuschauen – es scheint die CDU-Politikerin noch zu motivieren, jetzt erst recht in die Offensive zu gehen. Da steht sie hinter dampfenden Töpfen und argumentiert, als müsste sie auch Küchenchef Anton Mayer und die Azubis neben ihm überzeugen. Es ist – unverkennbar – der szenische Höhepunkt einer Werbereise für den Zwölf-Stunden-Tag durch Südwürttemberg.

 

Die Hotel- und Gaststättenbranche ist aus Sicht der Wirtschaft der Paradebereich, um die von Hoffmeister-Kraut angestrebte Ausweitung der Höchstarbeitszeit von zehn auf zwölf Stunden in die Tat umzusetzen. Sie hat früher fleißig gegen das Gesetz verstoßen und heute Mühe, die Regeln einzuhalten. Daher brächte eine Novellierung vor allem mehr Rechtssicherheit, wenn beispielsweise ein Catering-Auftrag für eine Hochzeit mit dem Normalbetrieb im Restaurant kollidiert. „Das wäre für uns eine große Hilfe, auch wenn solche Situationen nicht oft vorkommen“, sagt Anton Mayer zu den Plänen der Ministerin. Sein Chef Fridrich von Ow-Wachendorf schildert, dass der Zehn-Stunden-Arbeitstag „in 99 Prozent der Fälle“ eingehalten werde, dass die „tolle Mannschaft“ des 35-köpfigen Betriebs aber auch, sofern nötig, schon heute mehr Flexibilität möglich mache.

Hoffmeister-Kraut ist der Arbeitsschutz wichtig

Das Landhotel ist nicht zufällig eine Station der Tour: Bis Ende Dezember regierte hier Ernst Fischer, der zudem 15 Jahre Präsident des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) war. Der hat hier im Herbst schon das schwarz-grüne Kabinett inklusive Ministerpräsident bewirtet und die Notwendigkeit von mehr Spielraum bei der wöchentlichen Arbeitszeit verdeutlicht, wie er berichtet. Nicole Hoffmeister-Kraut strebt an der Stelle sogar eine Reduzierung von 60 auf 54 Wochenstunden an, wie sie sogleich erwähnt.

Wo immer sie hinkommt, verkündet die Ministerin mantraartig ihre Botschaft, dass es ihr keineswegs darum ginge, die durchschnittliche Arbeitszeit hochzusetzen, sondern dass sie lediglich „klare Leitplanken“ einziehen wolle. Innerhalb des neuen Rahmens gebe es ja immer noch die Tarifverträge und die Arbeitsverträge, argumentiert sie. Mit anderen Worten: Dort könne ja alles bleiben, wie es ist, wenn die Beteiligten es wünschten. Dass sich nicht nur die Arbeitgeber, sondern auch die Arbeitnehmer mehr Souveränität im Umgang mit ihrer Zeit wünschen, steht für sie fest.

Geleitschutz sucht sie bei der Wissenschaft: Sascha Stowasser, der Direktor des arbeitgebernahen Instituts für angewandte Wissenschaften (Ifaa), referiert in der Königstube des Hotels, dass zwei Drittel aller EU-Mitglieder schon den Zwölf-Stunden-Tag hätten – dass die durchschnittliche Arbeitszeit dadurch aber nicht angestiegen sei. „In dem kleinen Raster von acht Stunden kriegt man die Flexibilitätsansprüche auch der Mitarbeiter nicht mehr unter“, versichert er. Wenn aber flexibilisiert werde, „muss der Arbeitsschutz stimmen“, mahnt er. „Gefährdungsbeurteilungen müssen gemacht werden.“ Diese Analysen strebt auch Hoffmeister-Kraut für die infrage kommenden Branchen an. Der Arbeitsschutz sei ihr wichtig, bekräftigt sie mehrfach. Einen Zwölf-Stunden-Tag für Busfahrer wird es demnach nicht geben.

Immerhin dürfen Vertreter der Gewerkschaften auf der „arbeitsmarktpolitischen Reise“ einen Kontrapunkt setzen. So kann Alexander Münchow von der NGG (Nahrung-Genuss-Gaststätten) in Bebenhausen darauf hinweisen, dass „die Belastung nirgends so hoch ist wie im Hotel- und Gaststättengewerbe“ und dass den Mitarbeitern „zehn Stunden reichen“. Ungeduldig fährt Hoffmeister-Kraut in seine Wortmeldung, dass man doch über Lösungen sprechen und „nicht von vorneherein gewisse Grenzen setzen sollte“.

Nur in einer Branche sind Zwölf-Stunde-Tage möglich

Schon an der ersten Station – der Mobilen Hauskrankenpflege (MHP) in Tübingen – hatte sich Verdi-Landeschef Martin Gross in den „respektvoll geführten, aber sehr kontroversen Streit“ eingeschaltet: Er sei nicht generell gegen eine Ausweitung auf zwölf Stunden, aber das geltende Gesetz biete ausreichend Spielraum. Bei einer Aufhebung des Zehn-Stunden-Tags ginge vielen Beschäftigten „mit Mitte 50 die Luft aus“, fürchtet Gross und lädt die CDU-Politikerin zu einem Gegenbesuch etwa in der Uniklinik Tübingen ein. Dort herrschten andere Verhältnisse. Aus der Ferne mäkelt zudem der Gewerkschaftsbund, dass von den vier angesteuerten Betrieben „drei weder einen Betriebsrat haben noch einen Entgelttarifvertrag anwenden“. Allzu gerne wäre der DGB in die Auswahl der Firmen eingebunden worden, doch so weit wollte das Ministerium nicht gehen.

Die Pflege gehört zu den wenigen Branchen im Land, wo Ausnahmen für Zwölf-Stunden-Tage möglich sind – auch wenn manch kommunale Gewerbeaufsicht genauer hinschaut als andere, wie MHP-Chef Wolfgang Rau moniert. Seinem Vortrag zufolge führt er einen Musterbetrieb, der etliche Vorteile einräumt, um seine Mitarbeiter zu halten. MHP betreut Menschen, die eine ständige Beobachtung benötigen – so kommen zwei speziell ausgebildete Kräfte auf einen Patienten.

Beruf und private Bedürfnisse lassen sich nicht vereinbaren

Der Intensivpfleger Stefan Raum betont, wie glücklich er über seine Zwölf-Stunden-Schichten ist. So könne er auf die „Klienten“ besser eingehen und habe einen halben Monat lang Freizeit. Nach mehr als 23 Jahren im Acht-Stunden-Betrieb könne er sagen: „Ich habe wieder ein Privatleben.“ Seine Kollegin, die Altenpflegerin Maria Viereck, schlägt in dieselbe Kerbe: „Damit kann ich mich vollumfänglich um meine Klienten kümmern – um Körper, Geist und Seele.“ Sie sei nun wesentlich entspannter daheim.

Bevor die Reisegruppe das Start-up Sodge IT in Balingen ansteuert, besucht sie den Medizintechnikhersteller Baxter in Hechingen. Deren Leitung vermittelt ihr unter anderem, dass es zwar die technischen Möglichkeiten und betrieblichen Regelungen gebe, die Arbeitszeit frei zu gestalten – dass aber stets ein Gesetzesverstoß drohe. Mit maximal zehn Stunden Arbeit am Tag und elf Stunden Ruhezeit ließen sich Beruf und private Bedürfnissen nicht vereinbaren. Da Hoffmeister-Kraut die vorgeschriebenen Ruhezeiten im Gesetz aber gar nicht antasten will, stellt sie nicht mal die Flexibilisierungsbefürworter vollends zufrieden.