Schmerzen kennen keine Sprechzeiten. Klar, wer einen schweren Unfall, Verdacht auf einen Herzinfarkt oder eine heftig blutende Wunde hat, kommt in die Notaufnahme im Krankenhaus. Doch was, wenn einen abends, nachts, an Feiertagen oder am Wochenende ein heftiger Magen-Darm-Infekt oder hohes Fieber beutelt? Diese Patienten dürften es im Südwesten nun schwerer haben, Hilfe zu finden. Der Grund ist ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG), wonach sogenannte Poolärzte, die freiwillig und gegen Bezahlung Not- und Fahrdienste in diesen Randzeiten übernehmen, „nicht automatisch selbstständig und somit sozialversicherungspflichtig sind“.
Mit der Praxis nicht vereinbar
Als Antwort darauf hat die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) den Einsatz von Poolärzten beendet, seit Mittwoch acht der 115 Notfallpraxen im Land geschlossen und bei vielen anderen die Öffnungszeiten reduziert. Ein drastischer Schritt? Ja, denn er geht auf Kosten der Patienten. Doch die Reaktion der KVBW ist nachvollziehbar.
Denn mit der Praxis ist das BSG-Urteil schlicht nicht vereinbar. Niedergelassene Ärzte sind gesetzlich dazu verpflichtet, Notfalldienste zu übernehmen. Im Alltag ist das für viele nicht zu stemmen. Wer etwa tagsüber Patienten versorgt und auch am nächsten Morgen wieder gefordert ist, will und kann dazwischen keine Zwölf-Stunden-Schicht schieben.
Die KVBW hat daher vor Jahren ein System mit zentralen Notfallpraxen an Krankenhäusern etabliert, das unter anderem Vertretungen auf Honorarbasis beinhaltet. Als Folge des Urteils müssten die rund 3000 Poolärzte im Land für ihre Tätigkeit, die sie bisher als Selbstständige abgerechnet haben, nun angestellt werden. Von der KV oder den niedergelassenen Ärzten. Der Ärzteverband argumentiert, dies sei finanziell und organisatorisch weder machbar noch zumutbar.
Mehr als 1000 unbesetzte Praxen im Land
Schon durch Urlaubs- und Krankheitsregelungen müssten künftig deutlich mehr Ärzte zum Einsatz kommen – die es aber gar nicht gibt. Es herrscht Ärztemangel. Aktuell sind 1100 Praxen in Baden-Württemberg nicht besetzt. Klar ist auch, dass die ohnehin schon überlasteten Notaufnahmen der Krankenhäuser mit noch mehr Patienten rechnen müssten.
Nun also die Notbremse der KVBW, mit der auch Druck auf die Politik ausgeübt werden soll. Zu Recht! Denn durch das BSG-Urteil wird ein gut funktionierendes System, das als vorbildlich gilt, ohne Not in Bedrängnis gebracht. Obwohl die Ampelkoalition betont, es sei wünschenswert, auch in anderen Bundesländern ambulante Notfallpraxen an Kliniken anzuschließen. Patienten können dort nun mal besser versorgt werden als bei Notdiensten in der Arztpraxis, wo teils nicht mal ein Röntgengerät zur Verfügung steht.
Was also tun? Die Ampelkoalition müsste schnell eine rechtliche Grundlage schaffen, die die Poolarzt-Einsätze weiter in ihrer bisherigen Form ermöglicht. An anderer Stelle hat sie dies ja getan. So mussten Ärzte, die in Corona-Impfzentren gearbeiteten haben, für diese Tätigkeit keine Abgaben zahlen.
In Praxen und Apotheken herrscht bereits jetzt viel Frustration – und geballte Wut auf Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und seinen Sparkurs. Zu viel Bürokratie, zu wenig Geld und Personal, massive Lieferengpässe bei Arzneimitteln – und viel zu wenig Zeit für die Patienten: Das alles drohe, „die von der Bevölkerung hochgeschätzte Versorgung mit Apotheke und Praxis vor Ort unwiederbringlich zu zerstören“, warnen Apotheker- und Ärzteverbände. Will die Bundesregierung die Heilberufler nicht noch mehr verbittern und selbst zum Notfall machen, muss sie handeln. Jetzt!