Lana Del Rey hat in der Berliner Mercedes-Benz-Arena ihr einziges Deutschlandkonzert gegeben. Die Retro-Pop-Queen meistert dabei den seltenen Spagat zwischen Instagram-Künstlichkeit und Authentizität – und ihre 17 000 Fans sind aus dem Häuschen.

Berlin - Der Retro-Pop-Queen Lana Del Reyeilt der Ruf voraus, ein Kunstprodukt zu sein, das vor allem live daran scheitert, ihre verwunschene, schwüle und wollüstige Musikwelt adäquat zu inszenieren. Die ausverkaufte Mercedes-Benz-Arena in Berlin, ein durchgestylter Tummelplatz mit einem Fassungsvermögen von 17 000 Besuchern, erlebt am Montagabend etwas ganz anderes: Eine Show, welche die Kunstfigur Lana Del Rey mit ihrer realen Doppelgängerin Elizabeth Grant zusammenfallen lässt – und den seltenen Spagat zwischen Instagram-Künstlichkeit und Authentizität meistert.

 

Sicher ist Lana Del Rey ein Pop-Sternchen, eine Diva mit angeklebten Wimpern, Schmollmund und sehr kurzem Hippie-Kleidchen, deren Lieder ein abgründiges Hollywood der Fünfziger und Sechziger glorifizieren. Sie ist aber eben auch eine selbstbestimmte Frau, die ihre Songs selbst schreibt, den Skandal scheut und sich glaubhaft im Mythos Kaliforniens mit seinen Licht- und vielen Schattenseiten suhlt. Und weil sie eben kein Produkt findiger Produzenten ist, nimmt man ihr all das ab, was bei den Taylor Swifts auf der Strecke bleibt. Deshalb ist es vollkommen okay, wenn sie lolitahaft auf einer Schaukel über der mit Palmen und Pappmaché-Felsen ausstaffierten Bühne schwebt oder sich lasziv auf dem Flügel räkelt und mit ihrer verrauchten Stimme kurz „Happy Birthday, Mister President“ anstimmt. „John F. Kennedy, of course“, fügt sie gleich an und es klingt wie ein Statement.

Der Star ist den ganzen Abend in Hochform

Was Lana Del Rey an diesem Abend auch tut: Ihr Publikum goutiert es mit tosendem Jubel oder andächtiger Stille. Natürlich gibt es alle ihre großen Hits, ihre verträumten, berauschten Zeitlupen-Abgesänge auf den amerikanischen Traum: „Born to die“, „Blue Jeans“, „Summertime Sadness“, dazu jüngeres Material wie „Cherry“, „White Mustang“ oder „13 Beaches“. Was auf ihren Alben mal poppig, mal verschleppt-kratzig, mal elektronisch klingt, wächst live dank ihrer Band zu einem betörenden, druckvollen Sog irgendwo zwischen „Twin Peaks“, Sixties-Pop, einem Sommerabend auf dem Sunset Strip und sehr laut krachendem Rock zusammen. Insbesondere aus dem finalen Kraftakt „Off to the Races“, auf Platte ein abgründiger Popsong mit prägnanten Beats, wird in Berlin ein tosendes Crescendo aus Gitarren, Drums und Del Reys durchdringender Stimme. Sie beherrscht es eben wie keine zweite, dieses betörende Gefühl zwischen Cabrio-Fahrt durch die Hollywood Hills, faulem Nachmittag am Pool und urbanen Legenden heraufzubeschwören. Wie die von Schauspielerin Peg Entwistle, die sich 1932 vom H des ikonischen Hollywood-Schriftzugs in den Tod stürzte.

Der Star selbst zeigt sich den ganzen Abend in Hochform. Mal kniet sie verführerisch am Bühnenrand und zieht den Ventilator in einer lässig-gekonnten Geste so an sich heran, dass er ihr die langen Haare kokett aus dem Gesicht weht, mal jammt sie mit ihrem Gitarristen und summt einige Liedzeilen von „Scarborough Fair“. Am außergewöhnlichsten ist jedoch ihre Fan-Nähe. Teilweise schreitet sie minutenlang die erste Reihe ab, macht Selfies mit ihren Fans, verteilt Küsschen und nimmt Geschenke entgegen. Auch das alles wird auf den großen Videoleinwänden in Schwarzweiß eingefangen und passt mit dieser Retro-Optik natürlich wie angegossen zu der Generation Instagram, die an diesem Abend in der Überzahl ist. Ganz ehrlich, es gibt deutlich schlechtere Idole.

Die Kunstfigur ist überhaupt nicht unglaubwürdig

Und deutlich schlechtere Performer: Schon mit dem Henry-Mancini-Intro „Experiment in Terror“ beweist Lana Del Rey diese Stilsicherheit, die fast schon unheimlich ist: Western-Gitarren, dumpfer Bass – noch bevor sie auf die Bühne schreitet ist das Publikum hinabgetaucht in diesem Strudel aus Dekadenz, verruchten Nächten am Strand, Zigarettenrauch und starken Drinks. Es wird die ganzen 100 Minuten nicht nachlassen. Was beweist: Kunstfiguren weder unnahbar noch unglaubwürdig sein müssen. Das schafft Lana Del Rey ohne einen einzigen Kostümwechsel. Lieber nutzt sie die Zeit, um ihr Publikum den einen oder anderen Song vorschlagen zu lassen. Und spielt mit „Serial Killer“ dann sogar ein Stück von 2013, das nie erschien. Alles eben nicht aus dem großen Buch der sterilen Pop-Megashow. Und auch deswegen ein Hochgenuss mit Seltenheitswert.