Der ehemalige Radprofi Lance Armstrong wird nach dem Dopingskandal in seiner Heimatstadt Austin entweder verachtet oder immer noch geliebt.

Austin - Es scheint, als komme diese Stadt mit dem ersten Buchstaben des Alphabets völlig aus. Das A begleitet einen auf Schritt und Tritt. Auf Plakaten, in Neon, an Hauswänden. Überlebensgroß stiehlt es sogar dem texanischen Stern die Show. A wie Austin. A wie Amerika. A wie Action. A wie Alphatiere. A wie Awesome. Und vor allem: A wie Armstrong! Lance Armstrong. Austin ist die Hauptstadt des US-Bundesstaates, Austin ist Armstrong-Country. Immer noch. Obwohl der 41-Jährige wegen Dopings jetzt lebenslang gesperrt ist.

 

Mellow Johnnys ist kein Fahrradladen wie jeder andere. Am Rand der Downtown Austins gelegen, ist er den meisten Besuchern der Musikclubs und den Fans der Formel 1 am vergangenen Wochenende verborgen geblieben. Dabei ist die schicke Kombination aus Bike-Geschäft und Café („Juan Pelota“) ein Zentrum der Bewegung. Wer hier zu Hause ist, wird schnell klar. Im Zeitschriftenständer steckt ein Aufklappbuch zur Tour de France, über den neuen Radlerhosen für den Winter hängen sieben Gelbe Trikots, säuberlich gerahmt und natürlich handsigniert.

„Alle denken, dass uns der Himmel auf den Kopf fällt“

„Yes, Lance ist einer der Besitzer“, sagt Will, der die Kunden empfängt. Die Muskeln des Mittdreißigers zucken kaum, als er erzählen soll, ob der Skandal um Austins Heldenfigur schlecht fürs Geschäft sei: „Alle meine Freunde außerhalb von Texas denken jetzt, dass uns der Himmel auf den Kopf fällt – aber das ist überhaupt nicht so. Die Leute können das trennen.“ Das hört man oft hier, als ob der Profi Armstrong und der Gutmensch Lance zwei verschiedene Persönlichkeiten wären. „Alle hier wissen, was er für die Stadt getan hat“, behauptet Will.

Austin ist nicht das Cowboyhut-Land, das sich mancher unter Zentraltexas vorstellt. Hier ist die Chipindustrie zu Hause, die riesige Universität. Viel Grün, auch von der Denke her – ungewöhnlich liberal. Die Austinites sind stolz darauf, anders zu sein als das Klischee. Barrack Obama hat hier die Mehrheit geholt, und das Fremdenverkehrsamt wirbt provokativ: „Komm nach Austin – es ist so schön, dass man gar nicht merkt, dass man in Texas ist.“ Deshalb war die Stadt auch früh das Zentrum der Radfahrer, schon vor Armstrongs Aufstieg. Jeder Linienbus hat vorn einen Radständer. Im Radlercafé mischen sich Hobbysportler mit Geschäftsleuten, und ein paar Touristen, die den alten VW-Pickup – natürlich in Gelb – fotografieren. Für Will ist Doping nichts Negatives, „einfach Teil des Sports. Die Leute freuen sich beim Baseball ja auch an einem Homerun.“ Der Satz müsste enden mit: „ . . . und nicht an den Steroiden, die den Schlag möglich machen“.

Darf der Bikeway noch den Namen Armstrong tragen?

Als ehemaliger Profi-Mountainbiker weiß er um die brutale Realität des Geschäfts, aber er versteht auch, dass der Fall Armstrong die Menschen spaltet: „Es gibt auch in Austin solche und solche, manche sind jetzt natürlich gegen ihn. Aber ich glaube, dass das Gute überwiegt.“ Bei einer Zufallsumfrage sagt ein Mittfünfziger auf der Straße: „Es ist doch nicht so, dass er den Weihnachtsmann umgebracht hat.“

Beim „Austin Statesman American“, der führenden Zeitung der 1,7-Millionen-Region, sieht man das kritischer. Eine Kolumne im Lokalteil befasst sich mit dem „Lance Armstrong Bikeway“, der über zehn Kilometer am Colorado River vorbeiführt und dazu beitragen soll, dass aus den 67 Fahrradtoten in diesem Jahr nicht noch mehr werden. Ken Herman hat nichts gegen den Radweg, nur gegen den Sportlernamen auf den grünen Schildern: „Das ist nicht mehr länger angemessen für Austin.“ Er verweist darauf, dass im australischen Adelaide, der Partnerstadt Austins, Armstrongs Name von der Ehrentafel getilgt wurde. „Alles, was er geleistet hat, basiert auf einer Lüge“, hat dort die Stadtdirektorin Anne Moran entschieden. Austins Bürgermeister Lee Leffingwell hält Armstrong hingegen die Treue: „Ich bin stolz auf meine Freundschaft mit ihm“, heißt es in einer Erklärung, „er ist nicht nur ein Freund von mir, sondern ein Freund von Austin und ein Held für Millionen von Krebs-Überlenden. Er ist eine Inspiration, und das kann ihm und uns niemals jemand nehmen.“ Die Stadt lehnt eine Umbenennung strikt ab.

Austin tut sich mit Armstrongs Demontage schwer

Ganz so hörig und leichtgläubig will der Lokalreporter nicht sein. Wütend fordert er, dass Armstrong die Schuld gegenüber seinem Hauptsponsor US Postal Service persönlich abtragen soll: „Setzt ihn auf sein Rad und lasst ihn ein paar Jahre lang die Briefe austragen.“ Weniger polemisch ist seine Auseinandersetzung mit dem Fahrradweg, die eine generelle Debatte ausgelöst hat, wie eine Stadt mit einem gefallenen Helden umzugehen hat: „Nach all dem, was wir heute wissen, käme doch niemand mehr auf die Idee, einen Weg nach ihm zu benennen. Wo soll denn da der Vorbildcharakter sein?“

Austin tut sich mit der Demontage schwer, in diesem komplizierten Gemisch aus Ethik, Sport, Geschäft, Stolz, Wut, Moral, Vernunft und Emotionen. Die Stimmung ist auch deshalb so ambivalent, weil Armstrong der größten US-Metropole, die in keiner der vier großen Profiligen mit einem Club vertreten ist, eine sportliche Identität gegeben hat. Nirgendwo in den Malls ist die Armstrong-Kleiderlinie heruntergesetzt, dafür bringt CNN morgen an Thanksgiving zur besten Sendezeit ein Special mit dem Titel: „Lance – und wie er die Welt sieht.“

Armstrong selbst, fordert der „Statesmen“, solle darum bitten, seinen Namen von dem Fahrradweg zu trennen. So, wie es vergangene Woche bei der Livestrong-Stiftung getan hat, der Gründer ist auch von allen Ämtern zurückgetreten. Schon anlässlich des 15-jährigen Bestehens der Hilfsorganisation hatte Armstrong, bei dem 1996 Hodenkrebs festgestellt worden war, gesagt: „Die Mission ist größer als ich es bin, als überhaupt ein Mensch es sein kann.“

Nicht protzig, aber stattlich

Zum Hauptquartier der Foundation in der East Sixth Street kommt man, wenn man Richtung Staatsfriedhof fährt. Patienten werden in einem riesigen Industrieloft von warmen Hölzern empfangen, in der Halle des Beratungszentrums steht eine gelbe Harley, an der Wand ein gelbes Surfbrett. Alles in der Farbe des berühmten Trikots oder des mittlerweile noch berühmteren Sympathiegummibands für das Handgelenk. Bilder des Stiftungsgründers finden sich nicht mehr, nur sein Leitspruch, er steht über dem Notausgang: „Es ist das eine, zu leben – aber es ist etwas anders, stark zu sein.“

Die letzte Etappe auf der Armstrong-Tour durch Austin ist die steilste. Sie führt an Krankenhäusern und Läden mit medizinischem Zubehör vorbei in eine stille, sich durch Wälder windende Straße. Bergab kommt einem – wie bestellt – ein Biker entgegen. In einer Kurve der Villengegend liegt hinter zwei riesigen schmiedeeisernen Toren am Hang das größte Anwesen: Foothill Terrace, hier ist Lance Armstrong zuhause. Ein Sandsteinensemble im toskanischen Stil, von Pinien flankiert, ein Bach plätschert. Nicht protzig, aber stattlich. Die Residenz wirkt warm an diesem kühlen Herbstabend. Das Vermögen des ehemaligen Radprofis Armstrong wird auf 125 Millionen Dollar taxiert. Von hier aus also lässt der gefallene Star seine 3,8 Millionen Follower starke Twittergemeinde an seinem neuen Leben teilhaben. Er sei aus Hawaii zurück, liege auf der Couch und schaue sich die Trophäen an: „Rumhängen eben.“

Der Stadt Austin, seiner Stadt, gratuliert er virtuell zur Formel-1-Premiere. Drei Seiten lang war die Liste der Prominenten beim Grand Prix der USA, auch ein amerikanisches Radidol war darunter: Greg LeMond – dreifacher Tour-de-France-Sieger und Dopingkritiker. „Habt Spaß“, twitterte Lance Armstrong.

A wie abwesend.