Selbstkritik zu üben, ist die baden-württembergischen Christdemokraten nicht gewohnt. Kein Wunder, dass sie jetzt verunsichert wirken. Kommt es auf dem Parteitag am Samstag in Karlsruhe zum Showdown?

Stuttgart - Selten haben die Christdemokraten im Land so bangen Herzens auf einen Parteitag geschaut. Zum zweiten Mal nach der Niederlage bei der Landtagswahl im März 2011 treffen sie sich. Vor fast genau einem Jahr, am 23. Juli 2011, hatten sie in Ludwigsburg mit Thomas Strobl einen neuen Landeschef gewählt. In den CDU-Bezirken kamen in der Folge neue Vorsitzende ans Ruder: in Nordwürttemberg Steffen Bilger, in Württemberg-Hohenzollern Thomas Bareiß, in Südbaden Andreas Jung – allesamt junge Leute, alle drei Bundestagsabgeordnete mit einigem Abstand zum Gebaren der früheren Landesregierung unter dem Ministerpräsidenten Stefan Mappus.

 

Nach der personellen Neuaufstellung sollte an diesem Samstag in Karlsruhe eigentlich die inhaltliche Neupositionierung folgen. In Ludwigsburg hatte die Partei eine Projektgruppe „Zukunftswerkstatt“ unter Leitung von Strobls Stellvertreter Winfried Mack eingesetzt. Der Auftrag lautete, einen „strukturierten Diskussionsprozess über die inhaltliche und organisatorische Ausrichtung der Partei in Gang zu setzen“. Hinter dem rhetorischen Dunst verbirgt sich der Versuch, die Episode Mappus vergessen zu machen und den Karren, den derselbe an die Wand gefahren hat, wieder flottzukriegen. Dieses Unterfangen aber gestaltet sich indes weitaus schwieriger als zunächst gedacht.

„Wir brauchen eine Reinigung“

Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen Mappus und die beiden Ex-Minister Willi Stächele sowie Helmut Rau haben die Partei aufs Neue aufgewühlt. Vorangegangen waren der Bericht des Landesrechnungshofs über den EnBW-Deal sowie die Veröffentlichung des bizarren E-Mail-Verkehrs zwischen Mappus und dem Banker Dirk Notheis in derselben Angelegenheit. Die Folge: nicht die Zukunftswerkstatt beschäftigt die Partei, sondern die Vergangenheitsbewältigung.

„Was wir brauchen, ist eine Reinigung“, sagte ein Landtagsabgeordneter dieser Tage – ein purifizierender Akt, welcher der Partei den „blinden Autoritätsglauben“ austreibe. „Wenn wir uns nicht ändern, werden uns die Wähler ändern.“

Sehnsucht nach dem starken Mann

Das setzt jedoch Selbstkritik voraus. Und darin liegt das Problem. Der Abgeordnete erinnert an den Wechsel von Günther Oettinger zu Stefan Mappus. Viele in der Partei hätten in dem Pforzheimer den durchsetzungsfähigen Politiker gesehen, den sie sich nach dem wankelmütigen Oettinger ersehnten. „Endlich wieder ein waschechter Konservativer“, hätten viele gejubelt – verkennend, dass Mappus nur den Konservativen spielte, weil er die emotionale Leerstelle im Seelenhaushalt der Partei erkannt und diese aus Machtkalkül besetzt hatte.

CDU-Landeschef Strobl versuchte in einer Erklärung vor dem Parteitag zu retten, was nur schwer zu retten ist. „Wir dürfen nicht die wichtigen Sachthemen aus den Augen verlieren, mit denen wir in der Landespolitik konfrontiert sind“, ließ er verlauten. Er versuchte es mit einem Angriff auf die grün-rote Landesregierung: „desaströse Schulpolitik“, Neuverschuldung, Infrastruktur – da lägen doch die wahren Probleme. Aber auch Strobl räumte ein: „Wir müssen die Fehler der Vergangenheit offen ansprechen und uns einer ehrlichen Diskussion stellen.“

Unerbetene Ratschläge aus Berlin

Dieser Aufruf zur Selbstkritik erschien Strobl auch mit Blick auf Äußerungen einiger Berliner Parteigrößen angezeigt, und zwar solchen, die aus dem Südwesten stammen. Bildungsministerin Annette Schavan hatte die Südwest-CDU ermahnt: „Es ist jetzt wichtig, dass wir zusammenhalten, uns nicht gegenseitig Vorwürfe machen.“ Strobl konterte gallig, das Letzte, was Mappus zu Fall gebracht habe, sei mangelnde Loyalität gewesen. Auch Volker Kauder, der Chef der Bundestagsfraktion, ließ die Südwest-CDU wissen, sie solle sich keine Diskussionen über die Vergangenheit aufdrängen lassen. Die Wortmeldungen Schavans und Kauders kamen im Land gar nicht gut an. Solche Ratschläge ausgerechnet von diesen beiden, die in Berlin darauf hingearbeitet hatten, den Ministerpräsidenten Oettinger nach Brüssel wegzuloben und durch Mappus zu ersetzen, gelten als Provokation. Schavans Einfluss in der baden-württembergischen CDU schmilzt wie der Schnee in der Sonne; viel ist nicht mehr da. Auch Kauder gilt vielen im Landesverband als Auslaufmodell. Auf dem Parteitag wird er aber sprechen.

Was aber wird aus der inhaltlichen Erneuerung? „Vielfältig, bodenständig, bürgernah. Moderne Bürgerpartei auf sicherem Fundament“ – so lautet der Titel des Leitantrags aus Winfried Macks Zukunftswerkstatt. Der Aalener Landtagsabgeordnete will die Partei aus der, wie er findet, wirtschaftspolitischen Verengung der vergangenen Jahre herausführen. „Über zwei Drittel der Themen haben wir nicht mehr gesprochen“, sagt er und meint damit „Wertethemen“. Er plädiert für ein „Zurück zur Gesellschaftspolitik“.

Anleihen bei Grün-Rot

Das Papier beginnt bedeutungsschwer mit dem Satz: „Wir hören zu.“ Der grün-rote Slogan der „Politik des Gehörtwerdens“ lässt grüßen. Manches gemahnt an den Altministerpräsidenten Erwin Teufel, so zum Beispiel, wenn die CDU als „Anwalt der kleinen Leute“ positioniert wird. Das christliche Menschenbild spielt eine große Rolle. Die Formulierung „Wir wollen eine klare Orientierung in Stilfragen“ klingt wie eine direkte Antwort auf die E-Mail-Botschaften, die Mappus und sein Freund Notheis wechselten. Mack war in der Vergangenheit übrigens eher dem Mappus-Lager zuzuordnen. Woraus sich erhellt: die CDU ist ein lernender Organismus – aber auch ein verletzter, leidender, widerspruchsvoller. Eine „Hausordnung für ein Seniorenstift“ nennt ausgerechnet ein Abgeordnetenkollege den Leitantrag.

Mit der Landtagsfraktion ist es überhaupt so eine Sache. Deren Chef Peter Hauk ist keineswegs unangefochten. Aber das gilt derzeit praktisch für alle, die in der Landes-CDU ein Amt bekleiden. Er erkenne nur „Mittelmaß und Milchzähne“, klagt ein Südwürttemberger. So wie sich die Lage darstellt, liegt vor der CDU noch ein steiniger Weg. Wohin er führt, wagt derzeit niemand in der Partei zu sagen.