Exklusiv Die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) soll eine Gesetzeslücke genutzt haben, um Millionengeschäfte mit Aktien zu Lasten des Fiskus zu machen. Dadurch könnte der Staat um mehr als 100 Millionen Euro geschädigt worden sein.

Stuttgart - Die Aufregung in Hamburg und Schleswig-Holstein war erheblich, als die „Bombe“ bei der HSH Nordbank vor wenigen Tagen platzte. Die mehrheitlich dem Stadtstaat und dem Land gehörende Bank habe per „Dividendenstripping“ jahrelang Geschäfte auf Kosten des Staates gemacht. Das provozierte empörte Kommentare aus der Politik. „Erschreckend“ nannte der Hamburger Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD) das mutmaßliche Ausmaß des Schadens, knapp 130 Millionen Euro. „Bankgeschäfte, die darauf abzielen, den Steuerzahler zu schädigen, sind für eine Landesbank und jedes andere seriöse Finanzinstitut völlig unvertretbar“, sagte Tschentscher. „Wer sich Kapitalertragsteuer anrechnen und erstatten lässt, die er gar nicht gezahlt hat, handelt nicht redlich“, sekundierte die Kieler Finanzministerin Monika Heinold (Grüne).

 

In Baden-Württemberg, wo vergleichbare Geschäfte bei der LBBW bisher nur intern bekannt waren, blieben die politischen Reaktionen zunächst verhalten. Selbstverständlich seien Unternehmen „an Recht und Gesetz gebunden“, sagte eine Sprecherin von Finanzminister Nils Schmid (SPD), die ansonsten unter Verweis auf das Steuergeheimnis schwieg. Die Landesbank selbst antwortete da fast deutlicher auf die Frage, wie solche Geschäfte bei Instituten im Besitz der öffentlichen Hand bewertet würden: „Aus Sicht der Bank sind Handlungen, die dem Geist der Steuer-Gesetzgebung widersprechen, nicht akzeptabel.“ Die Einschätzung der StZ, es gebe Parallelen zwischen den Vorgängen bei der LBBW und der HSH Nordbank, wollte sich der Sprecher allerdings „ausdrücklich nicht zu eigen“ machen.

Tatsächlich erscheinen die beiden Fälle in mancher Hinsicht ähnlich – und in anderer unterschiedlich. Vergleichbar dürfte im Norden und im Süden das Vorgehen gewesen sein (siehe Infokasten). Durch den schnellen Hin- und Herverkauf von Aktien, bei dem die Finanzverwaltung den Überblick verlor, wurde die einmal gezahlte Kapitalertragsteuer auf Dividenden doppelt oder sogar mehrfach zurückerstattet. Vergleichbar ist dem Vernehmen nach auch der Ausfall für den Fiskus: Er liegt hier wie dort im dreistelligen Bereich.

Erstmals geraten zwei Staatsbanken in den Verdacht

Gewisse Unterschiede gibt es bei dem Zeitraum, in dem die fraglichen Geschäfte getätigt wurden. Bei der HSH Nordbank sollen sie noch bis 2011 gelaufen sein, während das krisen- und affärengeschüttelte Institut bereits mit Milliarden vom Steuerzahler gestützt wurde. Bei der LBBW soll es sie von 2009 an, als auch im Südwesten Milliardenhilfen auf den Weg gebracht wurden, nicht mehr gegeben haben. Der amtierende Vorstandschef Hans-Jörg Vetter, der offenbar die interne Aufarbeitung veranlasste, hat demnach ein reines Gewissen. Was sein Vorgänger Siegfried Jaschinski und der früher für den Kapitalmarkt zuständige Vorstand Hans-Joachim Strüder wussten, ließ sich zunächst nicht in Erfahrung bringen. Angeblich soll es sich um kein systematisches Geschäftsgebaren gehandelt haben, sondern um Aktivitäten einzelner Händler. Angesichts der Dimension des möglichen Schadens für den Fiskus erscheint es allerdings schwer vorstellbar, dass höheren Ebenen überhaupt nicht eingebunden waren.

Mit der HSH Nordbank, die inzwischen ihre Steuererklärung korrigierte, und der LBBW geraten erstmals zwei Staatsbanken in den Verdacht, in die womöglich illegalen, sicher aber illegitimen Geschäfte verstrickt zu sein. Zuvor waren solche Transaktionen im teils großen Stil schon bei anderen Banken bekannt geworden – etwa bei der Hypo-Vereinsbank, die bereits seit 2011 in den eigenen Reihen recherchiert, oder der Schweizer Bank J. Safra Sarasin. In Frankfurt am Main und München sollen nach Medienberichten bereits die Staatsanwaltschaften mit den Cum-Ex-Geschäften befasst sein. Der Gesamtschaden, schätzen Experten, könnte in die Milliarden gehen.

Auch in Stuttgart ist inzwischen die Justiz eingeschaltet. „Selbstverständlich“ habe man die Staatsanwaltschaft „über den Sachverhalt informiert“, sagte ein LBBW-Sprecher. Wie dort damit umgegangen wird, war zunächst nicht zu erfahren. Nähere Auskünfte wären wohl nur möglich, wenn die LBBW die Behörden vom Steuergeheimnis befreien würde – was ein anderes Landesunternehmen unlängst vorexerziert hat: Die EnBW erlaubte es dem Land immerhin partiell, über steuerliche Aspekte ihrer Russland-Affäre zu reden.

Cum-ex-geschäfte – Steuertrick oder Steuermissbrauch?

Ausgetrickst:
Cum-Ex-Geschäfte heißen so, weil Aktien dabei erst mit (cum) und dann ohne (ex) Dividende gehandelt werden. Da die Geschäfte in einer schnellen und komplizierten Abfolge getätigt wurden, verloren die Finanzämter offenbar den Überblick. In der Folge wurden mehrere Bescheinigungen über gezahlte Kapitalertragsteuern ausgestellt, obwohl diese nur einmal abgeführt worden waren. Eine Rolle spielten dabei sogenannte Leerverkäufe über den Dividendenstichtag, bei denen die Aktie mit einer – früher nicht besteuerten – Kompensationszahlung in Höhe der Nettodividende zu liefern waren.

Ungeklärt:
Seit 2012 ist diese gezielt genutzte Gesetzeslücke durch eine Systemumstellung geschlossen. Bereits 2007 wurden die Steuerspar-möglichkeiten für inländische Leerverkäufe eingeschränkt; danach wurden ausländische Leerverkäufer und inländische Käufer benötigt. Ob es sich um eine zulässige oder missbräuchliche Steuergestaltung handelt, ist noch nicht abschließend entschieden. Vor dem Bundesfinanzhof soll darüber im April nächsten Jahres verhandelt werden.