Der Landtag feiert 60 Jahre Baden-Württemberg. Doch den eigenen Bedeutungsverlust blendet das Parlament aus. Da muss schon Andreas Voßkuhle kommen.

Stuttgart - Im Lob der Maultasche fanden sich alle vereint – am Mittwoch beim Festakt im Landtag zur Gründung des Landes Baden-Württemberg vor 60 Jahren. Es blieb der Studentin Lisa Schell vorbehalten, nach den gediegenen Festreden – darunter Landtagspräsident Guido Wolf, Ministerpräsident Winfried Kretschmann sowie Andreas Voßkuhle, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts – etwas Farbe in das parlamentarische Jubiläumsgeschehen zu bringen. Eine umsichtige Regie hatte drei Studenten in das Programm integriert, die ihre Gedanken zu den 60 Jahren Baden-Württemberg ausbreiten sollten. Die 20-jährige Lisa Schell also bekundete programmatisch ihr Selbstverständnis als Baden-Württembergerin: „Ich würde nie auf die Idee kommen zu sagen, ich käme aus Baden oder aus Württemberg.“ Das Land sei dreimal so alt wie sie selbst. „Für mich ist es unvorstellbar, dass es eine Zeit gab, in der es das Bundesland-Württemberg nicht gab.“

 

Wo die schwäbische Zunge erklingt

Das freute natürlich die versammelten Abgeordneten, und dies fraktionsübergreifend. Zumal Voßkuhle, nach der politischen Etikette der fünfthöchste Repräsentant der Bundesrepublik, zuvor in seiner Rede noch mit Verweis auf eine Publikation der Landeszentrale für politische Bildung die Frage aufgeworfen hatte, ob sich die Bürger überhaupt zu dem Bindestrich-Land bekennen würden – oder das Ganze nicht doch in die Teilidentitäten der Schwaben, Badener, Franken und Kurpfälzer zerfalle. Voßkuhle ließ erkennen, dass er nach 60 Jahren an die Existenz vollumfänglicher Baden-Württemberger zu glauben gewillt ist. Lisa Schell sagte dann noch, dass sie Maultaschen über alles liebe, und sich gleich wie zu Hause fühle, wenn außerhalb des Landes die schwäbische Zunge erklinge. Ihre Befriedigung über die Abschaffung der Studiengebühren kam allerdings nur in der grün-roten Abteilung der Festgemeinde richtig gut an. Der angehende Jurist Julian Rapp sagte, die Perspektive der jungen Generation sei Europa. Lokale Abgrenzungen seien nicht mehr so wichtig, auch wenn das Lokalkolorit noch aufscheine – in seinem Fall als Südbadener („Breisgauer, um genau zu sein“).

Europa war auch das Thema des Verfassungsgerichtspräsidenten aus Karlsruhe. Andreas Voßkuhle zeichnete in kurzen Strichen die machtpolitisch gegenläufige Entwicklung in den Bundesländern nach: auf der einen Seite die Entmachtung der Landesparlamente durch einen Kompetenzverlust an den Bund und an Europa, auf der anderen Seite der Machtzuwachs für die Landesregierungen durch die erweiterten Mitspracherechte im Bundesrat. Während sich der Bundestag indes gewisse Vetorechte gegenüber Brüssel gesichert habe, stünden die Landesparlamente dem Kompetenzverlust „weitgehend schutzlos“ gegenüber.

Bedeutungsverlust der Landtage

Allerdings wies Voßkuhle darauf hin, dass das Landesverfassungsrecht „eine Bindung der Landesregierung beim Stimmverhalten im Bundesrat“ herstellen könne. Bisher stimmen die Landesregierungen in der Länderkammer im Prinzip nach ihrem eigenen Gutdünken ab. Sie sind nicht verfassungsrechtlich, allenfalls politisch an den Willen ihres jeweiligen Landesparlaments gebunden.

Es geht aber auch anders. Voßkuhle nannte in diesem Zusammenhang die Änderung der baden-württembergischen Landesverfassung vom Februar vergangenen Jahres. Demnach muss die Landesregierung den Willen des Landtags beachten, sofern es um die Übertragung ausschließlicher Gesetzgebungskompetenzen des Landes an die Europäische Union geht. Sollte diese Regelung auch von anderen Ländern übernommen werden, könne der Bedeutungsverlust der Landtage nicht nur gestoppt, sondern teilweise rückgängig gemacht werden. Voßkuhle sprach von einem „Silberstreifen“ für die Landesparlamente. Baden-Württemberg sei wieder einmal weitsichtig vorangeschritten. Irritierenderweise warf Voßkuhle zugleich aber die Frage auf, ob eine solche Fesselung der Landesregierung im Bundesrat mit dem Grundgesetz zu vereinen sei. Diese Unentschiedenheit ist aber seiner Position als Verfassungsrichter geschuldet.

Ministerpräsident Kretschmann pries in seinem Vortrag die „einzigartige Unternehmenslandschaft“ im Südwesten. Landtagspräsident Wolf forderte die grün-rote Koalition zum Sparen auf. Bereits am Vorabend hatten FDP und CDU eigene, teils nostalgisch gefärbte Rückblicke auf 60 Jahre Baden-Württemberg gehalten.