Dieselskandal, Klinikaffäre – die Wirtschafts-Ermittler des Landeskriminalamts kommen mit der Arbeit kaum noch nach. Die Abteilung werde von Großverfahren geradezu überrollt, mahnen Kritiker – und rufen nach mehr Personal.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Die Wirtschaftsermittler des Landeskriminalamts (LKA) Baden-Württemberg ächzen unter immer mehr aufwändigen Großverfahren. Fälle wie der Dieselskandal um Daimler und Bosch oder die Affäre um das Stuttgarter Klinikum bringen die landesweit für schwere Wirtschaftsdelikte zuständige Abteilung an die Kapazitätsgrenze. „Wir sind sehr stark belastet“, sagt der zuständige Abteilungsleiter Thomas Lutz unserer Zeitung. Wegen der vordringlichen Verfahren werden andere Fälle in Absprache mit dem Staatsanwalt zunächst zurückgestellt.

 

Der Landesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), Steffen Mayer, sieht die Wirtschaftsermittler geradezu „von Großverfahren überrollt“. Immer komplexere Sachverhalte, wachsende Datenmengen und die damit verbundene längere Verfahrensdauer bänden immer mehr Personal. Aus Mayers Sicht hat es sich bewährt, dass die Zuständigkeit für schwere Wirtschaftsdelikte mit der Polizeistrukturreform 2014 landesweit beim LKA gebündelt wurde. Nun aber gelte es zu prüfen, ob dort und bei den Polizeidirektionen genügend Personal zur Verfügung stehe. Der Berufsverband fordere, dass die Polizei im Kampf gegen den „extrem sozialschädlichen Bereich der Wirtschaftskriminalität personell besser aufgestellt werden müsste“. Obwohl derartige Delikte nur ein bis zwei Prozent aller registrierten Fälle ausmachen, verursachen sie etwa die Hälfte der Schäden durch Straftaten.

„Mehr Personal dringend erforderlich“

Die Präsidentin der Rechtsanwaltskammer Stuttgart, Ulrike Paul, hält die LKA-Wirtschaftsabteilung für „personell unterbesetzt“. Durch komplexe Verfahren mit aufwändigen Ermittlungen und oft auch internationalen Bezügen würden derzeit besonders viele Kapazitäten gebunden. Nach ihrem Eindruck führt dies dazu, dass „manche Komplexe aus Personalnot nicht umfänglich aufgeklärt werden“. Für Paul ist daher „eine personelle Aufstockung dringend erforderlich“. Die lange Dauer der Verfahren sei für die Beschuldigten eine „ungeheure Belastung“. Im Schnitt dauern sie zwei bis drei Jahre. Auch bei Staatsanwaltschaften und Gerichten hält die Anwältin mehr Personal für nötig.

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Dem Innenministerium von Thomas Strobl (CDU) liegen „konkrete Beschwerden“ über die Belastung der Wirtschaftsermittler nicht vor. Großverfahren bedeuteten eine „personelle, technische und organisatorische Herausforderung“, sagt ein Sprecher. Dennoch sei es in den vergangenen Jahren nur vereinzelt vorgekommen, dass Fälle vom LKA nicht angenommen werden konnten oder an regionale Polizeipräsidien abgegeben werden mussten. Angesichts einer bevorstehenden Pensionierungswelle sucht das Landeskriminalamt derzeit neue Wirtschaftskriminalisten. Dabei setzt es besonders auf Experten von außerhalb der Polizei, etwa aus Unternehmen oder Prüfungsgesellschaften.