Ein grüner Verkehrsminister, der Straßen bauen lässt? Winfried Hermann hat bewiesen, das dies kein Widerspruch ist. Daneben hat er den Nahverkehr im Land reformiert – und das Fahrrad nicht vergessen.

Stuttgart - Straßenbauminister – diesen Begriff hört der grüne Verkehrsminister gar nicht gerne. Doch wer Winfried Hermann durch seine fast fünf Amtsjahre begleitet, hat längst erkannt, dass er sich im Bereich Straßenbau genauso tief in die Materie eingearbeitet hat wie bei den Thema Eisenbahn- oder Fahrradverkehr. „Nichts ist so simpel, wie einem grünen Verkehrsminister zu unterstellen, der will gar keine Straßen bauen, und deswegen verschmäht er Geld“, hat er sich gegen Vorwürfe gewehrt, die ihn zur Mitte der Legislaturperiode landauf, landab begleiteten. Hundert Millionen Euro seien ihm vom Bund angeboten haben, er habe sie mangels baureifer Projekte zurückgewiesen, triumphierten Kritiker vor allem aus der Reihen der CDU.

 

„Diese Unterstellung waren völlig falsch, wurde aber von der Opposition erfolgreich kommuniziert“, sagte Hermann. Nie sei vom Bund eine Summe genannt worden und schon gar nicht in Höhe von 100 Millionen Euro. Letztlich seien sechs Millionen Euro nicht verbaut worden. Aber auch das ärgerte den Minister. Er schaffte neue Stellen für Bauingenieure, straffte Abläufe in den Verwaltungen. Nun kann er feststellen, dass Bund und Land so viel Geld wie nie zuvor in Baden-Württembergs Straßen investiert haben. Allerdings unter neuen Vorzeichen, Vorrang haben Erhalt und Sanierung, nicht der Neu- und Ausbau. Vor der grün-roten Regierungszeit war das Verhältnis andersherum.

Angriffsflächen bot das Verkehrsministerium zunächst bei einem Zehn-Milliarden-Thema. Im Herbst 2016 sollte der Zugverkehr (fast) im Land neu geordnet werden. Dann endet ein Vertrag zwischen dem Land und der Bahn-Tochter DB Regio, der 2003 abgeschlossen wurde. Eine Milliarde Euro habe die DB Regio als Betreiber des Regionalverkehrs bei diesem Großen Verkehrsvertrag bis zu dessen Auslaufen zu viel kassiert, sagten Kritiker, zu denen sich auch Winfried Hermann zählt. Geschlossen worden sei der Vertrag 2003 als eine Art Quersubventionierung von Stuttgart 21, hieß es immer wieder.

Die Sache zog sich. Hermann musste früh einräumen, dass es auf den wichtigen Strecken mit Anschlussverträgen 2016 nichts wird, und 2017 und 2018 auch nicht. Das Fachwissen seiner hauseigenen Nahverkehrsgesellschaft reichte ihm nicht aus. Hermann schaltete externe Experten ein und ebenso renommierte Anwaltskanzleien. Das kostete zunächst viel Geld und auch viel Zeit. In Ausschreibungen sollten sich Eisenbahnverkehrsunternehmen beim Land darum bewerben, ihre Züge auf den Schienen der DB rollen zu lassen. „Noch nie war eine Ausschreibung so kompliziert“, heißt es unter Eisenbahnern. Die Ergebnisse dieses Verfahrens nennt Ministerpräsident Winfried Kretschmann „unglaublich“ und „sensationell“. Der Wettbewerb brachte Preise, auf die wohl auch Hermanns Experten kaum zu hoffen gewagt hatten und ihnen letztlich recht geben: Das Land bezahlt seinen sehr hohen Preis an die DB Regio. Nicht nur Eisenbahnunternehmen aus den Niederlanden oder Großbritannien legten Angebote vor, die um mehr als ein Drittel unter den bisherigen Kilometerpreisen liegen, sondern sogar die Tochter des Staatskonzerns selbst. Und zwar trotz des Einsatzes neuer, modernen Züge, die nun im Sommer 2019 rund um Stuttgart rollen sollen. Mit derselben Summe an Ausgaben kann somit das Fahrplannetz im Land engmaschiger gestrickt werden.

Unglücklich für Hermann ist allenfalls, dass er diese für das Land so lukrativen Verträge womöglich nicht vor den Landtagswahlen als seinen größten Erfolg vorzeigen kann. Sein Haus hat einen Formfehler der DB Regio ausgemacht, über den in diesen Tagen die Vergabekammer befindet. Gibt die Karlsruher Kammer Hermann recht, wird die Bahn wohl den Rechtsweg wählen. Weitere Monate werden verstreichen, während den vorläufigen Siegern des Wettbewerbs beim Bestellen neuer Zuggarnituren die Hände gebunden sind. Für die Periode zwischen 2016 und 2019 hat die DB Regio Übergangsverträge erhalten, schon diese fallen für das Land erheblich günstiger aus als der Große Verkehrsvertrag.

Reformieren wollte das Verkehrsministerium auch die Finanzierung der Omnibusverkehre im Land. Bislang erhalten Busunternehmen aus der Landeskasse jährlich 200 Millionen Euro als Ausgleich für Rabatte bei den Schülerkarten. Nach einem neuen Modell sollten die Zuschüsse über die Landkreise zu den Unternehmern gelangen und dabei die Fläche des Landkreises, Fahrgastzahlen sowie das Fahrplanangebot berücksichtigt werden. Hermann setzte sich gegen die kommunalen Spitzenverbände nicht durch. Das Projekt sei verschoben, hieß es im Sommer 2014. Seither ist es um die Reform still geworden.

Zu seinen Lieblingsvorhaben zählte der Minister früh die Einführung eines Landestickets, das bei Fahrten in ganz Baden-Württemberg gelten sollte. Als Zeitpunkt für die Einführung schwebte ihm zunächst das Jahr 2016 vor. Doch nach Gesprächen mit verschiedenen Beteiligten musste Hermann feststellen, dass es nicht so einfach ist, die Interessen von 22 Verkehrsverbünden im Land zu verknüpfen. Das Ticket soll nach wie vor flächendeckend eingeführt werden – in Stufen bis 2021.

Zu Beginn seiner Amtszeit war Hermann als ausgewiesen Linker unter den Grünen durchaus umstritten. Und mit Äußerungen wie jener im Januar 2012, als er in der StZ sagte, dass Stuttgart 21 kaum vor dem Jahr 2025 eingeweiht würde, trug er nicht gerade zum Frieden in der Stadt bei. Inzwischen drückt er sich diplomatischer aus. Sein Fleiß und der seiner Mitarbeiter kommen zum Tragen. Längst zählt er zu den Stützen in Winfried Kretschmanns Kabinett. Der schickt ihn als sein Stellvertreter an die vorderste Front. Beim Narrenempfang der Landesregierung am Dienstag begrüßte Hermann die Gäste, verkleidet als schnittiger Rennfahrer Biberle mit dicker Lederjacke, Lederhaube und Schutzbrille. Ein Freund von Tempo 120 auf Autobahnen nimmt sich für mal selbst nicht ganz ernst? Manche Quellen sagen freilich, der Rennfahrer Erwin Biber, genannt „Biberle“, sei ein erfolgreicher Radrennfahrer gewesen. Doch auch da passt das Bild, als flotten Radfahrer sieht sich Hermann bestimmt gerne.

Einzelne Politikfelder

Nachhaltige Mobilität

Minister Winfried Hermann ist in Stuttgart häufig mit dem Fahrrad oder mit dem Pedelec unterwegs. Auch dienstlich. „Wir haben Fahrräder, vier Pedelecs und Fahrkarten für den ÖPNV im Fuhrpark“, sagt Hermann. Von fünf Dienstwagen fährt einer nur elektrisch. Hermanns Dienst-Mercedes C 350e glänzt als Plug-in-Hybrid, sein Fahrer soll es bei maximal Tempo 120 belassen. Neue Antriebsarten im Bereich der Mobilität sind im Koalitionsvertrag ausführlich beschrieben, vom „zentralen Zukunftsprojet für Baden-Württemberg“ ist da zu lesen. Hermanns Ministerium darf sich zu den Vorreitern zählen. Die Bevölkerung zieht noch nicht recht mit: 200 000 Fahrzeuge mit Elektromotor sollen in fünf Jahren auf den Straßen Landes rollen, derzeit sind es gut 5000.

Straßenbau

Im Koalitionsvertrag wird beim Thema Neubau von Straßen kräftig gebremst: „Durch die bestehende Netzdichte von Autobahnen, Bundes- und Landesstraßen sind Straßenneubauten aufgrund der Siedlungsdichte und des Gebotes, den Flächenverbrauch zu reduzieren, nur noch in begründeten Einzelfällen zu realisieren“. Das hat das Verkehrsministerium nicht durchgehalten, letztlich wurde doch eine Reihe neuer Straßen in Angriff genommen. Allerdings erstellte das Ministerium eine Prioritätenliste. Obwohl Hermann vor seinem Amtsantritt in Stuttgart jahrelang Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Bundestag war, habe er nie verstanden, nach welchen Kriterien Straßen gebaut werden, ließ er einmal wissen. Ministerpräsident Kretschmann sprang ihm bei: „Jeder Politiker mit Einfluss verwendet die Argumente so, dass die Straße bei ihm landet. Bei der Endlagersuche ist es umgekehrt.“ Hermann schickte die Prioritätenliste nach Berlin und erzielte einen Teilerfolg. Der Bund richtete sich mitunter danach, und manchmal eben nicht.

Großprojekte

Ein grüner Verkehrsminister baut Stuttgart 21? Im Koalitionsvertrag ist festgehalten, dass die SPD für den Tiefbahnhof ist, die Grünen dagegen. Aber da steht auch: Die Bürger sollen entscheiden. Genauso kam es, mit dem im ganzen Talkessel sichtbaren Ergebnis. Als Gegner des Tiefbahnhofs tat sich Winfried Hermann zunächst nicht leicht bei der Umsetzung, später wählte er eine sachliche und pragmatische Linie. Hermanns Herz hängt an einem zweiten Großprojekt. Der Ausbau der Rheintalbahn ist ähnlich teuer, aber verkehrspolitisch weitaus wichtiger als Stuttgart 21. In den letzten Jahren wurde der Lärmschutz auch dank einer intensiven Beteiligung der Bürger erheblich verbessert und mache geplante Trasse verlegt. Gleise werden nun vor allem für die Güterzüge gebaut. Das passt zu dem Ziel im Koalitionsvertrag, mehr Güter auf die Schiene zu bringen. Zu den Nebenstrecken wird im Grün-Rot-Papier nichts gesagt. „Unter meiner Amtszeit wird es keine Streckenstilllegungen geben“, hatte Hermann aber früh betont – und hat Wort gehalten.

Radverkehr

Wir wollen das bestehende lückenhafte Radwegenetz attraktiver und sicherer machen und vor allem flächendeckend ausbauen – so ist es im Koalitionsvertrag zu lesen. Knapp fünf Jahre später ist noch immer von großen Zielen zu lesen: so soll der Anteil der mit dem Rad zurückgelegten Wege bis 2020 auf 16 Prozent verdoppelt werden. Hat sich nichts getan? Doch, durchaus: Ins Rad wird mehr investiert, vom Land wie von den Kommunen. Abstellplätze werden gebaut, in Zügen die Fahrradmitnahme gefördert. Ein Radnetz wurde beschlossen, das Lücken zwischen größeren Kommunen schließt. Der Minister wirbt fürs Rad, wo er kann. Jetzt müssen die Menschen nur noch aufsitzen, und dies nicht nur in den Studentenstädten.