Je näher die Volksabstimmung rückt, desto mehr verlagert sich das Ringen um Stuttgart 21 auf die Kosten des Ausstiegs aus dem Bahnprojekt.

Stuttgart - Man gewöhnt sich nur schwer dran, wie sich die grün-rote Koalition sich als zänkische Großfamilie präsentiert. Auf der einen Seite stehen ihre Frontmänner, der Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und Stellvertreter Nils Schmid (SPD). Beide rufen jetzt per Videoclip 49 Sekunden lang in Kneipenatmosphäre bei naturtrübem Apfelsaft das Volk auf, am 27. November in Sachen Stuttgart 21 abzustimmen. Aber hinter deren Rücken prügeln sich die Exponenten der konkurrierenden Stuttgart-21-Flügel.

 

SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel, Lautsprecher der Projektbefürworter im Regierungslager, bezichtigt Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne), gegen den Koalitionsknigge verstoßen zu haben. Darin haben die Koalitionäre Grenzen gezogen, die im Streit über das Bahnhofsprojekt nicht überschritten werden sollen. So will man nachhaltige Verletzungen vermeiden.

Allerdings gibt es diesen Knigge nicht in Schriftform. Die Grenzlinien sind also auslegungsfähig. Schmiedel meint, Hermanns heutiger Auftritt liege jenseits davon. Der notorische Anti-Tiefbahnhof-Aktivist tritt heute mit einem Prüfer der Märkischen Revision GmbH vor die Presse, um eine Einschätzung der Ausstiegskosten zu präsentieren.

Schmiedel will Überarbeitung der Koalitionsvereinbarung

Es gehört nicht viel Fantasie dazu zu sagen, Hermann werde diese auf "unter 350 Millionen" taxieren. Genau so steht es nämlich in jener Broschüre, die demnächst den Haushalten im Land zugehen wird. Dort liefert die Landesregierung auf 14 Seiten Informationen zur Volksabstimmung, darunter je vier Seiten Pro- und Kontra-Punkte zum Ausstieg. Bei den Argumenten gegen den Ausstieg tauchen dort 1,5 Milliarden Euro als Ausstiegskosten auf.

Schmiedel hat auch vorgeschlagen, die grün-rote Koalitionsvereinbarung nachzuarbeiten. Dort steht, dass die Partner zu Stuttgart 21 unterschiedlicher Meinung sind. Schmiedel will in dem Papier auch die Konsequenzen der Volksabstimmung beschreiben. Wird am 27. November der Ausstieg abgelehnt, sollen auch die Grünen das Projekt positiv begleiten; wird der Ausstieg gewählt, solle auch die SPD die Abwicklung aktiv betreiben, fordert er. Allein: die Grünen sehen keinen Handlungsbedarf.

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