Zweimal im Jahr wird die Affalterbacher Kelter zur Nähstube. Dann treffen sich dort die Landfrauen, um Herzkissen zu nähen. Ein Geschenk für an Brustkrebs erkrankte Frauen, das nicht nur körperlich Erleichterung verschafft, sondern auch der Psyche gut tut.

Ludwigsburg: Sabine Armbruster (sar)

In der Kelter herrscht reger Betrieb. Rund vierzig Frauen haben sich dort versammelt – zum gemeinsamen Arbeiten, aber natürlich kommen auch Plaudern und Lachen nicht zu kurz. In einer Ecke des großen Raums werden lange Bahnen weißen Füllmaterials in möglichst dünne Stücke gerupft, an einem langen Tisch werden jeweils 170 Gramm davon in fast fertige Kissen in Herzform gestopft. Damit es durch die recht kleine Öffnung, die später noch von Hand nahezu unsichtbar mit einem Matratzenstich verschlossen wird, passt und gleichmäßig verteilt wird, leisten Stiele von hölzernen Rührlöffeln ausgezeichnete Dienste. An einem anderen Tisch zeigt Ingrid Steidle, die Vorsitzende der Affalterbacher Landfrauen, an einem Beispiel, wie die Kissen zugeschnitten und genäht werden. Zuschneiden und Nähen ist sonst an diesem Tag nicht mehr nötig – da wurde bei einem ersten Termin und auch in Heimarbeit schon einiges an Vorarbeit geleistet. In der Regel treffen sich die Landfrauen zweimal im Jahr zum Nähen der Kissen.

 
Mit dem Stiel eines Rührlöffels lassen sich die Kissen gut stopfen. /Avanti/Ralf Poller

Unter den geschickten Fingern von Ingrid Steidle geht das Zuschneiden schnell. Was auch daran liegt, dass sie nicht, wie bei Schnitten sonst üblich, als Muster nur ein halbes Herz mit einer sogenannten Bruchkante benutzt, an der es gespiegelt wird, sondern ein ganzes. Und das Schnittmuster besteht auch nicht wie sonst aus Papier, sondern aus – ja, was ist das eigentlich? „Die Rückwand von einem alten Schrank“, sagt schmunzelnd Annemarie Paiani, die ebenfalls bei den Landfrauen aktiv ist. „Das hat mein Mann gemacht.“

Die Kissen nehmen den Druck und lindern so Schmerzen

Dass die Affalterbacherinnen nun schon im zwölften Jahr Herzkissen nähen, geht ebenfalls auf Paiani zurück – sie war früher in der Öffentlichkeitsarbeit des Ludwigsburger Klinikums tätig. Und die Herzkissen sind ein Geschenk für die an Brustkrebs erkrankten Frauen, die dort oder in Bietigheim-Bissingen operiert wurden.

Dabei erfüllen die Kissen eine weitaus wichtigere Aufgabe, als nur eine schöne und „herzige“ Geste zu sein und so in einer schwierigen Lebensphase ein wenig Trost zu spenden. Denn nach einer Brustkrebs-Operation leiden viele Patientinnen unter starken Wundschmerzen. Ein Kissen in Herzform kann diesen Schmerz lindern. „Mir haben schon Frauen gesagt: Das ist so eine Erleichterung, das nimmt den Druck“, berichtet Steidle. Wichtig ist bei allen Kissen, dass sie oben, zwischen den beiden Rundungen, eine weite Einbuchtung haben und dass die Spitze unten eher flach ist. So passt das jeweilige Kissen bequem unter den Arm auf der von Brustkrebs betroffenen Körperseite und lässt sich auch gut festhalten. Dadurch können Schmerzen durch OP-Narben oder auch Verspannungen gelindert und die Schwellung reduziert werden, die oft entsteht, wenn die Lymphknoten entfernt werden mussten.

Wichtig ist sauberes Nähen, damit das Kissen später faltenfrei ist. /Avanti/Ralf Poller

Beim Nähen der beiden zurechtgeschnittenen Stoffteile, die zuvor zusammengesteckt werden, muss man sorgfältig arbeiten. „Wenn man die Einbuchtung zwischen den beiden Rundungen nicht spitz, sondern rund näht, gibt das nachher Falten“, erklärt Paiani. Und Falten, das weiß fast jeder aus Erfahrung, sind nicht nur ein optisches Problem. Sie können auch Druckstellen verursachen, die man gerade auf einer frischen OP-Narbe überhaupt nicht brauchen kann.

Schon fast 3000 Kissen genäht

Etwa eine Stunde dauert es, bis solch ein Herzkissen ganz fertig ist. In diesem Jahr haben die fleißigen Näherinnen bereits mehr als 100 davon ans Ludwigsburger Krankenhaus geliefert, seit Beginn ihres ehrenamtlichen Engagements schon über 2700 Exemplare. „Manchmal bekommen wir jede Woche Anfragen, das ist schon erschreckend“, sagt Steidle. Zeigt es doch, wie weit verbreitet die Erkrankung ist.

In einer Ecke stapeln sich die bereits fertigen Kissen. Gestreift, getupft, geblümt, bunt oder einfarbig – die Vielfalt kennt keine Grenzen. Die Stoffe haben die Frauen als Reste daheim, manchmal bekommt Annemarie Paiani auch Stoff geschenkt, den sie bis zur Verarbeitung bei sich zu Hause lagert, ebenso wie die Säcke mit Füllmaterial. Letzteres wird vom Benninger Bettenhersteller Winkle gespendet – es sind Reste aus der Polsterbettenherstellung. Und das Nähgarn? „Das hat jede zu Hause“, sagt Paiani.

Mit wenig Mitteln viel Gutes bewirken

Tatsächlich sieht man schon an der mitgebrachten Ausrüstung auf Anhieb, dass man unter erfahrenen Näherinnen ist. Es fehlt an nichts – weder an Garntrennern noch an Fingerhüten oder an guten Scheren. Paiani hat sogar eine elektrische. „Das schont den Daumen“, sagt sie und schmunzelt. Denn nachdem sie an einem Sonntag mal den Stoff für 60 Kissen zugeschnitten hat – „das Krankenhaus hatte keine mehr“, erklärt sie – , war der Daumen ganz schön lädiert. Auch eine Frau namens Renate, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will und erst seit Kurzem mit dabei ist, sagt, sie habe schon als Kind genäht. Nun ist sie im Vorruhestand und will sich „im Gemeindeleben ein bisschen einbringen“, begründet sie ihr Engagement. Bärbel Köder ist dabei, weil es für einen guten Zweck ist „und man mit wenig Mitteln viel erreichen kann“. Auch einige Betroffene seien unter den Kissennäherinnen, berichtet Susanne Binninger. Sie haben am eigenen Leib erfahren, wie gut so ein Kissen tut.

An die fertigen Herzen kommt dann noch ein Zettel, der mit einer Sicherheitsnadel befestigt wird. Darauf steht, dass das von den Affalterbacher Landfrauen genähte Kissen, unter der Achsel getragen, Erleichterung bringen soll – und dass es samt Füllung bei 40 Grad waschbar ist.

Wer so viel Gutes tut, muss auch ab und zu sich selbst etwas Gutes tun. Am Nebentisch ist schon eingedeckt, Kaffee und Brezeln locken. Und danach werden noch ein paar Kissen gestopft. Die Patientinnen in den Kliniken warten schon darauf.