Bei einem Ehestreit in Stuttgart-Feuerbach fallen zwei Schüsse. Deshalb steht ein 71-Jähriger vor Gericht. Wollte er seine Frau 29 Jahre jüngere Frau töten?

Stuttgart - Der Angeklagte kommt auf einen Rollator gestützt in den Gerichtssaal. Der 71 Jahre alte Stuttgarter soll sich wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung vor der 9. Strafkammer des Landgerichts verantworten. Doch zuerst muss ein Arzt überprüfen, ob der Senior verhandlungsfähig ist. Denn er klagt über Schwindel und Magenprobleme. Der Arzt gibt grünes Licht.

 

Es müssen dramatische Minuten gewesen sein, die sich am Abend des 8. November 2017 in dem Zwei-Familienhaus nahe dem Wilhelm-Geiger-Platz in Stuttgart-Feuerbach abgespielt haben. Der Angeklagte war mit seiner 42-jährigen Frau in Streit geraten und soll versucht haben, sie zu erschießen. Als die Frau den Revolver der Marke Smith & Wesson in der Hand ihres Gatten sieht, flieht sie treppauf zu den Nachbarn.

Die Nachbarin stößt den Schützen um

Der Mann folgt ihr und legt laut Anklage in der Küche auf seine Frau an. Die Nachbarin versetzt ihm einen Stoß, der Schuss verfehlt sein Ziel. Die Nachbarin wird durch den Knall am Trommelfell verletzt. Ihr Lebensgefährte entwindet dem 71-Jährigen die Waffe und legt sie ins Schlafzimmer, wo der Angeklagte sie wieder an sich nimmt. Es kommt zu einem Gerangel, ein zweiter Schuss löst sich, der Lebensgefährte wird an der Hand verletzt. Der 71-Jährige lässt sich in seine Wohnung im Erdgeschoss führen.

Hintergrund des Geschehens sollen Trennungspläne der Frau gewesen sein. „Sie hatte sich im September verplappert“, sagt der Angeklagte. Nach 20 Jahren Ehe habe seine Frau gesagt, sie sei eine Beziehung eingegangen. „Plötzlich war meine Lebensperspektive weg“, sagt der Mann, und: „Es war nie meine Absicht, irgendjemandem weh zu tun.“ Er habe an besagtem Abend vielmehr vorgehabt, sich selbst zu erschießen.

Der ehemalige Chef einer Firma in Venezuela, die Lebensmittelfarbe herstellt, sagt, er habe seit seiner Bundeswehrzeit mit Waffen zu tun – als Jäger und im Schützenverein. Für den Revolver habe er eine Waffenbesitzkarte. In seinem Haus in Feuerbach liegen offenbar noch weitere Schusswaffen. Auch seiner Frau seien Waffen nicht fremd.

In Venezuela, der Heimat seiner Frau, habe er stets eine Waffe getragen, sagt der 71-Jährige. „Wir reden nicht von Venezuela, sondern von Stuttgart“, entgegnet Uwe Tetzlaff, Vorsitzender Richter der 9. Strafkammer.

Der Angeklagte beteuert: „Ich liebe meine Frau“

Die Version des Angeklagten hat wenig gemein mit dem, was Oberstaatsanwalt Karl-Heinz Engstler vorgetragen hat. Mit der Waffe auf den Kopf seiner Frau gezielt? „Ich wollte mir den Revolver in den Mund stecken, um mich vor meiner Frau zu erschießen. Dann wurde ich gestoßen“, sagt der Mann. Er habe gezielt auf den Lebensgefährten der Nachbarin angelegt? Nein, es sei nur zu einem Gerangel gekommen, so der Rentner. Seine Frau habe zur Nachbarin gesagt, er wolle sie umbringen? „Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Ich liebe sie, ich würde ihr niemals etwas antun“, sagt der Mann, der fünf Kinder von drei Frauen und inzwischen fünf Enkel hat.

Seine Frau wird zur Klärung nichts beitragen. Sie nimmt ihr Zeugnisverweigerungsrecht in Anspruch. Und sie widerspricht der Verlesung dessen, was sie beim Ermittlungsrichter ausgesagt hatte. Der Prozess hätte vor vier Monaten beginnen sollen. Doch der Angeklagte war in der Haft nach einem Multiorganversagen ins Koma gefallen. Der Prozess wird fortgesetzt.