Sie ist weder „Referendarin Kowalski“ noch die Polizeibeamtin „Frau Bach“. Die 39-Jährige spricht auch kein Deutsch – sie muss ja nur die Tüten mit mehreren Zehntausend Euro an Ersparnissen entgegennehmen, die ihr die Opfer in die Hand drücken. Die Frau ist Teil der seit Jahren erfolgreichen Betrugsmasche vermeintlicher Polizisten. An mindestens drei Fällen soll sie beteiligt gewesen sein, in zwei Fällen hat sie einem 65-Jährigen und einer 87-Jährigen insgesamt 61 000 Euro abgenommen. Sie wurde gefasst und verurteilt. Die 39-Jährige sitzt nun im Stuttgarter Landgericht vor einer Berufungskammer. Denn sie fühlt sich zu hart bestraft. Sie will nach Hause.
Auf den ersten Blick hat der Vorsitzende Richter Tilman Wagner von der 38. Strafkammer eine ungewöhnliche Angeklagte vor sich. Zwar ist die Masche mit den Anrufbetrügereien, bei denen die Opfer mit falschen Polizisten und Amtspersonen oder falschen Verwandten, mit Gruselgeschichten von bevorstehenden Einbrüchen oder tödlichen Verkehrsunfällen konfrontiert werden, seit Jahren bekannt. Nicht neu sind auch die Erkenntnisse, dass von Call Centern in der Türkei, in Polen und anderen Teilen Osteuropas die Regie geführt wird und dass die Abholer der Beute die letzten in der Hierarchie des Betrügernetzwerks sind.
Eine schwedische Betrügerin – ungewöhnlich
Doch es scheint schon verwunderlich, dass nun auch Täterinnen aus Schweden rekrutiert werden – wie eben jene 39-Jährige, für die eine schwedische Dolmetscherin übersetzen muss. Doch auf den zweiten Blick werden die Zusammenhänge schon klarer. Denn die Frau mit den langen dunklen Haaren ist in Tschechien geboren und im polnischen Krakau aufgewachsen – und gehört dem Nachnamen nach zu einem großen osteuropäischen Familienclan. Die weit verzweigte Großfamilie L. ist vor allem daher bekannt, weil deren Oberhäupter vor 25 Jahren den berüchtigten Enkeltrick erfunden haben.
Die 39-Jährige sitzt seit 28. Februar hinter Gittern. In Backnang (Rems-Murr-Kreis) hatte sie als „Frau Bach“ eine 87-jährige Frau aufgesucht, die zuvor von Anrufbetrügern eingeschüchtert worden war. Die bekannte Masche: Ihre Tochter habe einen tödlichen Unfall verursacht, und nun seien 60 000 Euro Kaution fällig, um eine Untersuchungshaft zu vermeiden. Die Seniorin brachte 24 000 Euro zusammen, die sie in drei Briefumschlägen in einer Plastiktüte an „Frau Bach“ übergab. Die wurde noch am selben Nachmittag mitsamt Beute festgenommen.
Schon zuvor machte sie in Ulm Beute
Die Polizei stellte fest, dass die Verdächtige bereits am Vortag zugeschlagen hatte. In Ulm wurde ein 65-Jähriger mit der gleichen Masche hereingelegt. Die Kurierin lässt sich als „Referendarin Kowalski“ 37 000 Euro übergeben. Ihr Anteil an der Beute beträgt dabei 800 Euro. Eine zweite Übergabe mit weiteren 40 000 Euro scheitert, weil die echte Tochter der 65-Jährigen zwischenzeitlich bei der Seniorin anruft und ihre Mutter über den Betrug aufklärt.
In erster Instanz hat das Amtsgericht Backnang die 39-Jährige Mitte August zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Ein dritter Fall, der im Versuch steckenblieb, wird eingestellt. Die Betroffene will bei der Berufungskammer des Stuttgarter Landgerichts nun aber eine Bewährungsstrafe, zumindest eine wesentlich geringere Strafe. „Sie will zu ihrer Familie zurück“, sagt ihr Anwalt. Doch auch die Staatsanwaltschaft ist in Berufung gegangen. Für diese gemeinschädliche Delikte sei auch aus generalpräventiven Gründen eine höhere Strafe angezeigt.
Richter sieht im Kurier das wichtigste Glied in der Kette
Der Vorsitzende Richter Wagner räumt mit der allgemeinen Auffassung auf, dass die Kuriere dieser Betrugsmasche nur die kleinen Fische seien, weil sie den geringsten Anteil der Beute bekommen und für ihre Hintermänner das höchste Risiko trügen. „Der Abholer hat die elementarste Position in dem ganzen Geschehen“, sagt Wagner.
Und so rüffelt er das Backnanger Urteil insofern, dass kein abschreckendes Element enthalten ist und der 39-Jährigen sogar eine Notsituation zugebilligt worden sei. „Ein Dieb ist vielleicht aus Hunger in einer Notlage, nicht aber wenn er sich einer Bande anschließt“, so der Richter.
Die drei Jahre Haft freilich seien „ein gutes und zutreffendes Urteil“, so der Richter der Berufungskammer. Die Angeklagte könne nicht mit einer niedrigeren Strafe rechnen. Aber auch die Staatsanwaltschaft nicht mit einer nennenswert höheren Haftstrafe. Beide Seiten ziehen nach kurzer Beratung ihre Berufungsanträge zurück. Für „Frau Bach“ bedeutet die Inhaftierung der 39-Jährigen allerdings nicht das Ende. Eine solche, allerdings mit langen blonden Haaren, ist Monate später in Ditzingen, Kreis Ludwigsburg, aufgetaucht. Ein Senior übergab mehrere Zehntausend Euro an die angebliche Mitarbeiterin der Gerichtskasse.