Anfang September 2018 ist eine 84 Jahre alte Frau in Neuhausen im Kreis Esslingen ermordet worden. Jetzt hat in Stuttgart der Prozess gegen einen 30-Jährigen begonnen.

Stuttgart/Neuhausen - Als der Angeklagte in den Saal 6 des Landgerichts Stuttgart geführt wird, verbirgt er sich vor den Kameras mit einem Aktendeckel. Kurz darauf ist das Gesicht des Mannes zu sehen, der Anfang September vorigen Jahres eine 84 Jahre alte Frau in deren Wohnung in Neuhausen im Kreis Esslingen ermordet haben soll. Ermordet mit Hammerschlägen auf den Kopf und mit Stichen in den Hals. Der erste Prozesstag vor der 1. Schwurgerichtskammer ist bereits nach wenigen Minuten beendet.

 

Staatsanwalt Thomas Hochstein trägt schier Unfassbares vor. Am Abend des 3. September 2018, ungefähr um 20.30 Uhr, klingelt es an der Wohnungstür der 84-jährigen Mieterin im Erdgeschoss eines Hauses an der Lindenstraße in Neuhausen auf den Fildern. Die ältere Dame öffnet die Tür und wird sofort mit Hammerschlägen auf den Kopf malträtiert. „Der Täter schlug gezielt und wuchtig zu“, sagt der Staatsanwalt. Er hört erst auf, als der Schädel des Opfers zertrümmert ist.

Dem Opfer den Hals durchtrennt

Um sich seiner Sache sicher zu sein, so der Staatsanwalt, habe der Täter dem Opfer noch mit einem mitgebrachten Taschenmesser mit einer zirka sechs Zentimeter langen Klinge in den Hals gestochen. Dann sei er in die Küche gegangen und habe sich ein Küchenmesser geholt, mit dem er „mit großer Wucht“ den Hals des Opfers durchtrennt habe. Die Frau wäre indes schon durch die Hammerschläge gestorben. Forensische Psychiater sprechen bei einer solchen Tatbegehung von Vernichtungswillen und von Übertöten. Der Täter durchwühlte die Wohnung der älteren Dame, ohne nennenswert Stehlbares zu finden. Mit der Bankkarte des Opfers tritt er die Flucht an. Am nächsten Morgen findet die Mitarbeiterin eines ambulanten Pflegedienstes die Leiche.

Besagter Täter soll der Mann auf der Anklagebank sein – ein 30-jähriger Fliesenleger aus Wolfschlugen im Kreis Esslingen.

Staatsanwalt Hochstein wirft dem Angeklagten Raub mit Todesfolge und Mord vor. Gleich drei Mordmerkmale führt der Ankläger auf: Heimtücke, Mord aus Habgier und zur Ermöglichung einer Straftat. Die Schuld des Angeklagten wiege besonders schwer, so Hochstein.

Angeklagter bestreitet die Bluttat

„Wir haben es hier mit einem völlig unauffälligen Angeklagten und einer äußerst brutalen Tat zu tun“, sagt Anwalt Sebastian Dzuba, der den 30-Jährigen verteidigt. Tatsächlich weist der Mann laut Staatsanwaltschaft keine relevanten Vorstrafen auf. Wegen Gewaltdelikten sei er bisher nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten.

Ob sich der Mann, der in Ostfildern geboren ist, zu den Vorwürfen äußern wird, will Verteidiger Dzuba noch nicht sagen. Sein Mandant war vier Tage nach der Bluttat festgenommen worden. Er hatte noch am Tatabend versucht, mit der Bankkarte des Opfers in Filderstadt-Bernhausen Geld abzuheben. Da er offenbar die Geheimnummer nicht kannte, wurde die Karte eingezogen. Bei seinem Abhebeversuch wurde der Mann gefilmt.

Auch hatte die Polizei in der Wohnung der 84-Jährigen DNA-Spuren des Angeklagten sichergestellt. Ob man diese Spuren auch am Tatmesser gefunden hat, ist noch nicht klar. „Ich kann der Beweisaufnahme der Strafkammer nicht vorgreifen“, so Staatsanwalt Hochstein.

Der 30-Jährige bestreitet die Tat. Er habe die Frau nicht getötet, so der Mann bei seiner polizeilichen Vernehmung. Er habe die Bankkarte des Opfers zwar gehabt und er habe auch versucht, Geld abzuheben. Gestohlen habe er die Karte jedoch nicht.

Das Opfer hatte der Mann gekannt. Die ältere Dame hatte im Haus des Schwagers des Angeklagten gewohnt. In dem Haus wohnt auch der besagte Schwager, der zur Tatzeit mit seiner Familie allerdings im Urlaub gewesen sei, so der Staatsanwalt. Welche weiteren Beweise und Indizien die Staatsanwaltschaft gegen den verheirateten Angeklagten hat, sagt der Ankläger noch nicht.

Die Töchter treten als Nebenklägerinnen auf

Vor gut drei Jahren waren Anwohner der Lindenstraße in der 12 000-Einwohner-Gemeinde Neuhausen Opfer von Betrügern geworden – auch das Mordopfer. Die Täter hatten vorgelogen, Wasserableser zu sein und 55 Euro Ablesegebühr ergaunert. Die 84-Jährige hatte die Betrüger damals in die Wohnung gelassen. Ein Mann lenkte sie ab, sein Komplize stahl den Schmuck der Frau. Der Mord und der Jahre zuvor begangene Diebstahl stehen aber laut Polizei in keinem Zusammenhang.

Tatsache ist, dass der Mörder davon ausgegangen sein muss, bei der Frau sei etwas zu holen, sie sei vermögend.

Am ersten Prozesstag wurde lediglich der Anklagesatz verlesen. Nach wenigen Minuten war der Auftakt beendet. Die Strafkammer unter Vorsitz von Richterin Ute Baisch musste den Mordprozess wegen der Haftprüfung das Oberlandesgericht jetzt ansetzen. Schließlich sitzt der 30-Jährige seit neun Monaten in Untersuchungshaft.

Die beiden Töchter des Opfers treten in der Hauptverhandlung als Nebenklägerinnen auf. Ein psychiatrischer Gutachter wird im Verlauf des Prozesses über den Angeklagten referieren. Die Verhandlung wird am 21. Juni fortgesetzt und ist bis zum 26. September terminiert.