Die Wirtschaftsstrafkammern des Landgerichts haben es mit immer mehr Großprozessen wie gegen die ehemaligen Porsche-Chefs oder bald vielleicht gegen die Schleckerfamilie zu tun. Wegen der überlangen Verfahrensdauer droht in manchen Fällen die Verjährung.

Stuttgart - Bei den sechs Großen Wirtschaftsstrafkammern des Landgerichts Stuttgart schlagen regelmäßig wohlbekannte Namen auf: VW, Porsche, die Waffenschmiede Heckler und Koch, Schlecker. Zusammen mit den eher namenlosen, mutmaßlichen Wirtschaftsstraftätern, die vor dem Kadi in Stuttgart landen, türmt sich ein Berg an Mammutverfahren auf, der nur unter großem Einsatz der Richterinnen und Richter abgearbeitet werden kann. „Wir sind hier in der Bredouille“, sagt Landgerichtspräsidentin Cornelia Horz. Man müsse immer wieder mit den verfügbaren Personalstellen jonglieren. Es stelle sich die Frage: „Was darf die Justiz kosten?“

 

Keine Begeisterung über Strafrabatte

Weil manche Verfahren überdurchschnittlich lange dauern, stelle sich bei Wirtschaftsprozessen vermehrt das Problem der Verjährung. Zwar treffe dies lediglich auf einzelne Taten, nicht auf den Gesamtvorwurf zu, so Pressesprecherin Bettina Gebert. Ein Idealzustand sei dies aber nicht. Zudem komme es immer wieder zu sogenannten rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerungen und zu überlanger U-Haft, weswegen ein Teil der Strafe als bereits verbüßt zu erklären sei. „Kein Strafrichter ist begeistert, wenn er hier Strafrabatte geben muss“, so Präsidentin Cornelia Horz.

Sie dringt deshalb auf eine Modernisierung des Strafprozessrechts, was nicht nur wegen der aufwendigen Wirtschaftsstrafsachen dringend nötig sei. So seien in der Vergangenheit die Rechte der Opfer von Straftaten erheblich gestärkt worden – von der Vertretung durch einen Anwalt in der Nebenklage bis hin zu psychosozialer Betreuung während des Prozesses. Das sei zwar zu begrüßen, ziehe die Verfahren aber oft in die Länge. „Und der Personalschlüssel bei den Gerichten bleibt gleich“, so Horz.

Mitarbeiter von Waffenschmiede vor Gericht

Derzeit stehen zwei Aufsehen erregende Wirtschaftsprozesse am Landgericht Stuttgart an. Die 13. Strafkammer hat das Hauptverfahren gegen sechs Mitarbeiter und Ex-Mitarbeiter des Waffenherstellers Heckler und Koch zugelassen, sprich: Es kommt zum Prozess. Ihnen wird vorgeworfen, gegen das Kriegswaffenkontroll- und gegen das Außenwirtschaftsgesetz verstoßen zu haben. Sie sollen in den Jahren 2006 bis 2009 in unterschiedlichen Funktionen an 16 Lieferungen von Gewehren und Zubehörteilen nach Mexiko beteiligt gewesen sein, wobei die Waffen in mexikanische Bundesstaaten abgegeben worden sein sollen, die nicht von den deutschen Exportgenehmigungen umfasst waren. Wann der Prozess beginnt, steht noch nicht fest.

Ganze Familie Schlecker im Visier

Noch spektakulärer könnte das Hauptverfahren gegen die Familie Schlecker und gegen zwei Wirtschaftsprüfer werden. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Ehepaar Schlecker und dessen beiden Kindern vor, sie hätten während der Insolvenz der familieneigenen Drogeriekette Vermögenswerte in Millionenhöhe illegal beiseite geschafft. Ob es zum Prozess kommt, ist allerdings noch gar nicht ausgemacht. Die 11. Wirtschaftsstrafkammer prüft derzeit, ob sie die Anklage zulassen wird.

Neben Wirtschaftsverfahren und allgemeinen Strafsachen wie Mord, Totschlag, Diebstahl, Drogen- und Sexualdelikten arbeiten auch die Zivilkammern des Landgerichts öffentlichkeitswirksame Verfahren ab. Bei der 17. Zivilkammer sind zeitweise mehr als 60 Verfahren anhängig gewesen, die so manches Elternpaar interessieren könnten. Dabei geht es darum, unter welchen Voraussetzungen der Inhaber eines Internetanschlusses für unberechtigte Downloads haftet, also wenn die Kinder oder ein anderer Mitbewohner illegal Filme oder Musik herunterladen.

Kläger will neuen VW

Auch der VW-Abgasskandal beschäftigt das Landgericht Stuttgart. „In letzter Zeit sind mehrere Klagen eingegangen, bei denen die Autokäufer die Rückabwicklung des Kaufvertrags oder die Lieferung eines mangelfreien Neufahrzeugs verlangen“, sagt Zivilrichter Bernd Schabel. Das Urteil in einem dieser Fälle – der Kläger will einen Neuwagen von VW – soll Ende September verkündet werden.