Stuttgart - Am Landgericht Stuttgart gibt es erneut einen Wechsel bei der Bearbeitung von Zivilklagen in der Dieselaffäre. Just jene Vorsitzende Richterin, die den als „Dieselrichter“ bekannt gewordenen Fabian Richter Reuschle zusammen mit Kollegen Ende April für befangen erklärt hatte, wird sich künftig nicht mehr mit der Abgasthematik befassen. Sie übernimmt bereits nächste Woche den Vorsitz einer anderen Zivilkammer, die für Streitigkeiten aus dem Bank- und Baubereich zuständig ist.
Entsprechende Informationen unserer Zeitung bestätigte eine Sprecherin des Landgerichts. Das Präsidium des Gerichts habe in richterlicher Unabhängigkeit entschieden, der Richterin Silke Benner zum 1. Juli den wegen einer Pensionierung frei werdenden Vorsitz der 14. Zivilkammer zu übertragen; bisher führte sie die 22. Zivilkammer, zu der auch Richter Reuschle gehört. Man folge damit dem seit vielen Monaten geäußerten Wunsch der Richterin, sagte die Sprecherin.
Telefonat mit der Schwester bei Bosch?
Dies stehe in keinerlei Zusammenhang zu den Ablehnungsgesuchen, in denen Klägeranwälte nach der Ablösung Richter Reuschles massive Kritik an Benner geübt hatten. Darin wurden verschiedene Rechtsverstöße moniert und Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit geäußert. Die Befangenheitsanträge gegen sie haben sich mit dem Kammerwechsel faktisch erledigt, werden aber weiter bearbeitet, weil sie sich zugleich gegen zwei mit an der Entscheidung beteiligte Kollegen richten. Richter Reuschle war abgelöst worden, weil seine Ehefrau ein manipuliertes VW-Fahrzeug besitzt und den Konzern deswegen verklagt hat. Über das Auto hatte er die VW-Anwälte indes schon früh informiert, ohne dass dies auf Bedenken stieß.
Just an dem Tag, als die Umsetzung gerichtsintern bekannt wurde, hatte der Klägeranwalt Andreas Tilp (Kirchentellinsfurt) ein drittes Ablehnungsgesuch gegen Benner auf den Weg gebracht. Darin stützte er sich auf neue Erkenntnisse aus der Akteneinsicht, unter anderem einen Vermerk Richter Reuschles. In diesem ging es um die Erweiterung einer zunächst nur gegen die Porsche SE gerichteten Klage auf den Zulieferkonzern Bosch. Benner habe ihm mitgeteilt, dass sie darüber mit ihrer bei Bosch beschäftigten Schwester telefoniert habe, erläuterte der Richter; dabei habe sie deutlich gemacht, dass sie dem Vorgehen gegen Bosch keine Erfolgsaussichten gebe. Für Tilp ergibt sich daraus erneut die Besorgnis der Befangenheit, zumal die Haltung der Richterin nicht nur für Bosch gelten dürfte, sondern für alle von der Dieselaffäre betroffenen Unternehmen.
„Keine Einschätzung zu Klagechancen“
Gegenüber unserer Zeitung widersprach die Gerichtssprecherin der Darstellung Richter Reuschles. „Frau Dr. Benner hat sich ihrer Erinnerung nach zu keinem Zeitpunkt zu den Erfolgsaussichten einer Klage gegen Bosch geäußert“, teilte sie mit. Die Schwester der Richterin ist in der Rechtsabteilung des Zulieferkonzerns beschäftigt, soll dort aber nicht mit der Dieselaffäre befasst sein. Diese Konstellation hatte Benner bereits Anfang vergangenen Jahres gegenüber der Kammer angezeigt, die darin jedoch keinen Grund für eine mögliche Befangenheit sah. Da gegen diese Entscheidung kein Einspruch eingelegt wurde, ist sie rechtskräftig.
Die Robert Bosch GmbH steht in der Dieselaffäre im Fokus, weil sie die Steuerungssoftware für die manipulierten Motoren geliefert hat. Richter Reuschle hatte zunächst signalisiert, er sehe keinen Grund für eine Haftung des Zulieferkonzerns. In einem „Zwischenstreit“ um die Vorlage von Dokumenten hatte das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart dann jedoch zu bedenken gegeben, Bosch müsse sich über den Einsatz als verbotene Abschalteinrichtung im Klaren gewesen sein; mithin könne die „Grenze zur strafbaren Beihilfe überschritten sein“. Diese Einschätzung könnte Richter Reuschle zu einem härteren Vorgehen auch gegen Bosch ermutigt haben, wird aufseiten der Klägeranwälte vermutet. Wegen der Dieselaffäre hatte Bosch ein Bußgeld von 90 Millionen Euro gezahlt. Damit wurde eine Verletzung der Aufsichtspflicht geahndet.