Welches Gericht ist für Klagen in der Dieselaffäre zuständig? Im Streit über diese Frage blockieren sich Kammern am Landgericht Stuttgart gegenseitig. Den Beschluss eines Richters lobt der Klägeranwalt als wegweisend.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Ein Zivilprozess um Schadenersatz für VW-Aktionäre wegen der Diesel-Abgasaffäre ist am Dienstag vor dem Landgericht Stuttgart ausgesetzt worden. Damit reagierte die zuständige Kammer auf einen am Vortag veröffentlichten Beschluss einer anderen Kammer des Landgerichts. Mit dem sogenannten Vorlagebeschluss nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz hatte die Kammer das Oberlandesgericht Stuttgart um eine Entscheidung gebeten, ob Verfahren zur Dieselaffäre gegen Volkswagen und die Porsche Holding als Mehrheitsaktionärin sowohl in Braunschweig als auch in Stuttgart verhandelt werden können.

 

Eigentlich wollte die 12. Kammer im Zusammenhang mit Klagen von VW-Anlegern, die Verluste infolge des Kurssturzes nach dem Bekanntwerden der Dieselaffäre beklagen, am Dienstag über die Frage der örtlichen Zuständigkeit beraten. Von dem am Vortag veröffentlichten Beschluss der 22. Kammer, dies dem OLG zu übertragen, war sie offenkundig überrascht worden. „Dieser Beschluss mag nicht richtig sein, aber er existiert nun einmal“, sagte der Vorsitzende Richter. Da er „nicht evident rechtswidrig“ sei, müsse das Verfahren ausgesetzt werden. Damit folgte er einem Antrag der Klägervertreter von der Rechtsanwaltskanzlei Tilp aus Kirchentellinsfurt.

Keine Reaktion auf Vorwurf an Winterkorn

Die Anwälte von Volkswagen hatten zuvor betont, entscheidungsreife Rechtsstreitigkeiten sollten nicht ausgesetzt werden. Den Beschluss der anderen Kammer kommentierten sie kritisch; er trage zur Verwirrung um die Gerichtsstände bei. Inhaltlich gingen die VW-Vertreter nicht auf die Argumentation ein, wonach Schadenersatzansprüche durch das Verhalten des früheren Konzernchefs Martin Winterkorn begründet worden sein könnten. Winterkorn sei vor den Folgen der Motor-Manipulationen in den USA gewarnt worden, habe aber nicht angemessen darauf reagiert, heißt es in dem Beschluss.

Der Rechtsanwalt Andreas Tilp würdigte den 90-seitigen Beschluss als eine „Grundsatzentscheidung“. Erstmals erkläre damit ein deutsches Gericht, dass Ansprüche geschädigter Aktionäre gegen VW oder Porsche wegen fehlerhafter Finanzberichterstattung und Regelverstößen „ernsthaft in Betracht“ kämen. Deren Chancen seien damit „deutlich gestiegen“.

Weitere Verzögerung in Braunschweig

In Braunschweig verzögert sich derweil das Musterverfahren gegen VW vor dem Oberlandesgericht. Statt im April soll es nun im September 2018 beginnen. Damit kommt das Gericht einer Bitte von VW nach, mehr Zeit für die Vorbereitung auf die Klagen zu erhalten. Kläger in dem Verfahren ist die Deka Investmentgesellschaft.