Der Reutlinger Landrat Thomas Reumann ist Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Er hält für unsinnig, jede Kllinik um jeden Preis verteidigen zu wollen. Der Prozess der Umstrukturierung gelinge aber nur im intensiven Dialog mit den Bürgern vor Ort.

Berlin – - Thomas Reumann hält ein dreistufiges Klinikkonzept für richtig, das wohnrortnahe Grundversorgung, spezialisierte Kliniken und Unikrankenhäuser verzahnt. Entscheidend sei, die Balance zu finden.
Herr Reumann, seit Jahresbeginn stehen Sie an der Spitze der Deutschen Krankenhaus Gesellschaft (DKG). Was haben Sie sich in Ihrem neuen Amt vorgenommen?
Ich möchte den Bürgern und der Politik das Angebot machen, gemeinsam eine zukunftsfähige Kliniklandschaft zu entwickeln – also
Der Reutlinger Landrat Thomas Reumann Foto: dpa
eine Struktur, die danach fragt, was Patienten brauchen und dies dann verwirklicht.
Das sind von Seiten der DKG neue Töne. Bisher trat sie als Verband auf, der laufend mehr Geld verlangte und zur Struktur, wie Sie sie beschreiben, sehr wenig sagte.
Wenn das tatsächlich so war, müssen wir es hinter uns lassen. Die Kliniken leben ja nicht im luftleeren Raum. Die 2000 Häuser beschäftigten über eine Million Mitarbeiter, von denen viele Tag für Tag im Dienste der Patienten einen hervorragenden Job machen. Unsere Krankenhäuser sind Innovationsmotoren und ein wichtiger Wirtschafts- und Standortfaktor. Wir haben also viel, was wir in die gesellschaftliche Debatte über die Zukunft der Kliniken einbringen können. Und ich füge hinzu: einbringen müssen.
Wie sollte die Klinikstruktur aussehen?
Wir alle wissen, dass eine gute Kliniklandschaft mehrstufig ist. Ortsnah muss es eine Grundversorgung geben. Daneben sind spezialisierte Zentren mit medizinischen Schwerpunkten und schließlich die Uniklinika mit ihrem besonderen Leistungsspektrum nötig. Dieser Dreiklang ist schnell beschrieben. Ihn umzusetzen und ihn in die richtige Balance zu bringen, ist ungleich schwerer. Das gelingt nur, wenn sich die Kliniken und die Politik dem Gespräch vor Ort mit den Bürgern gemeinsam stellen – auch wenn das zuweilen heftige Auseinandersetzungen mit sich bringt.
Was meinen Sie?
Ich schildere es an einem Beispiel. Im Landkreis Reutlingen hatten wir Bürgerversammlungen mit tausend auch sehr emotional engagierten Bürgerinnen und Bürgern, als es um eine Neustrukturierung ging. Ein Bürger rief mir etwa bei der Frage der Schlaganfallbehandlung empört zu, dass diese weiter in Münsingen möglich sein müsse. Unser Chefarzt hat ihm erläutert, weshalb wir diese Erkrankung in einem spezialisierten Zentrum in Reutlingen behandeln, der so genannten stroke unit. Das ist medizinisch einfach die bessere Therapie, die dem fragenden Bürger im Notfall dann auch lieber wäre. In intensiven und tief gehenden Diskussionen, bei denen es schon mal hoch herging, haben wir für die Neuausrichtung Rückhalt und Vertrauen gewinnen können, und wir werden sie gemeinsam mit den Bürgern weiter umsetzen.
Gibt es nicht mancherorts zu viele Häuser? In ganz Holland sind es 132, allein in Nordrhein-Westfalen aber 401.
In Holland gibt es aber weder freie Arztwahl noch freie Klinikwahl, sehr wohl aber lange Wartelisten. Das will in Deutschland zum Glück niemand. Aber ich drücke mich nicht vor dem Punkt, den Sie meinten. Ja, auch in Deutschland wird nicht jede Klinik überleben. Und es wäre unsinnig, alle Häuser um jeden Preis verteidigen zu wollen. Aber Fakt ist eben auch, dass in Deutschland in den vergangenen Jahren ein großer Umstrukturierungsprozess schon zu einer deutlichen Veränderung der Krankenhauslandschaft geführt hat: in immer weniger Krankenhäusern und Krankenhausbetten werden in immer kürzerer Zeit deutlich mehr Patienten behandelt. Das zeigt, dass die Krankenhäuser schon sehr effizient unterwegs sind und in weiten Bereichen ihre Hausaufgaben auch schon gemacht haben. Es ist ja auch schon seit langem so, dass viele Patienten sich genau informieren, wie gut ein Krankenhaus ist. Und dann stimmen sie mit den Füßen ab. Ein Haus, das nicht mit Qualität punktet und kein Vertrauen findet, hat keine Zukunft.
Wie viele Häuser werden verschwinden?
Ich weiß es nicht. Die bloße Zahl ist auch nicht der springende Punkt. Mir ist wichtig, dass wir die Krankenhauslandschaft klug gestalten und dabei beachten, dass im Zuge des demografischen Wandels nicht weniger, sondern mehr und komplexere stationäre medizinische Leistungen nötig sein werden. Wie wir das im Zusammenspiel mit niedergelassenen Ärzten, Reha-Einrichtungen und der ambulanten Pflege gut gestalten, ist die eigentliche Aufgabe. Mir geht es nicht um Besitzstandswahrung. Ich rufe nicht nach Geld, damit alles so bleiben kann, wie es ist. Ich mache mich dafür stark, dass Bürger, Politik und Verbände gemeinsam an der Krankenhaus-Landschaft der Zukunft arbeiten. Allerdings muss auch klar sein, dass eine gute Krankenhausversorgung ihren Preis hat.
Was ist mit den Finanzen? Mehr als 60 Milliarden Euro gaben 2014 allein die gesetzlich Versicherten für die Kliniken aus.
Das ist viel Geld, keine Frage. Aber es ist nicht zu viel, wenn man sich vor Augen hält, welch enorme Bedeutung die Häuser für die medizinische Versorgung der Menschen haben und welche Leistungen für dieses Geld in den Krankenhäusern erbracht werden. Sie übernehmen inzwischen ja auch ein gut Teil der Notfallversorgung oder schließen Lücken, die es in der ambulanten Versorgung vielerorts gibt. Kliniken sind keine Gesundheitsfabriken. Sie sind Orte, an denen über eine Million gut qualifizierte Beschäftigte mit bestmöglicher Medizin und bestmöglicher Pflege jährlich 19 Millionen Patienten sehr verantwortungsbewusst versorgen. Dass dabei auch das gute Wort, die Zuwendung ganz wichtig sind, wissen wir doch alle. Und das alles muss uns dann auch seinen Preis wert sein.