Die neue Grünenfraktion besteht zu zwei Dritteln aus Neulingen. Sie können sich auf ihre Erfahrungen in Kommunalparlamenten stützen.  

Stuttgart - In der neuen Legislatur wird alles anders. Dann sitzen 36 statt 17 Grüne im Parlament. 23 von ihnen sind Neulinge. Doch für die alten Hasen wird die Umstellung möglicherweise noch größer als für die Grünschnäbel. Denn die Grünen werden die Ministerpräsidentenfraktion. Bisher profilierte sich ein grüner Abgeordneter, indem er kritische Zumeldungen zu Regierungsplänen verfasste und detaillierte Anfragen und Gesetzesänderungen ausklamüserte. Auf ihre Oppositionsarbeit waren die Grünen stolz. "Wir haben immer qualitativ gute Anfragen gestellt", betont Hedi Christian, die seit 1980 für jede Grünen-Fraktion die Geschäfte geführt hat. Das hätten selbst Ministerialbeamte gewürdigt.

 

Nun soll regiert werden. "Es ist irre anders, Mitglied einer Regierungsfraktion zu sein", bekennt Theresia Bauer, die parlamentarische Geschäftsführerin. "Man wird als Abgeordneter viel ernster genommen." Beflügelt vom Wahlsieg sind sie alle. Mit der Wahrnehmung ändert sich aber auch die Arbeitsweise. Bei der CDU standen die Fraktionsmitglieder stark im Schatten ihrer regierenden Parteifreunde. Das könnte den selbstbewussten grünen Parlamentariern einiges abverlangen - besonders denen, die bei der Postenvergabe nicht zum Zuge kommen werden. Doch bei den Grünen geht es anders zu als bei CDU und FDP. "Es sind auch Gesetzentwürfe aus der Fraktion heraus zu erwarten", sagt Christian. Die neue Riege werde keine "Abnick-Fraktion" werden. Sie soll nicht an Gewicht verlieren, sie soll die Regierung kontrollieren, auch wenn es die eigene ist.

Landtag ist nun ein Vollzeitparlament

Die Wahlkreisarbeit wird zunehmen, erwartet Christian. "Von Abgeordneten einer Regierungspartei wollen alle was", sagt die Fraktionsgeschäftsführerin. Doch die Abgeordenten müssen auch häufiger als bisher in Stuttgart sein. Für eine Regierungsfraktion sind die Grünen relativ klein. Die CDU stellt 60 Abgeordnete. "Wir müssen aber das gleiche Pensum bewältigen", betont Christian. Die Mehrheiten sind knapp. 138 Mitglieder zählt der neue Landtag, auf 71 Abgeordnete bringen es Grüne und SPD gemeinsam. Der bisher bei Plenarsitzungen zu beobachtende starke Abgeordnetenschwund vor allem in den Abendstunden wird nicht mehr toleriert. "Das haben alte wie neue Abgeordnete sofort verstanden", betont Bauer.

Der Landtag ist nun ein Vollzeitparlament. Es gibt einen halben Plenartag mehr. Auch die Grünen führen nun Arbeitskreise ein, die die Projektgruppen ersetzen. Die Regierungsanfänger im Südwesten gucken auch bei den Kollegen in Nordrhein-Westfalen und in Bremen ab. Aber so recht überzeugen deren Strukturen bisher nicht.

Viel erfahrenes Personal

Die Truppe selbst macht Hedi Christian wenig Sorgen. Erstens ist sie einiges gewöhnt. "In den achtziger Jahren haben wir sogar Supervision gebraucht", erinnert sie sich mit Schaudern an die damalige Chaostruppe im Landtag. Gebracht hat die Beratung dann doch nichts. Diesmal wird keine Supervision nötig sein. Höchstens ein Viertel der Fraktion wird dem Fundilager zugeordnet. Das ist für die Realos kein Grund zur Sorge. Der Frauenanteil ist zwar dramatisch niedrig (elf von 36), birgt aber keinen Zündstoff. Politisch haben fast alle neuen in den Kommunen ihre Sporen verdient. "Das erdet", konstatiert Bauer. "Das sind alles pragmatische Menschen. Die Erfahrung aus den Kommunen qualifiziert auch für diesen Job". Aber es kann auch zu Konflikten führen. Das Landtagsmandat hat Vorrang. Mancher wird den Sitz im Kreistag oder Gemeinderat aufgeben müssen. Einzelne Selbstständige, die nicht mit dem überwältigenden Wahlerfolg gerechnet hatten, sind noch dabei, ihre Praxen und Kanzleien umzuorganisieren. Ganz aufgeben mögen sie sie nicht. Wer weiß schon, wie die nächste Wahl in fünf Jahren ausgeht. Für die Organisation der neuen Arbeit gibt es Seminare.

Erstaunlich vielen Abgeordneten schreibt Bauer wirtschaftliche Kenntnisse zu. Angesichts der vielen Neulinge ist sie "eher verblüfft, dass so viel erfahrenes Personal dabei ist". Die Bandbreite reicht von Alexander Salomon (24), der als Jurastudent lediglich Erfahrung in der Grünen Jugend gesammelt hat, bis zu Jörg-Matthias Fritz (51), der als Gründungsmitglied der Grünen jetzt in den Landtag einzieht, aber schon die Grünen-Bundestagsfraktion beraten hat. Als vielversprechend gilt Kai Schmidt-Eisenlohr. Der Wirtschaftsinformatiker ist zwar erst 32 Jahre alt, sitzt aber schon elf Jahre im Wieslocher Gemeinderat, und was für Bauer noch wichtiger ist: "Der hat einen wirklichen Draht zur IT-Branche und zum Mittelstand". Nur ein einziges Themenfeld liegt noch brach. Das sind die Kirchen, die bisher Winfried Kretschmann betreut hat.

Eine Regierungspartei ist ungeheuer attraktiv

Für Kontinuität sorgen ohnehin die Fraktionsmitarbeiter. 17 haben sich die Grünen bisher geleistet. Zwei parlamentarische Berater sind der Fraktion abhanden gekommen. Andrea Lindlohr, zuständig für Wirtschaft und Energie, rückt ebenso in die Abgeordnetenränge auf wie Markus Rösler, der die Felder Umwelt und Landwirtschaft parlamentarisch beackerte.

Die Stellen werden wieder besetzt. Christian bittet aber von Initiativbewerbungen abzusehen. Eine Regierungspartei ist ungeheuer attraktiv. "Ich bekomme Unmengen von Bewerbungen", stöhnt Christian. Nicht jeder hofft bei den neuen Mächtigen auf einen Unterschlupf. "Hochkaräter bieten uns ihre Beratung an, ohne dass sie etwas werden wollen", staunt Christian. Die neue Attraktivität birgt auch Gefahren, das zeigt sich auch in Beitritten. Für Theresia Bauer ist schon klar: "Die Partei wird sich verändern. Wir müssen aber aufpassen, dass der Laden nicht zerfranst und die grüne Identität weiterentwickeln."

Wer das aufreibende Geschäft der Fraktionsführung übernimmt, wird erst am 12. Mai entschieden - in der Mittagspause zwischen der Ministerpräsidentenwahl und der Ministervereidigung.