Die Opposition vermag im Südwesten keinen geeigneten Standort zu erkennen, die SPD spielt die Exportkarte. Wie begründet Regierungschef Winfried Kretschmann den neuen Suchanlauf für ein Atomendlager?

Stuttgart - Anders als von den Rednern vorderhand beteuert, hat sich im baden-württembergischen Landtag keine Übereinstimmung über den vom Bundeskabinett am Mittwoch beschlossenen neuen Suchlauf für ein Atomendlager gefunden. Zwar versicherte CDU-Fraktionschef Peter Hauk: „Um es klar zu sagen: Wir tragen diesen nationalen Konsens dem Grunde nach mit.“ Und auch FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke bezeichnete einen nationalen Konsens als erstrebenswert.

 

Allein, die Details der Debattenbeiträge verrieten eine andere Gangart. Rülke qualifizierte die bisher im Land ins Spiel gebrachten Standorte – Teile der Schwäbischen Alb sowie Oberschwabens, der Landkreis Konstanz, Rülke nannte auch die Region Heilbronn/Neckarsulm – für „allesamt ungeeignet“. Hauk äußerte sich unbestimmter, im Grundduktus jedoch ebenfalls ablehnend: „Es ist ein faktischer Rückschritt gegenüber dem, was wir hatten. Wir hatten Gorleben, derzeit sind wir wieder beim Punkt null.“ Deutlicher mochte er nicht werden, schließlich hatte Hauks Parteifreund, Bundesumweltminister Peter Altmaier, den von Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) initiierten neuen Anlauf zu einem nationalen Endlagerkonsens maßgeblich ausgehandelt. Hauk warf Kretschmann indes vor, dieser habe einen risikoreichen Prozess angestoßen.

Zuvor hatte Kretschmann den Landtag über das Endlagersuchgesetz unterrichtet. Seine Initiative begründete er mit der mangelnden Akzeptanz für den Standort Gorleben, der 1977 nicht nach geologischen Kriterien, sondern nach politischen Gesichtspunkten ausgewählt worden sei. „Ein wissenschaftliches und ergebnisoffenes Verfahren hat es nie gegeben.“ Deshalb habe er vor zwei Jahren in der Ministerpräsidentenkonferenz eine neue, „streng wissenschaftsbasierte“ Suche vorgeschlagen. Diese könne aber nur in einem nationalen, überparteilichen Konsens erfolgen.

Zu den Kriterien für ein erfolgreiches Verfahren zählte Kretschmann das Prinzip der „weißen Landkarte“: Nichts dürfe von vornherein ausgeschlossen werden, „weder das Salz in Gorleben, noch der Granit in Sachsen – und genauso wenig die Tonformationen im Südwesten“. Der Regierungschef sagte, er wisse, dass vielerorts im Land Unruhe ob des neuen Suchlaufs entstanden sei. Es gehe aber darum, den besten Ort für die Hinterlassenschaften einer Technologie zu finden, an der nicht zuletzt Baden-Württemberg mit einem Atomenergieanteil von mehr als 50 Prozent besonders beteiligt gewesen sei. „Wir können uns nicht wegducken.“

Rülke: Keine Verpflichtung zur Endlagerung

Dies sah FDP-Fraktionschef Rülke ganz anders. Er interpretierte den hohen Anteil der Atomenergie bei der Stromversorgung des Landes als „erhebliche Belastung bei der Produktion“, aus der sich nicht automatisch „besondere Lasten bei der Endlagerung“ ergäben. Deshalb solle zunächst Gorleben zu Ende erkundet werden.

Eine weitere Variante des Umgangs mit den atomaren Altlasten steuerte SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel bei. Er verlangte eine „internationale Anerkennung für die Standards, nach denen dann in der ganzen Republik gesucht wird“. Die Volte seines Vortrags bestand darin, dass er die Möglichkeit offen hielt, diese Standards könnte so hoch sein, „dass die Karte weiß bleibt und wir gar nicht fündig werden“. In diesem Fall, so Schmiedels Schlussfolgerung, sei „über europäische Kooperationen“ zu reden. Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) schäumte angesichts dieses Vorschlags nur heimlich, äußerte aber am Rande der Plenarsitzung die Befürchtung, auf diese Weise komme man nie zu einem Endlager.

„Ihr Castorlein kommet“

Streit gab es im Landtag auch über die Frage, ob die Landesregierung zu Recht die Aufnahme von Castoren aus den Wiederaufbereitungsanlagen in La Hague in der Normandie und aus dem englischen Sellafield im Zwischenlager Philippsburg bei Karlsruhe angeboten habe. Kretschmann argumentierte, dabei handle es sich um eine vertrauensbildende Maßnahme: Wenn immer mehr Brennelemente im Zwischenlager Gorleben anlandeten, entstehe dort der Eindruck, die neue Endlagersuche sei nur ein Ablenkungsmanöver, tatsächlich aber würden Fakten geschaffen. FDP-Fraktionschef Rülke spottete: „Früher haben sich die Grünen angekettet, wenn die Castoren kamen, heute singen sie das Lied: ‚Ihr Castorlein kommet’.“ Umweltminister Untersteller hielt dagegen: Es sei „geradezu eine Schizophrenie der Geschichte“, dass die allzeit atomkritischen Grünen nun beim Aufräumen des Atommülls Verantwortung übernähmen. Der Opposition warf er vor: „Sie aber stehlen sich davon.“