Fünf Jahre lang haben die Grünen in Baden-Württemberg das erste Mal einen Regierungschef gestellt. Heute trennt sie in den Umfragen nicht mehr viel von der CDU - und auch thematisch gibt es Annäherungen.

Stuttgart - 2011 war es die Sensation, als Winfried Kretschmann erster grüner Ministerpräsident wurde. Geschieht bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg am 13. März wieder etwas Unglaubliches - nämlich, dass die Grünen die CDU überholen? Die CDU sah den Machtverlust damals als „Betriebsunfall“. Aber heute sind die Grünen im bürgerlichen Lager etabliert. In einer Umfrage von Infratest dimap im Auftrag von SWR und „Stuttgarter Zeitung“ stehen sie bei 28 Prozent, während die CDU in dem Land, das sie 58 Jahre regiert hat, nur drei Punkte Vorsprung hat. Was ist da passiert?

 

Die Südwest-Grünen sind schon seit jeher realpolitisch ausgerichtet. Der pragmatische Kurs hat sich in der Regierung noch verstärkt. Ein Beispiel ist die Debatte über die „sicheren Herkunftsländer“, die die Grünen im Bund im Herbst 2014 vor eine Zerreißprobe stellte. Kretschmann stimmte im Bundesrat im Alleingang den Plänen der schwarz-roten Bundesregierung zu, drei Balkanländer in diese Liste aufzunehmen, um den Flüchtlingszustrom einzudämmen. Er begründete sein „Ja“ mit einem Gesamtpaket, das er herausverhandelt habe. Nur mühsam gelang es den Grünen, die Bundespartei wieder zu einen.

In der inneren Sicherheit waren die Grünen zu Beginn zurückhaltend. Doch das hat sich jetzt geändert. Kretschmann kündigte nach den Übergriffen von Asylbewerbern in der Silvesternacht auf Frauen einen harten Kurs an: „Wer straffällig geworden ist, hat sein Bleiberecht verwirkt.“ Für die CDU, die die innere Sicherheit als ihr Thema sieht, bleibt da wenig Raum für Kritik. Und indem Kretschmann den Flüchtlingskurs von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) unterstützt, wird er für CDU-Anhänger attraktiv, die die harte Linie der Merkel-Kritiker missbilligen.

Frieden mit der Automobilbranche gemacht

Schon lange haben die Grünen im Autoland Baden-Württemberg ihren Frieden mit der Automobilbranche gemacht. Zu Beginn wollte der Landesvater Daimler, Porsche & Co noch mit der „Innovationspeitsche“ dazu zwingen, umweltfreundliche Technologien zu entwickeln. Heute fährt Kretschmann selbst einen Daimler Plug-In-Hybrid mit einer Kombination aus Elektroantrieb und Verbrennungsmotor. Das ist für ihn ein Beispiel dafür, dass Ökonomie und Ökologie kein Gegensatz sein müssen. Beim Parteitag im Herbst 2014 rief Kretschmann die Grünen zur neuen Wirtschaftspartei aus. Ein Jahr später erklärten sich die Grünen zur neuen „Baden-Württemberg-Partei“ - nach der CDU.

Unterm Strich haben die Grünen eine Politik gemacht, mit der sie den Bürgern im konservativen Ländle nicht vor den Kopf stießen. Hinzu kommt die Person Kretschmann selbst. Der 67-Jährige gibt sich bodenständig und pragmatisch. Er genießt bis weit ins CDU-Lager hinein Vertrauen und wird immer wieder mit dem früheren CDU-Regierungschef Erwin Teufel verglichen. „Grün wählen für Kretschmann“, lautet der Slogan im Wahlkampf, der ganz auf den Landesvater zugeschnitten ist.

Nicht allen Grünen gefällt die Entwicklung. Der Parteilinke Jörg Rupp trat im Herbst aus dem Parteirat aus. „Fünf Jahre Regierungspolitik in Baden-Württemberg lassen mich zurück als frustriertes Basismitglied“, sagt er. „Grün, angetreten als „Alternative“ zu etablierter Politik, ist unter Winfried Kretschmann und seinen Helfern zu einer Allerweltspolitik verkommen, die niemandem mehr weh tut.“ Er hält den Grünen vor, im Südwesten faktisch CDU-Politik zu machen. Rupp bezeichnet sich selbst als frustriert, verbittert und zornig. „Ich stelle fest: Realos sind in einer anderen Partei als ich, und der linke Flügel ist auch nicht mehr das, was er mal war.“

„Für manche Grüne durchaus ein gewisser Praxisschock“

Der Freiburger Politikwissenschaftler Ulrich Eith weist aber darauf hin, dass Kretschmann 2011 durch sehr spezielle Umstände ins Amt gelangt ist. Ausschlaggebend seien die verbreitete Unzufriedenheit auch unter CDU-Wählern mit der Landesregierung unter dem damaligen Ministerpräsidenten Stefan Mappus (CDU) sowie die Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima gewesen. „Das war keine Wahlentscheidung mit dem Auftrag, ein alternatives, grün-rotes Politprojekt umzusetzen.“ Die Baden-Württemberger wollten seiner Meinung nach vor allem einen Stilwechsel, und der sei mit Grün-Rot auch zügig eingeleitet worden.

In der inneren Sicherheit hätten sich die Grünen den Notwendigkeiten des Regierungsalltags stellen müssen. Wer für Zuwanderung sei, müsse auch eine Antwort auf negative Konsequenzen haben. „Straftaten müssen geahndet werden“, sagt Eith mit Blick auf kriminelle Flüchtlinge. „Das ist kein Widerspruch zu grünen Positionen. Aber es ist für manche Grüne durchaus ein gewisser Praxisschock, weil man sich vorher mit solchen Fragen nicht breiter auseinandergesetzt hat.“

Grünen-Fraktionschefin Edith Sitzmann räumt heute offen ein: „In der Summe haben wir in der Regierung nicht immer eins zu eins grüne Positionen umgesetzt.“ Ein Ausgleich unterschiedlicher Interessen sei aber nötig, um eine Politik zu machen, die in der Breite akzeptiert werde. „Wir waren im guten Sinne auch immer kompromissbereit.“ Offiziell wollen die Grünen mit der SPD weiterregieren. Doch in den Umfragen reicht es dazu ebenso nicht wie für Schwarz-Gelb. Ein Bündnis aus CDU und Grünen hätte aber ebenso wie Dreierkonstellationen eine Mehrheit - auch wenn beide Parteien beteuern, so eine Koalition nicht wirklich zu wollen.