Baden-Württemberg geht bei der Landtagswahl einen Sonderweg: Es gibt keine Listen und keine Zweitstimmen, der Wähler muss mit einer Stimme auskommen. Wie funktioniert das Wahlsystem genau?

Stuttgart - Wahlen können einfach sein: Sieger ist, wer die meisten Stimmen hat. So wie kürzlich Frank Nopper bei der Stuttgarter Oberbürgermeisterwahl. Wahlen können aber auch schwierig sein. Denn der Versuch, Millionen von Stimmen in der Zusammensetzung eines Parlaments fair widerzuspiegeln, stellt nie alle zufrieden. Schon kleine Drehungen an der Rechenmethode entscheiden über Macht oder Ohnmacht.

 

Das Wahlsystem in Baden-Württemberg nennt man personalisierte Verhältniswahl. Verhältniswahl, weil die Parlamentssitze im Verhältnis zu den abgegebenen Stimmen verteilt werden, und so auch kleine Parteien politisch mitwirken können; personalisiert, weil die Menschen auch über Wahlkreiskandidaten abstimmen und so Persönlichkeiten hervorheben können.

Erst- und Zweitstimme gibt es bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg nicht

In den meisten Ländern sind dafür zwei Stimmen vorgesehen, nicht aber in Baden-Württemberg. Hier hat bei der Landtagswahl, die alle fünf Jahre stattfindet, jeder Wähler nur eine Stimme. Sie wird aber zweimal gewertet. Die amtlichen Stimmzettel in den 70 Wahlkreisen sehen so aus, dass die jeweiligen Kandidaten der Parteien (samt Ersatzbewerber) untereinander aufgereiht sind. Wer die meisten Stimmen holt, also seinen Wahlkreis gewonnen hat, erhält einen Parlamentssitz. Man sagt auch ein „Direktmandat“. Das ist die erste Wertung.

Gäbe es im Landtag nur 70 Abgeordnete, wäre die Sache damit erledigt. Laut Wahlgesetz müssen dort aber mindestens 120 Volksvertreter sitzen – und zwar im richtigen Verhältnis zu der Stimmenzahl, die jede Partei landesweit erhalten hat. Ausnahme: Parteien mit weniger als fünf Prozent der abgegebenen Stimmen bleiben unberücksichtigt. Es müssen also mindestens 50 weitere Sitze verteilt werden, und dazu sind mehrere Rechenschritte notwendig.

Landtag in Baden-Württemberg wird in 4 Schritten gewählt

Erster Schritt: Zunächst verteilt man die 120 Sitze nach dem „Höchstzahlverfahren nach Sainte-Lague/Schepers“ landesweit auf die Parteien. Dazu teilt man die Gesamtstimmenzahl jeder Partei nacheinander durch einen sogenannten Divisor – erst durch 0,5, dann durch 1,5, dann durch 2,5 und so fort.

Wer bei diesen Rechenschritten jeweils das höchste Ergebnis erreicht, erhält ein Mandat. Anfangs räumen so natürlich die großen Parteien ab, doch bei späteren Rechenschritten haben auch kleinere Parteien einmal den höchsten Quotienten - und somit ein Mandat.

Schritt 2 im Wahlsystem von Baden-Württemberg

Zweiter Schritt: Nun wird auf die regionale Ausgewogenheit geachtet. Das ist wichtig in einem Land, in dem die „Badenfrage“ noch lange nach der Fusion eine Rolle spielte. Die für die Parteien im ersten Rechenschritt ermittelten Sitze werden also auf die vier Regierungsbezirke verteilt – und zwar im Verhältnis der von den Bewerbern dort errungenen Stimmenzahl. Das geschieht wieder mit dem oben beschriebenen Höchstzahlverfahren.

Schritt 3: Direktmandate und Überhangmandate in Baden-Württemberg

Dritter Schritt: Jetzt kommen die Direktmandate ins Spiel. Sie werden in jedem Regierungsbezirk auf die Sitzzahl angerechnet, die einer Partei dort (laut zweitem Rechenschritt) zustehen. Wenn eine Partei nur wenige oder gar keine Direktmandate errungen hat, ihr aufgrund ihrer Stimmenzahl aber noch weitere Sitze zustehen, kommen nun ihre Kandidaten zum Zug – und zwar in der Reihenfolge der Stimmenprozente, die sie in den Wahlkreisen errungen haben. Die 50 auf diese Weise verteilten Abgeordnetensitze nennt man Zweitmandate.

Erst- und Zweitmandate

Doch was passiert, wenn eine Partei zwar viele Direktmandate errungen hat, diese Sitzzahl aber gar nicht im Verhältnis zu ihrer Gesamtstimmenzahl steht? Sie darf diese Parlamentssitze dann trotzdem behalten, auch wenn die Normgröße des Landtags von 120 Mandaten damit überschritten wird.

Ein Beispiel: Bei der Wahl 2016 hatten die Grünen mit einem Stimmenanteil von 30,3 Prozent insgesamt 46 der 70 Landtagswahlkreise direkt gewonnen: acht Mandate mehr, als es ihrem Gesamtstimmenanteil entsprach. Dies nennt man „Überhangmandate“.

Schritt 4: Ausgleichsmandate können den Landtag vergrößern

Vierter Schritt: Um das Verhältnis Stimmen/Mandate insgesamt wieder ins Lot zu bringen, erhalten die anderen Parteien dafür einen Ausgleichsogenannte Ausgleichsmandate. Und zwar in jedem Regierungsbezirk getrennt. 2011 erhöhte sich somit die Zahl der Abgeordneten auf 138. Im Jahr 2016 zogen sogar 143 Mitglieder ins Landesparlament ein.