Analyse: Corona zwingt die Landtagskandidaten zu teilweise ganz neuen Wegen, die Wähler anzusprechen.

Leonberg - Gerade noch läuft das lustige Pannenvideo in der Facebook-App, da beginnt die Werbung. Doch statt großer bekannter Marken ist der Schriftzug CDU zu sehen und die Stimme von Sabine Kurtz ertönt aus dem Off. Ein paar Tage später ist es die FDP, auch die Grünen und die SPD kommen mal dran.

 

Was in den USA schon gang und gäbe ist, wurde erst durch Corona auch in Deutschland hoffähig: groß angelegte Werbekampagnen in den sozialen Medien, zugeschnitten auf den erwünschten Wählerkreis. In diesem Fall ist das eben der Wahlkreis 6 Leonberg – Herrenberg – Weil der Stadt.

Ist Social Media jetzt Kür statt nur Pflicht?

Die Spots zahlen die Kandidaten übrigens selbst, ebenso wie gesponserte Post bei Facebook und Instagram. Auf diesem Weg lassen sich nämlich auch Wähler erreichen, die keinem der Politiker in den sozialen Netzwerken folgen.

Ein eigenes Profil in den beiden Netzwerken hat so gut wie jeder Kandidat, auch wenn sie unterschiedlich mit Leben gefüllt sind. Jan Hambach (SPD) berichtet seit Jahren auf seinen Seiten aus seiner politischen Arbeit an der Basis, von virtuellen und realen Vorstandssitzungen etwa.

Peter Seimer (Grüne) hat einen Countdown eingerichtet und erläutert jeden Tag eine seiner politischen Positionen. In wenigen Sätzen, kurz und knackig.

Nur Stimme für Direktkandidat

Wie viel Reichweite die Kandidaten damit erzielen, ist sehr unterschiedlich. Fast immer sind es Menschen, die sich ohnehin in einer der Parteien engagieren oder deren Positionen seit langem teilen. Aber ohne geht es halt auch nicht.

Die Coronapandemie mit ihren Kontaktbeschränkungen macht es allen Kandidaten schwer, potenzielle Wähler zu erreichen. Zwar mögen sich viele schon vor dem Corona-Wahlkampf sicher gewesen sein, welcher Partei sie ihre Stimme geben wollen. Doch die Landtagswahl in Baden-Württemberg ist eine personenbezogene Wahl. Es gibt nur eine Stimme zu vergeben und zwar an den Direktkandidat im Wahlkreis. Eine Zweitstimme für eine Partei gibt es nicht. Natürlich wird ein Großteil der Wähler es trotzdem so handhaben, als wäre es nur eine Stimme für eine bestimmte Partei. Und so versuchten die Kandidaten der größeren Parteien auch mit großen Namen zu punkten.

Spitzenkandidaten sind digital ganz nah

An dieser Stelle macht es Corona eher einfach. Aktuelle und frühere Parteivorsitzende, Minister, Spitzenkandidaten – sie alle lassen sich bequem aus ganz Deutschland per Videokonferenz in den Wahlkreis holen. Und von dieser Möglichkeit wurde in den vergangenen Wochen reichlich Gebrauch gemacht, auch bei Hans Dieter Scheerer (FDP) oder Peter Keßler (AfD). Dabei ging es um die großen Themen wie Wirtschaft und Verkehr, aber auch um kleine Dinge wie Vereine.

Auch fachlich hochkarätig besetzte Runden waren so entstanden, die teilweise als Aufzeichnung auch später noch angesehen werden können. Für die Zuschauer ist so ein echter Mehrwert entstanden.

Wenn sie ihn denn nutzen würden: Denn dreistellige Zuschauerzahlen werden bei diesen Angeboten live nicht erreicht. Und das Publikum, das abends den Rechner anwirft und sich in die Konferenz einwählt, ist eben wieder oft von der Parteibasis. Oder vom Fach. Um manche Themen und Runden war das wirklich schade. Doch auch wenn diese offline stattgefunden hätten, wären vermutlich nicht mehr Zuschauer gekommen. In diesen Fällen haben die Kandidaten ihre Chancen genutzt, die Wähler eher nicht.

Kleinparteien haben es schwerer

Zu erwähnen ist an dieser Stelle der Leonberger Kandidat der Partei Freie Wähler. Dieter Seipler wurde nicht müde, digitale Talkrunden zu organisieren und auf diesem Wege ansprechbar zu sein. Den Kleinparteien macht es die Coronakrise besonders schwer, sich und ihr Programm bekannt zu machen. Und das sind nicht gerade wenige im Jahr 2021. Wobei sich ein Teil der kleinen Gruppierungen erst während und wegen der Coronapandemie und ihren Auswirkungen gegründet hat.

Der klassische Wochenmarkt-Wahlkampf ist zwar keinen Coronatod gestorben, aber pandemiebedingt erheblich geschwächt worden. Der ein oder andere Kandidat versuchte sich dennoch an Haustürbesuchen und Gesprächen über den Gartenzaun. Denn auch Online-Talks können das Gespräch von Angesicht zu Angesicht einfach nicht ersetzen.