Die Stuttgarter Gründen strotzen nach fünf Jahren in der Regierung vor Selbstbewusstsein, vor allem nach den jüngsten Umfragen. Ihr Ziel ist es, dieses Mal nicht nur drei, sondern alle vier Direktmandate zu holen.

Stuttgart – Knapp zwei Wochen vor der Landtagswahl sehen sich die Grünen im Aufwind. Ihre Werte steigen mit jeder Umfrage, während sich jene der CDU im freien Fall zu befinden scheinen. In Stuttgart wirkt sich das noch einmal verstärkt aus: Die Union ist keine Großstadtpartei mehr, sie lag 2011 deutlich unter dem schwachen Landesergebnis. Bei den Grünen war es gerade umgekehrt.

 

Beiden Parteien ist die Vorherrschaft in der Landeshauptstadt wichtig, daran ändert auch der Umstand nichts, dass sie zuletzt im Gemeinderat ein Haushaltsbündnis eingegangen sind und eine große gemeinsame Schnittmenge ausgemacht haben. Es geht wieder einmal um nicht weniger als den Gewinn aller Direktmandate.

Für die Grünen wachsen die Bäume nicht in den Himmel

Die Grünen haben zwar bei der letzten Kommunalwahl 2014 ihr Rekordergebnis von 2009 nicht halten können und bei der Bundestagswahl 2013 erwartungsgemäß beide Direktmandate der CDU überlassen müssen. Aber sie stellen in Stuttgart seit 2012 den OB und bieten im Landtag seit 2011 dank dreier gewonnenen Direktmandate und einem Zweitmandat ein respektables Personaltableau: Mit Winfried Hermann und Franz Untersteller den Verkehrs- sowie den Umweltminister, mit Brigitte Lösch die Landtagsvizepräsidentin und mit Muhterem Aras die Stimmenkönigin der Grünen. Sie holte im Wahlkreis I Mitte, wo die in Anatolien geborene selbstständige Steuerberaterin auch lebt, 42,5 Prozent. Zwischen ihr und der CDU-Konkurrentin Andrea Krueger, die 4,9 Punkte verlor, lagen 15,6 Prozentpunkte.

Für den Innenstadtbezirk spielte der Streit um Stuttgart 21 eine Rolle. Festzumachen ist das an einer um 19,2 Prozentpunkte gestiegenen Wahlbeteiligung. Und am Gesamtergebnis: Die Grünen holten im Land 24,2 Prozent, in Stuttgart 34,5 Prozent. Sie gewannen 51,3 Prozent der Wahlbezirke und 13 von 23 Stadtbezirken.

Die Grünen werben mit Kretschmann

Die Grünen sind überzeugt, dass Stuttgart 21 nun nur ein Randaspekt bei der Wahlentscheidung sein wird. Das Ergebnis der Volksabstimmung anzuerkennen und das Projekt fortan nicht mehr zu verhindern versuchen, hatten die Grünen bei der Gemeinderatswahl 2014 noch einmal zu spüren bekommen. Die aktuelle Flüchtlingskrise schwächt aber die CDU, nicht die Alternativpartei, auch wenn die Opposition Versäumnisse in der Umsetzung bei Verfahren und Abschiebungen moniert.

Die Grünen setzen auf Winfried Kretschmann und werben mit einer – aus ihrer Sicht – guten Regierungsarbeit. Muhterem Aras sagt, es gebe jetzt mehr Steuergerechtigkeit. Steuerhinterziehung sei kein Kavaliersdelikt mehr, und die Steuerverwaltung werde mehr geschätzt. Die Grünen könnten besser mit Geld umgehen: Vier schuldenfreien Haushalten in fünf Jahren stünden zwei der CDU in 58 Jahren gegenüber. Die Bildungspolitik sei auf dem richtigen Kurs: mehr Sprachförderung, eine bessere Kleinkindbetreuung und mehr Ganztags- und Gemeinschaftsschulen.

Hermann hält Stuttgarter Umfahrungen für Lachnummern

Der erstmals im Filderwahlkreis II antretende Winfried Hermann nennt sich selbst in der Kampagne „Bewegungsminister“ – er war einmal Sportlehrer in Untertürkheim und ist als Chef des Verkehrsressort für Mobilität zuständig. Der politische Gegner hat sich fünf Jahre lang vor allem an ihm abgearbeitet. Hermann sagt, er habe mehr für Straßenbau ausgegeben als CDU/FDP – bei ihm habe der Schwerpunkt aber auf Sanierung, nicht auf Neubau gelegen. Nordostring und Filderauffahrt sind für ihn „Lachnummern“ ohne Chancen auf Realisierung. Hermann verweist auf die bessere Vernetzung des Nahverkehrs durch den ÖPNV-Pakt und die Einführung von Metropolexpresszügen. Er tritt als Kandidat die Nachfolge von Werner Wölfle an, der mit dem drittstärksten Ergebnis im Land den Regionalpräsidenten Thomas Bopp hinter sich ließ.

Nur im nördlichen Wahlkreis III gewann die CDU. Reinhard Löffler hatte 6,2 Punkte Vorsprung vor Franz Untersteller, der das Grünen-Ergebnis von 2006 um das 2,5-fache steigerte und das erste von elf Grünen-Zweitmandaten holte. Nun streicht der Umweltminister Erfolge bei der Umsetzung der Energiewende heraus: Drei von fünf Atomkraftwerken habe er abgeschaltet, zudem den Anteil der erneuerbaren Energien auf 26 Prozent gesteigert. „Er drei Punkte runter, ich drei rauf, dann passt das“, beschreibt Untersteller seine Ambition aufs Direktmandat.

Das hat Brigitte Lösch, die Landtagsvizepräsidentin, 2011 zum ersten Mal geholt. Zuvor war sie zweimal über das Zweitmandat ins Parlament eingezogen. Die Sozialpädagogin sagt, die Grünen hätte dem Land ein „neues, tolerantes Gesicht gegeben“, und mit dem „Aktionsplan für Akzeptanz und gleiche Rechte“ ein Zeichen gegen Diskriminierung und Ausgrenzung gesetzt.

Die Ausgangslage für die Grünen

Die Grünen haben in Stuttgart 2011 gegenüber 2006 die SPD und die CDU hinter sich gelassen. Mit 34,5 Prozent lagen sie drei Punkte vor der Union. Statt bisher zwei Kandidaten über die Zweitauszählung errang sie zuletzt drei Direktmandate und ein Zweitmandat – zweimal mit knappem, zweimal mit eindeutigem Vorsprung.

Für die Stuttgarter Grünen sitzt der Bundesvorsitzende Cem Özdemir im Bundestag. Im Landtag vertreten sind Muhterem Aras, Nikolaus Tschenk (als Nachrücker für Bürgermeister Werner Wölfle), Franz Untersteller und Brigitte Lösch. Im Regionalparlament sitzen 16 Vertreter, im Stuttgarter Gemeinderat haben die Grünen 14 Sitze.