Das Bahnprojekt Stuttgart 21 prägt den Ulmer Wahlkampf. Die Stimmenwerbung für die Kandidaten der großen Parteien ist schwierig.
 

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Ulm - Der Landtagswahlkampf ist ein härteres Brot als die Stimmenwettbewerbe auf Kommunal- oder Bundesebene, das weiß auch die Ulmer CDU-Landtagskandidatin Monika Stolz. "Oft wird die Bundespolitik kommentiert und man wird in Haftung genommen", sagt sie. Der Wähler unterscheidet nicht immer genau zwischen dem, was der Landtagsabgeordnete konkret bewirken kann und wo seine Wirkungsmöglichkeit endet. Doch in diesem Wahljahr gibt es in Ulm ein Thema, das alle in Bann hält und von dem lediglich der FDP-Kandidat Frank Berger sagt, es interessiere ihn innerhalb seines Wahlkampfs bestenfalls am Rande, "weil es kein Zukunftsthema ist. Weil es entschieden ist".

 

Die Rede ist von Stuttgart 21. Berger ist für die Realisierung des Bahnprojekts, Monika Stolz ebenso. "Die Ulmer wissen, dass sie auf diese Bahnlinie angewiesen sind", sagt sie. Ungezählte Berufspendler litten tagtäglich auf dem Weg nach Stuttgart unter dem nach wie vor herrschenden "Postkutschenzeitalter".

Der Charme eines Bahnhofs am Stuttgarter Flughafen und verkürzter Reisezeiten bildet die oft wiederholte Formel der Ulmer Befürworter des Bahnhofsprojekts. Die Kompliziertheiten der Bahnhofstieferlegung im Stuttgarter Talkessel hingegen halten viele von sich weg. Ein Interesse, die Stuttgarter Debatten in ihrer nunmehr erreichten technischen Tiefenschärfe aufzunehmen, gibt es so gut wie nicht. Einer, der das versucht in seinem Wahlkampf, der den Part des schärfsten Angreifers im Wahlkampf ausfüllt, ist der Grüne Jürgen Filius. Stuttgart 21, genauer: der Widerstand dagegen ist zentraler Bestandteil seiner Auftritte.

Die Grünen wollen K-21

Im Namen seines Kreisverbandes sagt Filius: "Wir lehnen Stuttgart 21 ab und wollen das K-21-Modell." Die Ulmer Grünen sind für den Ausbau der Neubaustrecke - also eine Trennung des Großprojekts -, allerdings unter einem Kostenvorbehalt. "Wenn das in Richtung fünf Milliarden Euro geht, dann kann's das auch nicht sein", sagt Filius.

Tief- oder Hochbahnhöfe, so wie in Berlin, sind dem Ulmer Anwalt ein Graus aus Erfahrung. Die Familie reist oft mit der behinderten Tochter Franziska per Zug. In Berlin sei es einmal knapp geworden beim Umsteigen, Filius spurtete, den Rollstuhl von Franziska vor sich her schiebend, auf die Aufzüge zu, doch sie waren besetzt. Nur einer mitdenkenden Bahnangestellten verdankte die Familie, dass Reisende ihnen den Vortritt überließen und der Anschlusszug erreicht wurde. Filius sagt, er wolle beim Reisen aber nicht stets auf Mitgefühl angewiesen sein, um sein Ziel zu erreichen.

Der SPD-Landtagskandidat Martin Rivoir spricht sich ebenfalls für Stuttgart 21 aus, doch er hat dabei die komplizierteste Position, weil sie auch innerhalb seiner Partei nicht überall verstanden wird. "Wir sind jetzt so weit, dass man's durchziehen muss", sagt Rivoir, aber er geht noch weiter. "Ich bin gegen eine Volksabstimmung." Und: "Ich werde keinem Koalitionsvertrag zustimmen, der dieses Projekt gefährdet. Punkt." Daraus könnte sich auch gleich schließen lassen, mit wem Martin Rivoir am liebsten koalieren würde, doch er verweigert eine Bestätigung. Eine Koalitionsaussage, sagt er, wolle er nicht machen.

Wahlkampf ist nicht leicht zu führen

Links und recht des Großthemas Bahn beackern die Ulmer Landtagskandidaten jene Felder, die immer irgendwie unbestellt sind, aber größerer Emotionen innerhalb der Bevölkerung entbehren. Monika Stolz legt ihre Fachkenntnis als Medizinerin und Sozialministerin in die Waagschale, beantwortet Fragen zur Sozialpolitik oder zu Fragen der Zukunft der Pflege. Sie thematisiert die Weiterentwicklung der Universität und der Wissenschaftsstadt. Sie macht sich stark für Bildungsthemen, etwa für den Ausbau der beruflichen Gymnasien.

Im Einsatz für die Jugend sieht auch FDP-Mann Berger seine Kernbestimmung, aber er bewegt sich dabei nicht auf der Ebene der Schulpolitik, sondern denkt an die künftige gesamtstaatliche Handlungsfähigkeit. Die Neuverschuldung müsse gestoppt werden, fordert Berger, das sei man nachfolgenden Generationen schuldig. Und der Länderfinanzausgleich müsse auch weg.

Martin Rivoir kämpft in seinem Wahlkampf stark für die Universität Ulm - eine weitere Analogie zu Monika Stolz. Doch der SPD-Kandidat geht schonungsloser mit dem Thema um, fragt, weshalb die Uni Ulm beim Wettbewerb für die Zentren für Gesundheitsforschung im vergangenen Jahr leer ausging. Nun leide die Uni unter einem "Strukturnachteil", sagt Rivoir, obwohl die Medizin der "Nukleus der ganzen Wissenschaftsstadt" sei. "Das Land hat versäumt, Weichen zu stellen", beklagt der Abgeordnete.

Er nimmt in seinem Wahlkampf auch den Protest von Universitätsmedizinern gegen das am 3. Februar verabschiedete Hochschulmedizingesetz des Landes auf. Viele Professoren beklagen, ihnen würden dadurch Bürokratie und Staatsaufsicht aufgezwungen. Rivoir sagt: "Wenn wir an die Regierung kommen, werden wir das Thema im Dialog mit den Betroffenen zurückholen."

Auch Jürgen Filius hat noch andere Themen als Stuttgart 21, ihm dienen dabei Erfahrungen aus seinem Beruf als Strafverteidiger zur Vorlage. So thematisiert er die Ausstattung der Polizei, beklagt "riesenlange Anfahrtszeiten" von Streifenbeamten im ländlichen Bereich. Er stößt Debatten zum Waffenrecht an, macht sich Positionen des Aktionsbündnisses Amoklauf Winnenden zu eigen. Ob der Wähler das goutiert, ist abzuwarten. Aber dass Landtagswahlkämpfe leicht zu führen seien, behauptet Filius ja ebenso wenig wie seine Mitkonkurrenten.