Wer bekommt das Direktmandat im Wahlkreis Nürtingen? Winfried Kretsch­mann bewirbt sich für seine dritte und erklärtermaßen letzte Amtszeit als Regierungschef. Den Promifaktor hat er sicher. Keine leichte Aufgabe stellt sich somit dem Herausforderer von der CDU, Thaddäus Kunzmann.

Region: Corinna Meinke (com)

Kreis Esslingen - Auf den Promifaktor ist der Wahlkreis Nürtingen schon lange abonniert. Das liegt auch an Winfried Kretschmann (Grüne), der dort bereits seit 1980 kandidiert. Es brauchte allerdings sieben Anläufe bis es dem amtierenden Ministerpräsidenten mit 34,9 Prozent der Stimmen gelang, der CDU vor fünf Jahren das Direktmandat abzunehmen. Deren Stuttgarter Statthalter Thaddäus Kunzmann verfehlte 2016 den Einzug in den Landtag, denn sein Stimmanteil von 25,2 Prozent reichte auch nicht für ein Mandat über die Zweitauszählung.

 

Prominent vertreten war der Wahlkreis schon zu Beginn der 2000er-Jahre, als dort gleich drei baden-württembergische Spitzenpolitiker kandidierten. Dazu gehörten neben Nils Schmid, dem damaligen SPD-Landesvorsitzenden und Finanzminister in Kretschmanns grün-rotem Kabinett, auch der verstorbene FDP-Fraktionsvorsitzende Ulrich Noll und eben Winfried Kretschmann, der damals noch als Fraktionsvorsitzender der Grünen fungierte.

Erst die Verkleinerung des Wahlkreises um die Kommunen Wolfschlugen, Oberboihingen und Unterensingen 2011 und die Zuteilung der Zweitmandate nach Stimmenanteil verschlechterten hier die Chancen für Bewerber kleinerer Parteien.

Winfried Kretschmann (72) bewirbt sich für seine dritte und erklärtermaßen letzte Amtszeit als Regierungschef. Neben den Herausforderungen der Coronapandemie dürften die dringenden Zukunftsaufgaben Klimaschutz, Digitalisierung und Stärkung der liberalen Demokratie aber nicht vergessen werden, fordert der Berufspolitiker. Auf jedem Neubau müsse eine Solaranlage stehen, Kretschmann fordert den Ausbau der ökologischen Landwirtschaft auf 30 bis 40 Prozent, die Entwicklung des emissionsfreien Autos in Baden-Württemberg sowie den Ausbau der Gesundheitswirtschaft und der Künstlichen Intelligenz.

Keine leichte Aufgabe stellt sich dem Herausforderer von der CDU, Thaddäus Kunzmann (56). Er braucht Zugewinne, um ein Mandat zu gewinnen. Kunzmann wirbt für den sechsspurigen Ausbau der B 27 zwischen Aich und Echterdinger Ei, den 15-Minuten-S-Bahn-Takt bis Bernhausen, verstärkte Video-Überwachung sowie Elektroschockpistolen für die Polizei. Er setzt sich ein für den Ausbau von 5G, die Wiedereinführung der verbindlichen Grundschulempfehlung und die Vorbereitung der Firmen auf die Strukturveränderungen mit Hilfe der Forschung.

Befürworter schätzen Kunzmann als wertkonservativen Kommunalpolitiker auf Stadt- und Kreisebene, der als CDU-Stadtverbands- und Kreischef agiert. Kritiker sagen, Kunzmann, der seit 2017 als Demografiebeauftragter für die Landesregierung arbeitet, polarisiere. Zuletzt hatte sein Versuch, den Tod des farbigen US-Amerikaners George Floyd durch Polizeigewalt mit dessen Vorstrafenregister zu relativieren, auch landespolitisch viel Unmut aufgewirbelt.

Regina Birner (SPD) aus Beuren versteht ihre Kandidatur als Kampfansage an Grün-Schwarz. Die Professorin und Agrarökonomin (55) mit internationaler Reputation erklärt, gleiche Bildungschancen und günstiger Wohnraum würden von der Regierung Kretschmann nicht umgesetzt und die soziale Dimension des Klimawandels komme im konservativen grünen Weltbild nicht einmal vor. Wichtig seien ihr fairer Handel, nachhaltiges Wirtschaften, Tierschutz und mehr Anerkennung für die Landwirte. 2016 verlor die SPD 11,6 Prozent der Stimmen (Ergebnis: 10,5 Prozent) und wurde von der AfD (14,4 Prozent) von Rang drei verdrängt. Deren Kandidat Hansjörg Schrade (62) aus Reutlingen verlangt einen Kurswechsel in der Pandemiepolitik. Seine Ziele sind: Sicherheit, Wohlstand, Bildung, Infrastruktur und Schutz der Heimat. Der Unternehmer kritisiert Misswirtschaft bei den Themen Verkehr, innere Sicherheit und Energie.

Dennis Birnstock (30) aus Filderstadt bewirbt sich für die FDP. Der Biotechnologe möchte das Ergebnis von 2016 (9,1 Prozent) steigern mit Forderungen nach Beseitigung des Lehrermangels, funktionierenden Lernplattformen, flächendeckendem Glasfasernetz sowie einer technologieoffenen Verkehrswende, Bürokratieabbau und schnelleren Genehmigungen.

Mit 25 Jahren ist Anil Besli aus Leinfelden-Echterdingen der jüngste Bewerber. Der Student möchte für Die Linke punkten, die bei der Wahl 2016 auf 2,1 Prozent Stimmenanteil kam. Der Hobbyfußballer engagiert sich als Bildungsreferent bei der Landeszentrale für politische Bildung und für die Türkische Gemeinde Baden-Württemberg. Besli möchte der Politikverdrossenheit der Jugend begegnen, Freiheitsrechte und Demokratie stärken, Kinderarmut und Klimawandel stoppen.