Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Zu Horst Seehofers Redebausteinen gehört einer, den er immer mit verfugt, und besonders dann, wenn es mal wieder stinkt in Bayern: nach Vetternwirtschaft, Selbstbedienung, Amigomonacos, solchen Sachen. Dann erzählt Horst Seehofer, Arbeiterkind aus einer Ingolstädter Großfamilie, die Geschichte von der Lohntüte des Vaters, auf die man als Kind am Freitag besonders aufpassen musste, dass sie nicht „mit ihrem Besitzer ins Wirtshaus einkehrte“, wie Seehofer das immer humoristisch bündelt. Dann kommt eine Generalpause. Und dann sagt Horst Seehofer stets den gleichen Satz: „Ich habe nicht vergessen, wo ich hergekommen bin.“ Ein Placebo in diesem Nicht-Wahlkampf zu aller Beruhigung.

 

Am Mittwochabend ist er mit diesem Textmodul in der Münchner Freiheizhalle zu Gast, die tatsächlich derart blöd heißt, wie sie sich schreibt. Hier, unter der Donnersbergerbrücke in der – was sonst? – „schönsten Stadt der Welt“, weiß jeder, wo der Ministerpräsident sein Büro hat, nämlich in einem größenwahnsinnig walhalligen Klotz am Hofgarten. Seehofer redet ihn (und sich) ein wenig kleiner. Manchmal, sinniert er, sitze er da, allein, und denke: „Was kann ich noch für Bayern tun?“

In den Heimatherzen wird’s warm

Pathos selbst in kleineren Dosen funktioniert kaum mehr oder kippt gleich ins Vulgäre. Bei der CSU allerdings, wo die Bigotterie seit Straußens Zeiten zur Grundausstattung gehört, hilft Pathos, Anflüge von Schurkentum respektive offen gelebte Neigungen zur Tabuüberschreitung zu verblenden. Dennoch etwaig aufkommendes Unwohlsein bekämpft Seehofer mit seinem Hang zur Parodie: dem natürlich anwesenden und bestplatzierten Dorfpfarrer im Festzelt legt er geschickt auseinander, dass die CSU zwar nicht das Paradies erfunden habe, wohl aber politisch die Pforten am Eingang hüte. Oh, heilig’s, Bayern! Und in den Heimatherzen wird’s warm, jedenfalls ein bisschen.

Seine Partei hat Seehofer mit all diesen Tricks, von denen man nicht immer weiß, ob sie aus der Kiste kommen oder tatsächlich manchmal mit einer echten Empfindung vernetzt sind, aus der denkbar größten Patsche geholfen. Kaum kann man sich erinnern, dass es vor sechs Jahren mal einen Ministerpräsidenten Günther Beckstein gab, auf den mancher die Hoffnung setzen mochte, er werde den Freistaat teilweise politisch reformieren. Beckstein indes verstrickte sich in hilflosem Aktionismus und ließ sich vom Apparat überrollen. Seehofer hat umgedreht den Apparat nach dem „CSU, c’est moi!“-Prinzip neu auf sich ausgerichtet und entpolitisiert. Es geht nur noch „um Menschen“. Praktisch schaue das so aus, erzählt Seehofer, dass er nebenher aus Interesse auch mal ins gymnasiale Biologiebuch schaue, um zu entdecken, dass dort „die Funktionsfähigkeit einer Vogelfeder“ verhandelt werde. Fürs G8, wo’s lehrplanmäßig äußerst pressiert. Und? „Da habe ich gesagt: Raus!“, und das war’s dann mit der Vogelfeder. Seehofer sagt gerne mal „Raus!“. Königliches Bayern.

Kann man das erklären? Versuchen kann man’s.

Herausforderer Christian Ude in Würzburg

Ein Abend später, Würzburger Juliusspital, Weinstube, Nebenzimmer. Es tagt der Presseclub. Vorne sitzt der nach einem termingespickten Tag im Wahlkampf über Land und kurzer Ruhepause im Bus auf seine gaumige Art schon wieder erstaunlich putzmuntre Christian Ude. Als Ude vor knapp zwei Jahren sich anschickte, Spitzenkandidat einer SPD zu werden, die er auf Landesebene in Bayern eigentlich nur schemenhaft kannte, dachten viele in der Partei: Ja, jetza! Sie dachten es wirklich. Ude ist dann neben seiner Tätigkeit als Münchner Oberbürgermeister losgelaufen, als ob es kein Morgen mehr gebe. Ein bisschen hamsterhaft, im Rad. Erst klang das mitunter ganz pointiert, und die CSU war nicht gut beinand, wie man so sagt. Die SPD ging schon mal ans Planen, wie man die CSU in welcher Konstellation beerben könne. Mit den Grünen, klar. Aber auch mit den Freien Wählern, Fleisch vom Fleisch der CSU, und, jedenfalls beim letzten Mal, gut für einen fetten Zehnprozenter. Allerdings hat sich dann Hubert Aiwanger, der Chef der Freien Wähler, als Divus entpuppt, der bis heute nicht rauslässt, ob er Seehofer und den Seinen helfen würde, wenn’s denen je nicht langt (und die FDP nicht reinkommt), oder ob er dann doch zu Ude schwenkte. Wobei der deutlich über 20 Prozent bräuchte, „25“, sagt er in Würzburg, „wären eine schöne Zahl“. Wären!

In Bayern gehen, schon Willy Brandt erkannte das milde resignierend an, die Uhren anders. Christian Ude, der am Anfang seiner Kandidatur viel belachte Probleme gerade mit der fränkischen Geografie hatte (die CSU lacht da momentan nicht mehr mit, weil Horst Seehofer jüngst die Donau im Brustton der Überzeugung grad verkehrt herum fließen ließ), ist viel durch den Freistaat gekommen. Weiß er jetzt, warum Bayern anders tickt? In Würzburg sagt Ude, es komme einem „eigentlich unfassbar vor, wie viele Angriffsflächen die CSU“ biete. Das sei den meisten seit den Tagen des „wie einen Halbgott verehrten Franz Josef Strauß jedoch „einfach wurst“. Ude setzt nach, das klinge böse. „Anderes aber wäre illusionär. Es ist so!“ Und dann müsse man natürlich am Ende schon zugestehen, dass es „eine enorme politische Leistung“ darstelle, „wenn die Frage nach politischem Versagen oder Moral“ keine Rolle mehr spiele. Was jetzt nicht ganz stimmt.

Die Geschichte von der Lohntüte des Vaters gehört immer dazu

Zu Horst Seehofers Redebausteinen gehört einer, den er immer mit verfugt, und besonders dann, wenn es mal wieder stinkt in Bayern: nach Vetternwirtschaft, Selbstbedienung, Amigomonacos, solchen Sachen. Dann erzählt Horst Seehofer, Arbeiterkind aus einer Ingolstädter Großfamilie, die Geschichte von der Lohntüte des Vaters, auf die man als Kind am Freitag besonders aufpassen musste, dass sie nicht „mit ihrem Besitzer ins Wirtshaus einkehrte“, wie Seehofer das immer humoristisch bündelt. Dann kommt eine Generalpause. Und dann sagt Horst Seehofer stets den gleichen Satz: „Ich habe nicht vergessen, wo ich hergekommen bin.“ Ein Placebo in diesem Nicht-Wahlkampf zu aller Beruhigung.

Am Mittwochabend ist er mit diesem Textmodul in der Münchner Freiheizhalle zu Gast, die tatsächlich derart blöd heißt, wie sie sich schreibt. Hier, unter der Donnersbergerbrücke in der – was sonst? – „schönsten Stadt der Welt“, weiß jeder, wo der Ministerpräsident sein Büro hat, nämlich in einem größenwahnsinnig walhalligen Klotz am Hofgarten. Seehofer redet ihn (und sich) ein wenig kleiner. Manchmal, sinniert er, sitze er da, allein, und denke: „Was kann ich noch für Bayern tun?“

In den Heimatherzen wird’s warm

Pathos selbst in kleineren Dosen funktioniert kaum mehr oder kippt gleich ins Vulgäre. Bei der CSU allerdings, wo die Bigotterie seit Straußens Zeiten zur Grundausstattung gehört, hilft Pathos, Anflüge von Schurkentum respektive offen gelebte Neigungen zur Tabuüberschreitung zu verblenden. Dennoch etwaig aufkommendes Unwohlsein bekämpft Seehofer mit seinem Hang zur Parodie: dem natürlich anwesenden und bestplatzierten Dorfpfarrer im Festzelt legt er geschickt auseinander, dass die CSU zwar nicht das Paradies erfunden habe, wohl aber politisch die Pforten am Eingang hüte. Oh, heilig’s, Bayern! Und in den Heimatherzen wird’s warm, jedenfalls ein bisschen.

Seine Partei hat Seehofer mit all diesen Tricks, von denen man nicht immer weiß, ob sie aus der Kiste kommen oder tatsächlich manchmal mit einer echten Empfindung vernetzt sind, aus der denkbar größten Patsche geholfen. Kaum kann man sich erinnern, dass es vor sechs Jahren mal einen Ministerpräsidenten Günther Beckstein gab, auf den mancher die Hoffnung setzen mochte, er werde den Freistaat teilweise politisch reformieren. Beckstein indes verstrickte sich in hilflosem Aktionismus und ließ sich vom Apparat überrollen. Seehofer hat umgedreht den Apparat nach dem „CSU, c’est moi!“-Prinzip neu auf sich ausgerichtet und entpolitisiert. Es geht nur noch „um Menschen“. Praktisch schaue das so aus, erzählt Seehofer, dass er nebenher aus Interesse auch mal ins gymnasiale Biologiebuch schaue, um zu entdecken, dass dort „die Funktionsfähigkeit einer Vogelfeder“ verhandelt werde. Fürs G8, wo’s lehrplanmäßig äußerst pressiert. Und? „Da habe ich gesagt: Raus!“, und das war’s dann mit der Vogelfeder. Seehofer sagt gerne mal „Raus!“. Königliches Bayern.

In den Städten verliert die CSU an Wählern

Apropos: in Ochsenfurt bekommt Christian Ude, der im Übrigen manchmal etwas leicht Vogelfederhaftes hat, wie er zum Gedankenflug ansetzt, um dann doch wieder von den herrschenden Verhältnissen (in Bayern und in der SPD insgesamt) niedergedrückt zu werden, am hellen

Der SPD-Spitzenkandidat für den Posten des bayerischen Ministerpräsidenten, Christian Ude, vor seinem Tourbus. Foto: dpa
Vormittag einen roten Prosecco in die Hand gedrückt: „Fast so gut wie Kir Royal“, sagt der Ortsvorstand, der die SPD hier immerhin bei knapp 30 Prozent hält. Dass sie auf dem Land der Partei trotzdem nicht richtig was zutrauen, woran liegt’s? In den Städten (Würzburg, Bamberg, Passau, von München nicht zu reden), verlieren wiederum CSU und die Union deutschlandweit massenhaft Wähler.

Naturgemäß denkt der Politiker Ude als langjähriger OB und Städtetagspräsident vom Urbanen aus. Ob es aber so schlau ist, ausgerechnet in Unterfranken den Leuten damit zu kommen, dass München-Stadt und München-Land schon mal über 40 Prozent der bayerischen Steuereinnahmen sichern? Später in Würzburg moniert er, dass es leider bereits die Medien wenig interessiere, was er zum Mindestlohn oder zur Bildung meine, Hauptsache, es gebe ein buntes Foto mit Hut auf dem Kopf oder Weinkönigin im Arm. Die Klage ist, gesamtmedial gesehen, nicht völlig unberechtigt. Auf der anderen Seite sieht man Ude schon auch an Grenzen stoßen. Es war ein ziemlich einsamer Entschluss von ihm, auf die älteren Tage noch einmal die Ebene zu wechseln und Landespolitiker zu werden, der er nie war. Kommt hinzu, dass es einen Unterschied darstellt, ob man die Dinge selber antreiben kann oder eher der Getriebene ist.

Vor dem Würzburger Vierröhrenbrunnen erzählt Christian Ude neben dem SPD-Oberbürgermeister Georg Rosenthal nach dem Auftritt der unvermeidlichen Dixieland-Combo zur Illustration seiner gelegentlichen Ohnmachtsgefühle die Geschichte von den Windkraftwerken, die in Unterfranken ursprünglich einen Kilometer von jeder Siedlung entfernt hätten aufgestellt werden dürfen. Nicht schön, ästhetisch betrachtet. Nun werden es, laut Ratschluss aus der Staatskanzlei, künftig zwei Kilometer, weil der Ministerpräsident gegen die „Verspargelung“ ganzer Landstriche ist, aber natürlich auch für die Energiewende. Unsinnig ist diese Marge trotzdem, weil so nicht mehr groß was gebaut werden kann. Ude nennt das Ganze „eine wirtschaftsfeindliche Laune“ Seehofers; aber, was soll er machen? Selbst die regionalen CSU-Leute haben gegen München opponiert. Genutzt hat es nichts. „Es läuft doch“, sagt Seehofer im Festzelt. Und es läuft ja auch.

Unterwegs in seiner Air Force One

Vielleicht ist es bezeichnend, dass Christian Ude mit einem monströsen Bus unterwegs ist, den er ironisch „Air Force One“ nennt. Bei mancher Main-Brücke und vor etlichen Stadttoren muss der virtuose Fahrer passen. Kann es sein, dass Bayern eine Nummer zu groß ist für die SPD, und die SPD das nicht wahrhaben will? Horst Seehofer hingegen muss sich selber nur noch ein paar Mal aufziehen und stiefelt höchstwahrscheinlich einer vor fünf Jahren für immer verloren gegangen geglaubten absoluten Mehrheit entgegen. Die CSU lebte damit eindeutig über ihre Verhältnisse. Warum sie das fast immer konnte und womöglich wieder kann, meint Christian Ude erkannt zu haben: „Bestimmte Interessen sind bei der CSU am besten aufgehoben.“ Die Sache ist nur die: in der CSU würden sie diesen Satz, ohne groß nachzudenken, sofort unterschreiben.