Der bayerische Landtagswahlkampf ist spannend wie lange nicht: Fünf sehr unterschiedliche Oppositionskandidaten kämpfen darum, die Alleinherrschaft der CSU zu brechen. Wer wird Ministerpräsident Söder am Sonntag besonders gefährlich?

München - Die Wahl für den bayerischen Landtag dürfte so spannend werden wie lange nicht: Noch nie waren so viele Wähler kurz vor dem Urnengang unentschlossen, noch nie bröckelte die Hausmacht der regierenden CSU so stark. Für die Herausforderer des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder ist das ein Ansporn: Sie alle könnten zum Zünglein an der Waage werden – und kämpfen auf ganz unterschiedliche Weise um Stimmen. Wir stellen die aussichtsreichsten Spitzenkandidaten der Opposition vor.

 

Katharina Schulze (Grüne): Die Frau mit dem breiten Lächeln

Das Lächeln, das Lachen mit blitzblanken Zähnen ist Katharina Schulzes Markenzeichen, und zu keinem Moment wirkt es aufgesetzt. Diese Frau ist einfach so. Kein anderer, keine andere im bayerischen Wahlkampf versprüht so viel Optimismus, Unbekümmertheit und Fröhlichkeit wie die 33-jährige Spitzenfrau der Grünen. Markus Söder und die anderen starken Männer von der CSU, sie schmähen die Grünen als „Verbots- und Bevormundungspartei“, als „Miesmacher“. Ideologie sucht man bei Schulze aber vergebens. Und gänzlich irritiert die Herrschenden in München, dass die Grünen nicht an allem nur herumnörgeln, sondern einen Ansatz gekapert haben, den die CSU glaubte, in Alleinpacht zu besitzen: Mit unverkrampftem Lob auf „unser schönes Bayernland“ ziehen Schulze und ihre Partei durch den Wahlkampf. Das wollen sie erhalten und retten.

Katha, wie sie sich nennt, spricht Hochdeutsch, garniert mit Worten, die man im gesetzten bayerischen Politikbetrieb noch nie gehört hat: Wow, geil, krass, mega, hey. Dirndl trägt sie „supergerne“, mit dem Dialekt fremdelt sie aber. Sie ist Großstadt-Politikerin – und es ist fraglich, wie gut sie sich auf dem Land durchsetzen kann. Doch während ihres Studiums hat Schulze 2011 im Kampagnenteam von Barack Obama ein Praktikum gemacht. Haustürwahlkampf habe sie da gelernt. „Ich dachte: Nein, sicher nicht, ich klingele doch nicht an irgendeiner Tür!“, erzählt Schulze. „Dann hab ich gemerkt, oh my god, das ist großartig, da lernst du coole Menschen kennen, die Leute freuen sich, dass du da bist.“ Zu Hause, 2013 bei ihrem ersten eigenen Landtagswahlkampf, „hab ich zu meinem Team gesagt, wir machen auch Haustürwahlkampf. Die sagten: Oooo, neeee! Und ich: Doch, doch, das wird gaaanz toll!“ Heute, sagt Schulze, hätten die Grünen das Konzept in die Fläche getragen. Sie selbst hat an 5000 Türen geklingelt. „Es ist so nett, mit den Menschen zu ratschen.“

Hubert Aiwanger (Freie Wähler): Der Graswurzler

Ohne Tross ist er einmarschiert, ohne Musik. Irgendwann steht er einfach unter den gut 500 Menschen in Karpfham, schüttelt Hände, als würde er jeden einzelnen persönlich kennen: „Ah, bis vo Ingolstadt seid’s kemma! So weit her!“ Die örtlichen Landtagskandidaten dürfen sich noch schnell vorstellen, jeder einen Satz, maximal zwei. Dann ist er selber dran: Hubert Aiwanger, Chef der Freien Wähler in Bayern. Ach was: Chef. Gesicht. Verkörperung.

Im Bierzelt spricht der geborene Bauer zu Bauern. Über Bürokratie („Stress ohne Ende“), Erzeugerpreise („die Bauern werden als billige Rohstofflieferanten missbraucht“) und überhaupt darüber, dass man sich auf den Dörfern als „Menschen zweiter Klasse“ behandelt fühlt. Die Freien Wähler propagieren sich als „Graswurzelpartei“, weil sie sich ganz tief im Volk verankert fühlt, weil sie das Gras wachsen hört, wo die CSU im Rausch ihrer absoluten Mehrheit die Bodenhaftung verloren habe.

Im Landtag gehört Aiwanger unbestritten zu den besten Rednern. Er spricht immer frei; gestanzte Formeln sind ihm zuwider, und genauso authentisch wechselt er zwischen Dialekt und Hochdeutsch, ohne dass ein Stilbruch auffiele. In die Regierung kommen würde er schon gerne; sein Liebeswerben vor den Burgtoren der CSU gibt er derart offen zu, dass sich Ministerpräsident Markus Söder gerne lustig macht über diesen Oppositionellen, von dem er sich „schon fast gestalkt“ fühle.

Natascha Kohnen (SPD): Keine Frau für Bierzelte

Dass die alten Zeiten vorbei sind, musste Natascha Kohnen vor zwei Wochen schmerzlich erfahren. Nicht sie, die SPD-Landesvorsitzende und Spitzenkandidatin, wurde vom Bayerischen Rundfunk zum Fernsehduell der beiden führenden Parteien eingeladen. Der Sender lud stattdessen die Grünen zum Schlagabtausch mit CSU-Mann Markus Söder. 20,6 Prozent hatte die SPD bei der Landtagswahl im Jahr 2013 eingefahren. In aktuellen Umfragen kommt sie nurmehr auf elf bis zwölf Prozent; sie liegt gleichauf mit AfD und Freien Wählern – aber sechs Punkte unter den Grünen.

„Was wir wirklich können, ist kämpfen“, sagt Kohnen gerne. Warum das bislang keine Resultate zeitigt? Der Wind aus dem Groko-Berlin weht für die SPD mindestens so ungünstig wie für die CSU. Hinzu kommt, dass die bayerische SPD gegen die markanten Platzhirsch-Figuren der CSU keine volksnahen Persönlichkeiten aufzubieten hat. Die Dreißig-Prozent-Zeiten einer Renate Schmidt, von Franz Josef Strauß zur „Krampfhenna“ geadelt, sind vorbei.

So ruht seit der Mitgliederbefragung im Frühjahr 2017 alles auf den Schultern von Natascha Kohnen. Die studierte Biologin mit Auslandserfahrung (drei Jahre Paris) arbeitete acht Jahre als Generalsekretärin der bayerischen SPD. Mit ihr setzt die Partei vor allem auf städtische Wähler (die sich offenbar aber eher von den Grünen angesprochen fühlen), auf dem Land kommt die rote Spitzenkandidatin nicht an. In Bierzelten zum Beispiel fühlt sich eine wie Kohnen gar nicht wohl.

Katrin Ebner-Steiner (AfD): Die Senkrechtstarterin

Über Mangel an journalistischem Besuch kann sich Katrin Ebner-Steiner nicht beklagen. „Gerade seit Chemnitz“, sagt sie, „läuft’s richtig gut.“ Katrin Ebner-Steiner, 40 Jahre jung, Bilanzbuchhalterin, verheiratet, vier Kinder: Sie ist wer geworden seit der Bundestagswahl vor einem Jahr. Da holte sie daheim in Deggendorf aus dem Stand heraus und ohne sich übermäßig anzustrengen das höchste Ergebnis für ihre AfD in ganz Westdeutschland: 19,2 Prozent. Im Stadtviertel St. Martin – sozialer Brennpunkt, viele Ausländer, viele Russlanddeutsche – bekam Ebner-Steiner mit 31,5 Prozent sogar mehr als die CSU.

Deggendorf, das war einmal klassisches CSU-Gebiet. Einen Knacks gab’s im Herbst 2015, als Deggendorf in den Hauptstrom der Flüchtlinge geriet. „Die Menschen sind sehr wütend“, sagt Ebner-Steiner. Als hetzerisch will sie nicht wahrgenommen werden – auch wenn sie innerhalb der AfD zum extremen Flügel um den Thüringer Björn Höcke zählt. Sie ist eines der Gesichter in einer Partei, die sonst kein Gesicht hat. Einen Landesspitzenkandidaten wollte die bayerische AfD nicht – zum einen, weil sie sich auf keine(n) hätte einigen können, zum anderen, weil sie sich „nicht als Partei der Personen, sondern der Themen“ präsentieren will. „Wir brauchen keinen Spitzenkandidaten-Superstar“, sagt sie und ist klammheimlich froh darüber, dass dieses Los an ihr vorübergegangen ist. Aber wer weiß, nach dem 14. Oktober wird die nagelneue AfD-Fraktion im Landtag eine Führung brauchen...

Martin Hagen (FDP): Der Selbstbewusste

Dass es dem Kandidaten an Selbstbewusstsein mangeln könnte, hat noch keiner behauptet. Wer die Internetadresse „www.landtag2018.de“ anklickt, der darf nicht auf grundsätzliche Informationen zu einer bevorstehenden Landtagswahl hoffen – er landet auf der ganz persönlichen Kampagnenseite des bayerischen FDP-Chefs. Und bei Twitter tritt derselbe Martin Hagen als „@realmartinhagen“ auf. Falls da jemand an den berüchtigten „@realdonaldtrump“ denkt, liegt er nicht falsch.

Martin Hagen – 37 Jahre alt, verheiratet, zwei kleine Töchter – hat bisher eine der steilsten Karrieren im weiß-blauen Politikbetrieb hingelegt. Wobei er mit Weiß-Blau überhaupt nicht wirbt. Die Wahlkampfplakate der FDP kommen in comic-knalligem Rot-Blau-Gelb daher. Hagen verspricht „ein frisches Bayern“, das „angestaubte“ soll weg. Und mit Marketing kennt Hagen sich aus: Er arbeitet als selbstständiger „Strategie- und Kommunikationsberater“. Zuvor war der studierte Politologe acht Jahre lang Hauptgeschäftsführer der bayerischen FDP, in noch jüngeren Jahren Pressesprecher der FDP-Landesgruppe im Bundestag, und zum Spitzenkandidaten haben ihn die etwa 6000 bayerischen Liberalen im März per Urwahl gekürt. Auf zwei Prozent taxierten Umfragen die FDP vor zwei Jahren. Heute liegt sie stabil genau auf der Hürden-Höhe von fünf Prozent, und Martin Hagen ruft schon acht Prozent als Ziel aus. Da wäre er dann wieder das, was die Liberalen nach der Landtagswahl 2008 schon einmal waren: ein möglicher Koalitionspartner der CSU.