Verliert Rot-Grün die Wahl, könnte für Peer Steinbrück (SPD) die Kanzlerkandidatur auf dem Spiel stehen. Geht Schwarz-Gelb unter, bekommen die Gegner von FDP-Chef Philipp Rösler noch stärkeren Aufwind.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin – Des einen Freud ist des anderen Leid: Selten war diese Volksweisheit zutreffender für eine Wahl als jetzt. Aufgrund stabiler Umfragen waren die Sozialdemokraten sehr lange überzeugt, dass ein rot-grüner Sieg in Hannover ihnen sicher sei. Doch jetzt ist wieder offen, ob die SPD ihre Erfolgsserie fortsetzen kann, die im Februar 2011 mit dem Triumph des Hamburg-Wahlsiegers Olaf Scholz begonnen hat.

 

Dabei bauten die Genossen felsenfest darauf, dass ihnen in Niedersachsen der bestmögliche Start zur Bundestagswahl glücken würde. Wenn es anders kommt, zieht das den Genossen den Boden unter den Füßen weg. Dann wird die Debatte, ob der fehlstartgeschwächte Peer Steinbrück nicht doch der falsche Kanzlerkandidat ist, die SPD endgültig erreichen.

Keiner fordert bislang Steinbrücks Ablösung

Bis jetzt, das muss man den Genossen lassen, hält die Brandschutzmauer, die sie um den angeschlagenen Herausforderer von Kanzlerin Angela Merkel gezogen haben. Keine einzige Stimme ist bisher laut geworden, die Steinbrücks Ablösung fordert. Nicht einmal als die Umfragen im Bund in dieser Woche den symbolträchtigen Tiefstand von 23 Prozent erreichten, bröckelte die Disziplin. Dabei erinnert dieser Wert fatal an die historische Niederlage bei der Bundestagswahl 2009, nach der die SPD in eine kollektive Depression stürzte. Entsprechend schlecht ist jetzt die Stimmung.

Doch auch das neue Tief führte nur dazu, dass der SPD-Chef Sigmar Gabriel, der Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier, die Düsseldorfer Regierungschefin Hannelore Kraft und der frisch gebackene Ex-Ministerpräsident Kurt Beck Steinbrück verteidigten. Einhellig versicherten sie ein ums andere Mal: er bleibt!

Alternative zu Steinbrück haben die Sozialdemokraten nicht

Doch wenn Rot-Grün die Niedersachsenwahl verlieren sollte, würde das in der Partei mindestens als mittlere Katastrophe gewertet. Dann würde aus der hypothetischen eine konkrete Frage nach Steinbrücks Zukunft. Dass das sehr ernste Debatten auslösen würde, räumen selbst Spitzengenossen ein, die überzeugt sind, dass die SPD jetzt in der Ruhe neue Kraft suchen muss. Eine überzeugende Alternative zu Steinbrück haben die Sozialdemokraten nicht, nachdem Gabriel und Steinmeier sich selbst aus dem Rennen um die Kanzlerkandidatur genommen haben und Hannelore Kraft in Nordrhein-Westfalen bleiben will.

Dass Steinbrück selbst aufgibt, gilt in SPD-Kreisen als ziemlich ausgeschlossen – und doch als das größte Risiko. Dass in der Partei „wenige Böswillige unterwegs“ seien und bisher kein Angreifer auszumachen sei, macht im Willy-Brandt-Haus und darüber hinaus zuversichtlich. Deshalb scheint die Parteispitze entschlossen, Steinbrück auch bei einer Wahlniederlage in Hannover zu halten. Aber der Prüfstein ist erst am Sonntag erreicht. Erst dann wird es ernst.

Gewinnen und gehen – rettet ein Erfolg der amtierenden Koalition den angeschlagenen FDP-Parteichef Rösler?

Berlin - Der FDP droht am Wahlabend ein Wechselbad der Gefühle. Denn eigentlich war im erweiterten Führungskreis seit Monaten ausgemacht, dass der Parteichef Philipp Rösler nach dem verloren geglaubten Urnengang in Niedersachsen zu gehen hat, beziehungsweise, bei mangelnder Einsicht, gegangen wird. Nun aber droht aus Sicht der Kritiker Röslers sogar die Aussicht auf eine Fortsetzung der schwarz-gelben Koalition. Und Rösler würde einen solchen Erfolg in seinem Heimatverband gewiss für sich reklamieren. Es wäre also, anders als bei einer krachenden Niederlage, gar nicht mehr so einfach, Rösler zu kippen.

Ein brutaler Putsch mit Königsmörder und allem drum und dran könnte nur schwer vermittelt werden, wenn sich Schwarz-Gelb in Niedersachsen hält und sich alle Debatten plötzlich um die Frage drehen, ob Rot-Grün mit einem Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück die Bundestagswahl womöglich schon verloren hat. Das Interesse ist bei den Rösler-Kritikern deshalb gering, die FDP in einer solchen, für Schwarz-Gelb perfekten Debattenlage mit einem ruppigen Machtkampf unnötig lange in die Schlagzeilen zu zwingen. Bleibt also eigentlich nur eine Lösung, die den Schaden begrenzen würde: Rösler geht selbst.

Brüderle wagt sich erstmals aus der Deckung

Darauf setzen sie jetzt in den Führungszirkeln: dass Rösler die Chance erkennt, die ihm ein solches Wahlergebnis böte. Eine souveräne Übergabe der Verantwortung in einem letzten Moment der Stärke an Fraktionschef Rainer Brüderle. Dann, so heißt es, bliebe Rösler zumindest der Ministerposten. Seit einigen Tagen ist man deshalb dabei, Rösler eine Brücke zu bauen. Brüderle lobte zuletzt auffallend oft Röslers Arbeit als Wirtschaftsminister. Man habe Rösler intern signalisiert, dass er den Ministerposten behalten kann, wenn Niedersachsen gut ausgeht, heißt es in Führungskreisen. Aber mehr sei für Rösler nicht drin.

Offen bleibt, ob sich Rösler darauf einlässt oder ob er aufs Ganze geht. Vielleicht, so die Befürchtung seiner Gegner, setzt er ja darauf, dass die eigentlich zum Sturz entschlossenen Landesvorsitzenden kalte Füße bekommen, weil ein gutes Niedersachsen-Ergebnis keinen Vorwand dafür liefert, den im Wahlkampf extrem engagierten Vorsitzenden zu stürzen.

Wohl auch deshalb wagte sich erstmals Rainer Brüderle selbst aus der Deckung. Er plädierte dafür, den für Mai geplanten Parteitag vorzuziehen, um früher die Führungsfrage zu klären. Dies war eine Forderung derer, die Rösler weghaben und stattdessen mit Brüderle in die Bundestagswahl gehen wollen. Rösler hatte dies bisher abgelehnt. NRW-Chef Christian Lindner, der einen Übergangsvorsitzenden Brüderle einmal beerben soll, unterstützte den Fraktionschef prompt. Man muss nicht glauben, dies sei nicht abgestimmt gewesen.