Die Berliner Ampelkoalition kann das Wahlergebnis in Niedersachsen als Bestätigung ihres Kurses betrachten. Die CDU und ihr Vorsitzender Friedrich Merz hingegen haben ein Problem: Sie müssen sich fragen, ob sie die richtigen Schwerpunkte setzen.

Man muss sich die deutschen Sozialdemokraten und Grünen an diesem Sonntag als glückliche Menschen vorstellen. Teure Energie, Ukraine-Krieg, Corona: Auf der Bundesebene bläst den beiden größten Regierungsparteien der Ampelkoalition der Wind kräftig ins Gesicht. Nicht einmal ein Drittel der Bürger ist noch zufrieden mit der Arbeit des Berliner Kabinetts um SPD-Kanzler Olaf Scholz.

 

Und jetzt das: In Niedersachsen bleibt der populäre SPD-Ministerpräsident Stephan Weil im Amt. Trotz Verlusten kann er seinen bisherigen Koalitionspartner CDU gegen die deutlich erstarkten Grünen austauschen. Die beiden siegreichen Parteien können das als Bestätigung ihres Kurses im Bund sehen. „Natürlich gibt uns das noch mal Rückenwind für die schwierige Zeit, die jetzt vor uns liegt“, sagte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert am Sonntagabend. Grünen-Chef Omid Nouripour sagte, seine Partei habe in Niedersachsen ihr historisch bestes Ergebnis eingefahren. „Und das ist ein Grund zur Freude.“ Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass die niedersächsischen Grünen in Umfragen in den vergangenen Monaten teilweise weit jenseits der 20-Prozent-Marke gelegen hatten, diese Werte aber nicht halten konnten.

Friedrich Merz hat ein Problem

Bei der Bundes-FDP hingegen haben sie eher das Gefühl, noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen zu sein. Bundesvize Wolfgang Kubicki sagte am Abend, er habe den Eindruck, dass „ein wesentlicher Teil der Wähler weiter mit der FDP in der Ampel fremdelt“. Parteichef und Finanzminister Christian Lindner muss sich jetzt die Frage stellen, ob er in Berlin noch stärker auf Abgrenzung gegenüber den Ampelpartnern oder doch eher auf mehr Kooperation setzen sollte. Fraktionschef Christian Dürr stellte am Sonntag aber klar: „Weglaufen ist keine Option in diesen Tagen.“ Das Wahljahr 2022 ist für die Liberalen ziemlich verkorkst. Im Saarland schafften sie es im Frühjahr nicht ins Landesparlament, in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen flogen sie aus der Regierung.

Der Wahlkampf in Niedersachsen war von bundespolitischen Themen dominiert, insbesondere der Energiesicherheit. Die Niederlage der Christdemokraten ist deshalb auch ein persönliches Problem von CDU-Chef Friedrich Merz. Er hatte den Urnengang zur „Volksabstimmung“ über den Weiterbetrieb des Atomkraftwerks Emsland erklärt. Dieses soll nach den Plänen von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) Ende des Jahres auf jeden Fall vom Netz gehen. Das Kalkül, mit dem Thema Atomkraft zu punkten, ging für die CDU ebenso wenig auf wie für die FDP. CDU-Generalsekretär Mario Czaja versuchte am Abend, den Sieg der SPD damit zu erklären, dass es deren Spitzenkandidat gelungen sei, „sich von dem Bundestrend vollständig abzulösen“.

Für die Linke wird Westdeutschland ein weißer Fleck

Merz hatte sich im Wahlkampf stark für die niedersächsische CDU engagiert und zuletzt bewusst konservative Positionen eingenommen. Die Abgrenzung zum Rechtspopulismus gelang ihm nicht immer. Jetzt dürfte es innerhalb der Bundes-CDU wieder Debatten darüber geben, ob sich die Partei nicht doch stärker an der politischen Mitte orientieren sollten. Die AfD, auch das ist eine Lehre der Wahl von Sonntag, lässt sich von bürgerlichen Parteien nicht kleinhalten, indem diese nach rechts blinken. Für die Linke wiederum wird Westdeutschland zunehmend zum weißen Fleck: Sie scheiterte 2022 bei allen vier Landtagswahlen an der Fünfprozenthürde.