Die Liberalen hoffen genauso wie die SPD auf auf eine Regierungsbeteiligung. Während die FDP in Stuttgart zulegten, mussten die Genossen erneut einen Rückschlag verkraften.

Stuttgart - In Momenten des Glücks fällt es leicht, Empathie für die Fährnisse anderer zu zeigen. „Ich hoffe, dass die Sozialdemokraten nicht einstellig werden“, sagte Armin Serwani, der langjährige Kreisvorsitzende und Stadtrat der FDP in der Landeshauptstadt, bevor die ersten Stuttgarter Ergebnisse eintrudelten. Die Genossen werden gebraucht, zumal von den Liberalen, die sich nach zehn Jahren Abstinenz zurück an den Kabinettstisch sehnen. „Ich sehe der Ampel sehr optimistisch entgegen“, sagt Serwani.

 

Der 65-Jährige freut sich über das gute Abschneiden seiner Partei, die mit 10,9 Prozent (2016: 9,4) zulegte. In den aussichtsreichen Wahlkreisen schickten die Liberalen den jungen Friedrich Haag (Filder) und Johanna Molitor (Innenstadtbezirke) ins Rennen. „Wir haben die Weichen richtig gestellt“, sagt Serwani. Die Filder waren für die Liberalen von jeher ein gutes Pflaster. In den letzten 45 Jahren konnten sie hier regelmäßig ein Zweitmandat ergattern, über Jahrzehnte war der Degerlocher Gärtnermeister Friedrich Haag das Gesicht der Stuttgarter Liberalen. Nun will der junge Friedrich Haag (32) seinem Großvater nacheifern. Die Krume bearbeitet er nur im Nebenerwerb, hauptsächlich verkauft Haag an seinen beiden Tankstellen Benzin. „Der Ball liegt bei den Grünen“, sagt Serwani. Er setzt darauf, dass sie sich von der CDU abwenden. Feiern wollen die Liberalen schon mal. Serwani: „Wir machen alle online eine Flasche Sekt auf.“

Die SPD ist Kummer gewöhnt

Die SPD ist Kummer gewöhnt, zumal in Stuttgart. Rolf Gaßmann holte hier vor 20 Jahren das letzte Direktmandat, Ulrich Mauer damals das Zweitmandat für die Genossen. Der Wahlkampf in Coronazeiten war auch für die Genossen schwierig. Mit Formaten wie „Rent a Singer“ versuchte Carsten Singer, sich im Filderwahlkreis bekannt zu machen. Digital habe er sich mit allen möglichen Gruppen und Wählern unterhalten, sagt der Lehrer, habe Klinken geputzt und sein Bestes gegeben, „dass es nicht wieder wird wie vor fünf Jahren, als wir hinter der AfD lagen“. So schlimm kam es nicht, aber die Genossen ernteten erneut weniger Zustimmung, fielen von 11,9 auf 11,0 Prozent.

Die Wiederauflage der grün-roten Regierungskoalition sei die erste Präferenz gewesen, sagt der SPD-Kreisvorsitzende Dejan Perc. Den Wunsch nach diesem Farbkonzept erfüllten die Wähler nicht. Also die Ampel? „Unsere zweite Priorität“, sagt Perc, der aber glaubt, dass die CDU „nicht noch einmal in die Opposition will“. Die aktuelle Koalition habe für das Land „keine guten Ergebnisse gebracht“, Grün-Schwarz sei nicht gesetzt. „Am Ende entscheiden die Grünen. Das müssen die mit ihrem Gewissen ausmachen“, sagt Carsten Singer.

AfD zeigt Selbstkritik

Schon in der ersten Hochrechnung, die der SWR um 18 Uhr zeige, erfüllte sich eine Hoffnung von Johanna Molitor: Weder ihre FDP noch die SPD sind schwächer als die AfD. Die Verbesserung der Liberalen, in Stuttgart am Ende 10,9, statt der 9,4 Prozent aus 2016 sieht die 31-Jährige als „Belohnung für die Arbeit der zurückliegenden Jahre“, auch wenn es für sie wohl nicht reichte. Bei der AfD tröste sie, dass die Fraktion aufgrund der internen Zerwürfnisse im Laufe der Legislaturperiode geschrumpft sei. „Das hat uns mehr Raum gegeben“, sagt sie.

Jedoch sei das kein Effekt, auf den sie sich verlassen wollte: „Die Sitze in den Ausschüssen werden jetzt vergeben. Daher brauchen wir einen guten Start“, sagte sie.

Andreas Mürter, der Sprecher der AfD in der Landeshauptstadt, holte mit 8,0 Prozent im Wahlkreis III, wo viel Industrie zu Hause ist, das beste Ergebnis für die Partei in Stuttgart. Doch vor fünf Jahren gab es hier mit 15,3 Prozent deutlich mehr Zustimmung. „Wirtschaft war eines der entscheidenden Themen im Wahlkampf, und da konnten wir nicht punkten“, analysiert Mürter. Migration und innere Sicherheit, die die AfD als ihre Stärken ansieht, hatten wohl weniger Bedeutung. „Wir drangen nicht durch“, so Mürter, der sich selbstkritisch gibt: „Unser Außenbild war nicht das beste, es gab interne Streitereien.“ Anders als die FDP, die sich jedem anbiete und auf Posten schiele, werde man im Landtag den „geradlinigen Kurs weiterfahren“, sagt Mürter.

Linke in Stuttgart stark

Die Linke hat den Einzug in den Landtag erneut verpasst. Würde nur das Stuttgarter Ergebnis zählen, wäre sie mit sechs Prozent – ein Zugewinn von 0,7 Punkten – drin. Filippo Capezzone von der Linken freut sich trotz des nicht gelösten Tickets über das Ergebnis. In seinem Wahlkreis Stuttgart 1 hat er mit 7,5 Prozent deutlich über dem Landesschnitt abgeschlossen.

„Ich freue mich sehr, dass wir insgesamt unser Stimmergebnis in absoluten Zahlen etwas verbessern konnten“, sagt er. Seine Partei habe einen sehr dynamischen und aktiven Wahlkampf geführt und viele junge Neumitglieder eingebunden. Die Linke sei es „gewöhnt, in kleinen Schritten voranzukommen“, fügt er hinzu. Es sei zwar sehr schade, dass man nun nicht im Landtag für die Menschen arbeiten könne. Die Partei sei aber geübt darin, auch außerhalb der Parlamente politisch Druck zu machen.

Ursel Beck, die seit Jahren in den Mieterinitiativen aktiv ist, erreichte für die Linke sieben Prozent. „Wenn alle so gewählt hätten wie die Stuttgarter, dann wären wir im Landtag“, sagt die Kandidatin aus dem Wahlkreis Stuttgart IV. „Wir haben stadtweit bei den absoluten Zahlen zugelegt.“ Das sei Grund zur Freude. Die Linken-Wähler seien nicht zu Hause geblieben, im Gegensatz zu vielen CDU-Wählern, vermutet die Mieteraktivistin. „Wo wir aktiv sind mit Mieterinitiativen, etwa im Hallschlag, da liegen wir über dem Durchschnitt“, fügt sie hinzu. „Außerparlamentarische Arbeit ist zwar mein Schwerpunkt, aber der Landtag hätte eine echte Opposition gebraucht“, sagt sie. Bei der nächsten Wahl in fünf Jahren werde es sicher klappen.