Thüringen hat gewählt. Gleich mehrere Parteien können sich als Gewinner sehen – und doch bleiben nach diesem Wahlergebnis viele Fragen offen.
Links Mario Voigt, rechts Björn Höcke – oder andersherum, das kommt darauf an, von wo man auf die beiden blickt. Jedenfalls sind es nur wenige Meter, die die Spitzenkandidaten von CDU und AfD in diesem Moment voneinander entfernt stehen, während sie im Plenarsaal des Thüringer Landtags gleichzeitig von verschiedenen Fernsehsendern interviewt werden. Höcke spricht von einem historischen Sieg seiner Partei. Mario Voigt sagt derweil: „Wir begreifen es trotz dieser herausfordernden Zahlen als Chance.“
Beide Männer können sich an diesem Abend als Wahlsieger sehen. Höckes AfD hat bei der Landtagswahl die meisten Stimmen eingefahren, rund ein Drittel – so viel, wie noch nie zuvor. Aber zur Wahlparty lässt die Partei lieber keine Journalisten zu. Trotz seines Parteierfolgs verpasste Höcke in seinem Wahlkreis in Ostthüringen das Direktmandat. Voigts CDU hat es auf den zweiten Platz geschafft, mit mehr Zustimmung als zwischenzeitig erwartet. Und trotzdem sieht nur der AfD-Landeschef an diesem Abend auch wie ein Sieger aus. Voigt blickt eher nachdenklich drein. Er hat Grund dazu. Vor ihm liegt eine schwierige Aufgabe.
AfD als stärkste Kraft
Am Sonntag haben die Thüringer – am selben Tag wie Sachsen – über ihren Landtag abgestimmt. Wie erwartet ist die AfD stärkste Kraft geworden. Die CDU liegt, mit deutlichem Abstand, auf dem zweiten Platz. Dann folgt das BSW. Die Linke, die mit Bodo Ramelow in den vergangenen zehn Jahren den Ministerpräsidenten gestellt hat, schafft es nur noch auf den vierten Platz. Von den Ampelparteien liegt keine über zehn Prozent. Die SPD sitzt wieder im Landtag. Für die Grünen und die FDP dürfte es, so sah es am Sonntagabend aus, zu knapp gewesen sein, um die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. Das macht die Lage kompliziert. Schon vor der Wahl schlossen alle Parteien aus, mit der in weiten Teilen rechtsextremen AfD zu koalieren. Was ebenfalls alle vermeiden wollen, ist eine Minderheitsregierung. Als solche hatten Linke, SPD und Grünen bisher zusammen in Thüringen regiert. Das möchte niemand wiederholen.
Erster Schritt von CDU
Damit bleiben nicht mehr viele Optionen. Doch was auch immer passiert, den ersten Schritt wird die CDU machen müssen. Die zeigt sich für eine gemeinsame Regierung mit dem BSW grundsätzlich offen. Vor allem die BSW-Spitzenkandidatin und -Landesvorsitzende Katja Wolf sieht man als eine, mit der man reden kann. Schwierig werden könnten potenzielle Verhandlungen trotzdem – und das liegt vor allem an der BSW-Bundesvorsitzenden Sahra Wagenknecht. Wagenknecht hat auf Landesebene in Thüringen zwar keine offizielle Rolle. Sie hatte allerdings schon vor der Wahl angekündigt, sich bei möglichen Koalitionsverhandlungen einbringen zu wollen. Hier könnte eine der großen Hürden für eine mögliche Regierungsbildung liegen.
Doch es gibt noch ein ganz anderes Problem. Allein kommen CDU und BSW nicht auf ausreichend Sitze. Sie brauchen eine weitere Partei. Wenn es nicht für eine Koalition mit der SPD reichen sollte, dann bliebe nur die Linkspartei. Doch das wäre gegen einen Parteibeschluss der CDU, der so eine Zusammenarbeit ausschließt. Der Thüringer Landesparteichef Mario Voigt hatte bei seiner Wahl zum Spitzenkandidaten bekräftigt, an der Parteilinie festhalten zu wollen. Das könnte es für Voigt nun sehr schwierig machen. Während Voigt und Höcke in die Kameras sprechen, wartet Steffen Schütz vor dem Plenarsaal auf seinen Interviewslot – ein bislang weitgehend unbekannter Mann, der nun viel zu sagen hat. Schütz ist Co-Vorsitzender des BSW-Landesverbands in Thüringen, er führt ihn gemeinsam mit der Spitzenkandidatin Katja Wolf. Während man Wolf aber als Eisenacher Oberbürgermeisterin und einstige Linke schon länger im Thüringer Politikbetrieb kennt, war Schütz vorher Unternehmer. Nun aber ist er Politiker. Und sieht an diesem Abend sehr gerührt aus.
Ein gerührter BSW-Landesvorsitzender
Weil sich das Interview im Plenarsaal noch verzögert, spricht er spontan in ein paar Mikrofone, die sich ihm entgegenstrecken. „Wir haben immer gesagt, 15 Prozent plus X ist ein Traum – und der ist gerade wahr geworden“, sagt Schütz. Deshalb die Rührung – obwohl zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz sicher, wie genau das Ergebnis des BSW ausfallen wird. Doch Schütz ist sichtlich bewegt. Dann erklärt er, was er nun erwartet. „Wir wollen mit allen demokratischen Kräften sprechen, unabhängig von der Arithmetik“, sagt er. Und er betont, dass Katja Wolf und er zum BSW gewechselt seien, „damit wir das Land der AfD nicht überlassen“. Schütz lächelt. Auch er wirkt, als sehe er sich als Wahlsieger.
Dabei dürfte die Regierungsbildung nicht einfach werden. Sollte sie nicht gelingen, müsste man sagen: Drei Parteien haben an diesem Abend gewonnen – doch wenn sich keine Regierung findet, könnte Thüringen verloren haben.