Für Angela Merkels Partei sind die Wahlergebnisse problematisch. In Thüringen muss sie um die Macht bangen. Mit der FDP verliert sie eine bewährte Machtoption. Und mit der AfD wächst eine starke Konkurrenz heran.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Vor dem Adenauerhaus, dem Hauptquartier der CDU in Berlin, gibt es eine reale Brücke aus Beton. Sie führt über den Landwehrkanal. Es gibt aber auch eine virtuelle „Brücke in die Zukunft“. Für sie wirbt die Partei der Kanzlerin auf einem Werbeplakat. Der Spruch hat nichts mit den Wahlen an diesem Wochenende zu tun. Er gilt dem Freihandelsabkommen, das zurzeit mit den Vereinigten Staaten ausgehandelt wird. Die Wahlergebnisse in Thüringen und Brandenburg eröffnen zwar insofern eine Brücke in die Zukunft, als Merkels Partei in beiden Ländern zugelegt hat und sich die christdemokratische Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht in Erfurt wohl an der Macht behaupten kann. CDU-Generalsekretär Peter Tauber feiert den 14. September denn auch als „wunderbaren Tag für die CDU“. Er spricht von „einem Abend, der uns Selbstbewusstsein gibt“. Doch die Zahlen zeigen, dass die Zukunft schwierig wird.

 

Dafür gibt es zwei Gründe. Die Sklerose der FDP, einst Wunschpartner der Union, wenn es ums Regieren ging, setzt sich fort. Schwarz-Gelb ist derzeit keine realistische Machtoption. Vor zwei Wochen scheiterte die letzte Landesregierung dieser Couleur in Sachsen. Jetzt wurde die FDP aus zwei weiteren Landesparlamenten verjagt. Der CDU ist damit ein bewährter Weg an die Macht verbaut, ohne dass sich ein neuer eröffnen würde. Mit den Wahlen dieses Jahres verschiebt sich die politische Tektonik zu ihren Ungunsten. Binnen weniger Monate hat sich die populistische Alternative für Deutschland als neue politische Kraft in der bundesrepublikanischen Parteienlandschaft etabliert. Sie ist auf dem besten Wege, nun auch die Landesparlamente zu erobern.

Die AfD punktet mit konservativen Themen

Die Union hat damit ihren Alleinvertretungsanspruch für das konservative Publikum eingebüßt. Das erklärt sich auch aus ihrer eigenen Geschichte. Unter Angela Merkels Regentschaft haben die C-Parteien eine grundlegende Modernisierung erlebt. Sie haben sich zusehends liberalisiert und verzopfte Vorstellungen in der Familien- und Gesellschaftspolitik über Bord geworfen: Inzwischen verleugnet sie nicht mehr, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Sie akzeptiert in ihren Programmpapieren, dass Lebensmodelle jenseits der traditionellen Vater-Mutter-Kind-Familie denkbar sind und Kinderbetreuung außerhalb des Elternhauses normal ist.

Für die Hinwendung zu den Realitäten des 21. Jahrhunderts zahlt die Union nun einen schmerzlichen Preis. Sie bietet vielen, die Unbehagen an der modernen Gesellschaft verspüren, keine Heimat mehr. Etliche von ihnen wenden sich der konservativ orientierten AfD zu. Sie tönt in der Familienpolitik, bei Asylfragen und Themen von Sicherheit und Ordnung so, wie es zu Kohls Zeiten auch in den Reihen der CDU noch zu vernehmen war. Die AfD wildert nicht nur in den Wählerreservaten der Union, sondern sie durchbricht den von Franz Josef Strauß formulierten Anspruch, rechts der Mitte dürfe es keine demokratischen Kräfte außer den C-Parteien geben. Dieses Monopol ist dahin.

Die CDU kann die AfD nicht länger ignorieren

Die neue Konkurrenz an der rechten Flanke bedeutet ausschließlich Gefahr und eröffnet keine neuen Machtperspektiven, solange Koalitionen mit der AfD nicht infrage kommen. Im Moment ist das so. Der Anti-Euro-Kurs lässt sie für die europafreundlichste aller Parteien nicht bündnisfähig erscheinen.Die Erfolge der politischen Emporkömmlinge setzen auch dicke Fragezeichen hinter die bisherige CDU-Taktik gegenüber der AfD. Zunächst hatte Merkel eine schlichte Parole ausgeben lassen: Ignorieren. Erfolge in zweistelliger Höhe und die Präsenz in nunmehr vier Parlamenten lassen sich aber nicht mehr ignorieren. „Die AfD wird sich von selbst erledigen“, hatte CDU-Generalsekretär Peter Tauber nach der Sachsen-Wahl Ende August verlauten lassen. Danach sieht es nicht aus. An diesem Wahlabend erwähnt Tauber sie erst gar nicht. Auf Nachfrage erklärt er, die Gewinne der AfD seien „nicht hauptsächlich zu Lasten der Union“ gegangen. In das gleiche Horn bläst der stellvertretende Parteivorsitzende Armin Laschet. Er vermisst die politische Geografie neu. Die AfD sei „keine Partei rechts der CDU“. Laschet rät: „Wir müssen offensiv unser Gegenmodell klarmachen.“

Erste Kurskorrekturen zeichnen sich bereits ab, um die vielen Wähler, die sich zur AfD verirrt haben, möglichst wieder einzufangen. So spricht die Partei der Kanzlerin in der Sicherheits- und in der Asylpolitik wieder eine härtere Sprache.