Landtagswahlrecht Besucher sollen Abgeordneten weichen

Teure Unterbringung: Haus der Abgeordneten (vorne), Landtag im Hintergrund Foto: Andreas Müller

Nach der Wahl 2026 droht der Plenarsaal viel zu eng zu werden. Nun plant der Landtag eine massive „Verdichtung“ der Sitze. Für die Zahl der Personen gilt indes eine Obergrenze, Wie löst man das Problem?

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Hans-Ulrich Rülke nahm persönlich Maß, eigens fürs SWR-Fernsehen. Mit einem Zollstock ermittelte der FDP-Fraktionschef, wie viele zusätzliche Abgeordnete noch in den ohnehin eng bestuhlten Plenarsaal passen würden. Seinen Befund präsentierte er vor laufender Kamera. Nach der Wahl 2026, wenn zu den derzeit 154 Parlamentariern noch viele dazu kämen, reiche der Platz endgültig nicht mehr: „Ich fürchte, dass es dann zu einem Neubau kommen muss.“

 

Tatsächlich droht zumindest ein aufwendiger Umbau des Plenarsaals in Stuttgart. Gerade sechs weitere Abgeordnete könnten dort noch unterkommen. Jeder weitere schafft Probleme, bei bis zu 220 – wie schlimmstenfalls prognostiziert – gravierende. Auf entsprechende Modellrechnungen stützt auch der Landesrechnungshof seine Warnung vor Mehrkosten von bis zu 200 Millionen Euro, allein fürs Personal. Doch die Befürworter der vor allem von den Grünen gewünschten Reform tun das ab. Das sei „alles Spekulation“, sagte Landtagspräsidentin Aras (Grüne) im gleichen SWR-Beitrag, niemand könne die Auswirkungen der Wahl 2026 seriös vorhersagen.

„Anpassung Plenarsaal“ auf der Tagesordnung

Intern nehmen Aras und die Parlamentsspitze die Szenarien indes viel ernster, als sie nach außen zu erkennen geben. Bereits im Januar 2024 befasste sich das Präsidium mit anstehenden Baumaßnahmen. Erster Punkt: „Anpassung Plenarsaal im Zuge des Wahlperiodenwechsels“. Zwei Szenarien für die „Verdichtung“ wurden in der Vorlage für die Sitzung durchgespielt: eine mit bis zu 165, eine mit bis zu 218 Abgeordneten. Manche Lösungsvorschläge sind eher kleinteilig: man könne Plätze „ohne vollwertige Tische“ schaffen, die Trennung zwischen den Fraktionen abschaffen oder die frei stehenden Saalmikrofons streichen.

Doch es bleibt ein großes Problem. In der Baugenehmigung für den Plenarsaal ist eine „Personenobergrenze“ festgelegt: mehr als 425 Menschen dürfen sich nicht dort und auf der Empore aufhalten. Je mehr zusätzliche Abgeordnete einziehen, desto stärker müssen Besucher- und Presseplätze reduziert werden; schlimmstenfalls entfallen 58 Sitze. In der Folge müssten „die Besucherzahlen deutlich reduziert werden“, sagte Aras im SWR.

Finanzministerium spart mit Auskünften

Was genau folgt nun aus der Problemanalyse? Das Finanzministerium von Danyal Bayaz (Grüne) rückt mit der Sprache erst nicht richtig raus. Der Landesbetrieb Vermögen und Bau, Amt Stuttgart, nehme „vorsorglich mögliche Lösungen in den Blick für den Fall, dass sich der Flächenbedarf des Landtags vergrößert“, teilt ein Sprecher vage mit. Allerdings gebe es „derzeit keine konkretisierten Umsetzungsplanungen“.

Erst auf Nachfrage unserer Zeitung wird ein ganz konkreter Schritt bestätigt: Man habe verschiedene Pläne zur „Verdichtung der Sitze“ im Plenarsaal „der Baurechtsbehörde zur Genehmigung vorgelegt“. Bei der Stadt Stuttgart wird das bestätigt. Die Antragsunterlagen lägen dem Baurechtsamt vor, seien aber noch nicht vollständig, teilte ein Sprecher mit. Im Juni diesen Jahres habe es zudem ein Spitzengespräch zwischen Aras und Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) gegeben, bei dem es um die mögliche Erweiterung und die künftige Nutzung des Plenarsaals gegangen sei. Eines war laut der Vorlage indes schon im Januar klar: bis zur konstituierenden Sitzung nach der Wahl 2026 sei der Umbau „nicht möglich“ – man muss also erst mal improvisieren.

Kostenschätzungen stehen noch aus

Zu den Kosten für den Umbau des Plenarsaals erhält man bisher keinerlei Angaben. „Verlässliche Schätzungen“ fehlten noch, heißt es unisono bei Landtag, Finanzministerium und Rechnungshof. Die Kontrollbehörde bezifferte nur die Ausgaben für die Unterbringung von zusätzlichen Abgeordneten und Mitarbeitern: für bis zu 93 neue Büroräume fielen bis zu 2,7 Millionen Euro Miete an.

Ganz andere Dimensionen erreicht die anstehende Sanierung des Hauses der Abgeordneten (HdA) an der Konrad-Adenauer-Straße, das mit dem Landtag durch einen Tunnel verbunden ist. Um Technik und Ausstattung auf einen modernen Stand zu bringen, werden derzeit 67 Millionen Euro veranschlagt. Nicht beziffert sind die Kosten für eine mögliche Aufstockung um eine Etage mit bis zu 80 zusätzlichen Räumen, die derzeit geprüft wird; die Stadt hat schon ihr Plazet signalisiert.

Allein das Interimsquartiert kostet fast 40 Millionen

Gewaltig ins Geld geht auch das Interimsquartier für die bisher im HdA untergebrachten Parlamentarier und Mitarbeiter. Während der fünfjährigen Bauzeit sollen sie in das Gebäude Königstraße 1 c nahe dem Hauptbahnhof umziehen, das sich mittelbar im Besitz der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) befindet. Früher residierten dort Kaufhäuser wie Karstadt Sport, nun soll der Bau laut LBBW „in ein modernes Büro- und Geschäftshaus umgestaltet werden“. Mit begrüntem Schrägdach soll es optisch an den Schlossgarten anschließen und das Stadtklima positiv beeinflussen. Derzeit steht der arg heruntergekommene Klotz leer, geplant ist eine „umfassende Revitalisierung“. Die Mietkosten für das Land über fünf Jahre, Stand Januar: fast 31 Millionen Euro. Hinzu kämen weitere bis zu acht Millionen Euro, unter anderem für Medientechnik und eine schusssichere Pforte.

Ursprünglich sollte das Ausweichquartier von Mitte 2026 an zur Verfügung stehen; dann könnte die Abgeordnetenhaus-Sanierung anlaufen. Doch der Zeitplan wackelt offenkundig: er werde derzeit „vom Eigentümer überarbeitet“, teilt das Finanzministerium mit. Dem Vernehmen nach soll ein unvorhergesehenes Problem aufgetaucht sein, offenbar mit Artenschutz-Vorgaben. Als Puffer für akute Raumengpässe nach der Wahl 2026 dürfte die Immobilie damit ausscheiden. Das aber, sagt das Bayaz-Ressort, sei ohnehin nicht vorgesehen gewesen.

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