Zur Grünen Woche will Bauer und Agrarwissenschaftler Willi Kremer-Schillings Landwirtschaft erklären. Dabei bekommen alle ihr Fett weg: die knausrigen Verbraucher und die Bauern, die unglaubwürdig geworden sind.

Wissen/Gesundheit: Werner Ludwig (lud)

Berlin - Die Grüne Woche lockt in diesen Tagen Hunderttausende, die sich für Landwirtschaft und Ernährung interessieren, nach Berlin. Doch das Verhältnis zwischen Bürgern und Bauern ist alles andere als gut. Willi Kremer-Schillings alias Bauer Willi ist Landwirt und promovierter Agrarwissenschaftler und redet Klartext.

 
Herr Kremer-Schillings, was bringt einen Bauern dazu, unter dem Pseudonym Bauer Willi eine eigene Internetseite über Landwirtschaft ins Leben zu rufen?
In der Nähe unseres Hofs gibt es ein Neubaugebiet, was immer wieder zu Konflikten führt. Die Neubürger beschweren sich zum Beispiel, wenn wir organischen Dünger aus Pferdemist einsetzen. Beim Verteilen auf dem Feld riecht das halt ein bisschen. Ein anderes Beispiel: im August 2014 war es lange nass, und wir hatten Mühe, das Getreide vom Feld zu bekommen. Als es trocken genug war, haben wir nachmittags angefangen, Weizen zu ernten. Um 22.15 Uhr stand die Polizei vor dem Mähdrescher, weil sich ein Anwohner über die Ruhestörung beschwert hatte. Da habe ich mich maßlos aufgeregt – und den Brief „Lieber Nachbar“ geschrieben, in dem ich meine Situation als Landwirt schildere, der nur seine Arbeit machen will.
Und den haben Sie ins Internet gestellt?
Genau. Der Brief wurde im Januar auf fragdenlandwirt.de veröffentlicht und fand innerhalb von vier Tagen fast 60 000 Leser.
Groß rausgekommen sind sie aber erst mit Ihrem zweiten Brief „Lieber Verbraucher“, in dem Sie die Konsumenten als Schnäppchenjäger beschimpfen, die keine Ahnung von Landwirtschaft haben und sich künstlich über Massentierhaltung aufregen. Wie kam es dazu?
Da war ich gerade beim Nachbarn, der mir vorgerechnet hat, dass er pro Kilo Kartoffeln gerade mal einen Cent bekommen hat. Einen Cent! Da ist mir der Kragen geplatzt, und ich habe in einer Viertelstunde diesen Brief runtergeschrieben. Danach hab ich eine Flasche Bier getrunken und bin ins Bett. Am nächsten Morgen habe ich den Brief noch mal durchgelesen und mir gesagt: Genau so ist es. Das muss jetzt einfach mal raus.
Wie waren die Reaktionen, als der Brief auf fragdenlandwirt.de veröffentlicht wurde? Gab es einen Shitstorm?
Nein, aber eine gewaltige Resonanz. In den ersten Tagen gab es täglich Zigtausend Zugriffe, inzwischen liegen wir weit über 300 000. Hinzu kommen die Aufrufe über die Facebook-Seite. Auf der Homepage der Zeitschrift „Top Agrar“ wurde der Brief mehr als eine Million Mal angeklickt. Und auch andere haben ihn verbreitet, zum Beispiel der „Stern“. Zu dem Brief gibt es Hunderte von Kommentaren, die zu mehr als 80 Prozent von Nichtlandwirten kommen. Da sind natürlich auch ein paar Fanatiker dabei, aber auch viele, mit denen man sich vernünftig unterhalten kann. Den Kollegen von fragdenlandwirt.de hat mein Brief aber nicht so richtig ins Konzept gepasst. Das ist eine Gruppe von 150 Bauern, die vor allem Fakten über Landwirtschaft vermitteln wollen. Was ich mache, ist ja eher Feuilleton. Deshalb habe ich inzwischen meine eigene Homepage bauerwilli.com.
Warum gibt es zwischen Bauern und Bürgern so viele Missverständnisse?
Wir, also die Bauern, haben 20 Jahre lang nichts von uns hören lassen. Wir haben unsere Betriebe optimiert und weiterentwickelt, ohne uns groß um die Verbraucher oder das Marketing zu kümmern. Die Verbraucher hat das auch nicht weiter gestört. Die Lebensmittel sind ja in Ordnung und zudem billig. Gleichzeitig hat die Werbung den Leuten ein Bauernhofidyll vorgegaukelt, das es so längst nicht mehr gibt. Wenn sie dann doch mal mit der Realität in Kontakt kommen, sind viele schockiert.
Die Kritik an den Bauern hat in letzter Zeit deutlich zugenommen. Was sind die Gründe?
Eine wachsende Zahl von Verbrauchern hat angefangen, sich mehr Gedanken über ihre Lebensmittel zu machen. Deutlich zugenommen hat das etwa vor vier, fünf Jahren, als auch die Discounter anfingen, Bioartikel zu verkaufen. Bis dahin gab es nur eine relativ kleine Gruppe von Kritikern – etwa bei Greenpeace oder Foodwatch – die sich mit dem Thema beschäftigt haben. Inzwischen ist die kritische Haltung gegenüber der Landwirtschaft zum Mainstream geworden. Dabei spielen sicher auch das Internet und die sozialen Netzwerke eine Rolle. Auch in den Medien haben die Kritiker mehr Aufmerksamkeit bekommen.