In den kommenden Jahrzehnten wird die Weltbevölkerung deutlich wachsen. Entsprechend müsste die Produktion von Weizen, Mais und Soja anziehen, um alle Menschen zu ernähren. Doch die Zuwächse bleiben unter den Erwartungen.

San José - Radwege an sechsspurigen Straßen, vegane Restaurants und „Organic Food“ in jedem Supermarkt: im Silicon Valley mit seinen vielen Akademikern herrscht durchaus ein Bewusstsein für nachhaltigen Lebensstil. Dort hielt die US-Wissenschaftsgesellschaft AAAS dieser Tage ihren Jahreskongress (siehe 2. Seite), und ein halbes Dutzend seiner Symposien befasste sich damit, wie eine bis 2045 auf neun Milliarden Menschen anwachsende Weltbevölkerung ernährt werden kann, ohne dass der Druck auf die Ökosysteme erhöht wird.

 

Gesucht wird das Rezept für eine „nachhaltige Intensivierung“ der Landwirtschaft, denn ohne die, das ist Konsens bei der AAAS-Tagung, wird die Aufgabe nicht zu meistern sein. Die Welt könne ja heute nicht einmal ihre 7,3 Milliarden adäquat ernähren, sagte der renommierte Biologe Paul R. Ehrlich von der Stanford-Universität. 800 Millionen hungern. Ehrlich war es, der die eng gefasste Debatte aufbrach und auch die Gefahr eines atomaren Krieges sowie die Vergiftung durch Chemikalien neben dem Klimawandel als globale Bedrohung schilderte. Dass die Menschen im Silicon Valley die ökologisch „besseren“ seien, hielt Ehrlich übrigens für eine Mär: „90 Prozent meiner Studenten in Stanford wissen gar nicht, wo das Essen herkommt. Die denken: aus dem Supermarkt!“

Der in vielen Erdteilen steigende Fleischkonsum zehrt alle Ertragssteigerungen der letzten Jahrzehnte auf. Eine Wende ist nicht in Sicht. Der britische Agrarökologe Gordon Conway berichtete, er habe bei einem Vortrag vor 300 Zuhörern in China gefragt, wer im Saal denn Vegetarier sei. Es hätten sich zwei gemeldet: „Und das waren Amerikaner.“ James Gerber von der University of Minnesota weist wiederum darauf hin, dass mehr als ein Drittel der weltweiten Getreideproduktion an Tiere verfüttert werde, davon wiederum trügen nur zwölf Prozent – umgewandelt in Fleisch – zur menschlichen Ernährung bei. Vor allem rotes Fleisch vom Rind sei unter Ernährungsgesichtspunkten ineffizient. Ein Kilo Weizen brauche tausend Liter Wasser, ein Kilo Rind fünf- bis zehnmal so viel. Bei den vier wichtigsten Kalorienlieferanten – Weizen, Mais, Soja und Reis – prognostiziert Gerber eine wachsende Kluft zwischen Ertrag und Bedarf. Um den Ernährungsbedarf 2050 zu sichern, müssten die jährlichen Wachstumsraten bei den Erträgen verdoppelt werden – das sei nicht zu schaffen.

Wie wirkt sich der Klimawandel aus?

Eine Mitschuld an der Ernährungslücke tragen laut Gerber der Biosprit sowie das Wegwerfen von Lebensmitteln: US-Farmer könnten theoretisch mit einem Hektar Fläche 16 Menschen ernähren, in Wirklichkeit seien es nur 5,4 – wegen des besagten Schwundes. Zwar gibt es hier und da noch etwas zu verbessern, so gelten indische Farmer zum Beispiel als Wasserverschwender. Die vier regionalen „Brotkörbe“ der Welt – USA, Osteuropa, Indien-Pakistan sowie China – hält Gerber wegen ihrer Verletzlichkeit jedoch für ein Risiko.

Wie wirkt sich die Erderwärmung aus? Das US-Landwirtschaftsministerium lässt derzeit für 2015 bis 2020 für verschiedene Agrarprodukte Szenarien durchrechnen. Die Änderung der Niederschläge, der Temperatur, des Verdunstungsfaktors, Zu- und Abnahme von Unkraut und Insektenbefall: ermittelt werden allein für Mais 24 Modelle, zwölf für Reis, sieben für Kartoffeln und sechs für Zuckerrohr. Angenommen wird, dass sich der Getreidegürtel des Mittleren Westens unter dem Klimawandel etwas gen Norden verschieben wird. Angenommen wird auch, dass „extreme Niederschlagsereignisse“ zunehmen.

Kenneth Kunkel von der US-Wetter- und Ozeanografiebehörde NOAA hat mit einem Blick in die vergangenen vier Jahrzehnte errechnet, was das bedeuten könnte. Allein die US-Landwirtschaft habe seit 1974 fünf extreme Wetterereignisse durchlitten – drei Dürren, eine Überflutung und ein zu früh einsetzender Frost – einhergehend mit Ertragsminderungen zum Teil bis 20 Prozent. Weltweit, so Kunkel, geschehe eine schwere Dürre alle vier bis sechs Jahre, und die Folgen seien durchschnittliche Mindererträge von vier bis sieben Prozent.

Malawi dient als Vorbild

Den Königsweg zur nachhaltigen globalen Landwirtschaft kennt noch niemand. So hat zwar die Welternährungsbehörde FAO ein Konzept zur „Klima-schlauen“ Landwirtschaft erstellt, dass auf steigende bäuerliche Einkommen, Ernährungssicherheit und eine angepasste, organische Produktion abhebt. Der Pferdefuß daran sei, so William E. Easterling von der Universität Pennsylvania, dass in das Programm nur Wissenschaftler, Nichtregierungsorganisationen, Politiker und Regierungsbeamte einbezogen worden seien: „Der Markt ist gar nicht dabei.“

Immerhin eine „gute Nachricht“, so Sieglinde S. Snapp von der Michigan State University, sei aus Malawi zu vermelden. Snapp lobte die „grüne Revolution“ Malawis, die der dortige Präsident nach einer Dürrekatastrophe vor zehn Jahren ausgerufen hat. Sie sieht auch den Anbau von Leguminosen wie Bohnen oder Erbsen als Zwischenfrucht vor, die dem Boden auf natürliche Weise Stickstoff zuführen. Malawi ist mittlerweile Getreideexporteur – aber das vorbildliche Land sei im globalen Kontext doch ein „Tropfen auf dem heißen Stein“, hieß es bei der AAAS-Tagung allenthalben. Auch in Deutschland waren Leguminosen früher als Zwischenfrucht bekannt, sind heute aber aus dem Blick geraten – kaum ein Saatgutproduzent führe sie noch im Sortiment, klagten kürzlich Experten des Thünen-Instituts in Braunschweig.

So gespalten wie regionale Märkte, so sind die Wahrnehmungen: Einhellig sind US-Experten wie Peter Thorne vom unabhängigen Forschungsinstitut Livestock Research Institute in Addis Abeba der Meinung, dass der Begriff der nachhaltigen Landwirtschaft nicht auf Umweltaspekte beschränkt werden dürfe, sondern um soziale, ökonomische und humanitäre Komponenten ergänzt werden müsse. Dahinter verstecken sich Inhalte wie Produktivität, Profit, Gesundheit, Frauenrechte. Umfragen im äthiopischen Hochland haben ergeben, dass die Bauern von einer nachhaltigen Bewirtschaftung eine Ertragssteigerung erwarten, die ihren Lebensstandard verbessert und ihren Kindern eine Schulbildung bringt. Äthiopien und Silicon Valley – die Welt ist noch lange nicht eins.

Die AAAS – eine Lobby für die Wissenschaft

Zur besten Sendezeit ließ der US-Fernsehsender Fox einen besorgten Berufspendler zu Wort kommen, der sich wegen der Maserngefahr in Bussen und Bahnen Sorgen machte: Es sei doch so, dass Leute nach Auslandsreisen „Ebola und Masern“ mitbrächten. Das blieb unwidersprochen. Auf der Jahrestagung der Amerikanischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (AAAS) dieser Tage im kalifornischen San José brachten solche Aussagen nur Stirnrunzeln hervor.

Die 1854 gegründete AAAS, die auch das Wissenschaftsmagazin „Science“ herausgibt, will die Kluft zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit schließen. Und was die Masern anbelangt, so wies die Wissenschaftsjournalistin Lisa Krieger daraufhin, dass einige US-amerikanische Schulen bei Masern eine Impfquote von gerade einmal 15 Prozent aufwiesen.

Die AAAS versucht nicht nur, die breite Öffentlichkeit zu erreichen, sondern auch die Entscheidungsträger in der Politik. Sie erwägt sogar eine Kampagne, Wissenschaftler für eine politische Karriere zu begeistern. Rund 4000 Wissenschaftler, 700 Journalisten und 2500 interessierte und zahlende Gäste kamen zu ihrer Tagung. Damit habe man die Besucherzahlen der Vorjahre gehalten, berichtete Tiffany Lohwater von der AAAS. Und man liegt über den Besucherzahlen des als europäisches Gegengewicht angelegten Euroscience Open Forum, das alle zwei Jahre tagt – das nächste Mal 2016 in Manchester – und mit dem die AAAS laut Lohwater in einem guten Verhältnis steht: Man tausche sich aus.