Welches Verhältnis haben Bauern zu ihren Tieren? Wie hat sich in den vergangenen Jahrzehnten das landwirtschaftliche Selbstverständnis verändert? Ein Viehmäster aus dem Hohenlohischen erzählt.

Reportage: Robin Szuttor (szu)

Blaufelden - Landwirten wird nicht unbedingt ein herzlicher Umgang mit ihren Tieren nachgesagt. Und wenn von kleinbäuerlicher Idylle die Rede ist, dann meist, um sie gegen die industrielle Massentierhaltung auszuspielen. Die wenigsten, die sich darüber auslassen, dürften aber je eine Kuh gemolken oder ein Kalb mit Seilen aus dem Mutterleib gezogen haben. Wie sieht die Wirklichkeit auf den Höfen aus? Die Autorin Ulrike Siegel lässt in einem Buch Bauern aus verschiedensten Zweigen zu Wort kommen. Einer von ihnen ist Rainer Hofmann, Jahrgang 1959, aus Blaufelden:

 

Es waren schon raue Burschen, die sich da in meiner Kindheit als Hausmetzger im Herbst und Winter durch die hohenlohischen Bauernhöfe schlachteten. Sie kamen vor Tagesanbruch und übernahmen wie selbstverständlich das Kommando. Der Schlachtkessel war angeheizt, und selbst der Altbauer musste gehorchen. Da standen sie in Gummistiefeln, rot gestreifter Metzgersbluse, langem weißen Plastikschurz und umgehängtem Messerköcher an zugigen Scheunenecken neben der Miste und warteten auf ihr Opfer. In der einen Hand ein riesiges Messer, in der anderen den Bolzenschussapparat. Dann kam die Sau.

Eine Sau, die in der Regel Gustav oder Willi hieß und das letzte halbe Jahr von uns gefüttert und gekrault worden war. Sie kam nicht freiwillig. Rückwärts, laut schreiend, wurde sie, den Kopf in einem Kartoffelkorb, aus dem Stall geschoben und mit dem rechten Hinterbein an einen Pfosten gebunden. Wir Kinder standen mit einer Mischung aus Neugierde und Grausen in respektvollem Abstand zum Geschehen. Aber so leicht machte es uns der raubeinige Geselle nicht. „Auf, her do, Schwenzle heiwa“. Und so mussten wir dem Schwein den Schwanz halten, während er es schoss. Damit war die Prozedur für uns aber nicht vorbei. Die Sau war ja nur betäubt und zappelte wie wild. Sie musste ausbluten. Hierzu kniete sich der Metzger kräftig auf ihre Schulter und stach in die Halsschlagader. Er hielt eine Schüssel darunter und fing das Blut für die Wurst auf. War das Gefäß voll, hielt er mit einer Hand die Ader zu und schüttete das Blut in einen Eimer. „Auf, her do, Blut rühra!“ Und so mussten wir mit einem Holzlöffel das Blut rühren, damit es nicht gerann. Das spritzte natürlich, und man hatte die ganze Rührhand voll Schweineblut. Dann wurde das Schwein aufgehängt und der Bauch aufgeschnitten. Was da alles drin war.

Überall Dampf und der Geruch von warmem Fett, dazwischen ein fremder, herrischer Mann, der sich von Marmorkuchen und Schnaps zu ernähren schien. Er war ein Handwerker, der wie ein Bäcker aus Mehl Brot eben aus Schweinen Wurst machte. Es wurde Speck geschnitten, Fleisch durch den Wolf gedreht, Kotelett gehackt, Schmalz ausgelassen. So lernten wir als Kinder, wie aus einem Lebewesen ein Nahrungsmittel wurde. Es war kein anonymes Sterben.

Wir lebten mit Nutztieren, deren Lebenszweck es war, Milch zu geben, Eier zu legen, Wägen zu ziehen oder als Essen zu dienen. Wir lebten zwischen Hühnern, denen man auf einem Hackstock mit einem Beil den Kopf abschlug und sie dann zum Ausbluten auf die Wiese hinterm Haus entließ, zwischen Karnickeln, denen man den Prügel ins Genick schlug und das Fell über die Ohren zog, und Tauben, denen man einfach nur den Hals umdrehte. Sie standen dann am Sonntag zwischen Knödeln und Kartoffelsalat auf dem Mittagstisch. „Komm, Herr Jesu, sei unser Gast, und segne alles, was du uns bescheret hast.“ Wir wurden mit unseren Tieren groß. Zwischen Geburten, Wachsen und Gedeihen, aber auch zwischen Schwergeburten, Krankheiten und manchmal elendem Zugrundegehen.

Ende der Neunziger entstand ein neuer Leitgedanke in der Landwirtschaft. Die Regionalität kam zurück in die Küchen. Die Erzeuger wollten sich abheben von der großen Menge der anonymen Lebensmittelströme und einen besseren Preis erzielen. Der Konsument hatte Sehnsucht nach hochwertigen Nahrungsmitteln. Er wollte artgerechte Haltung und ein gutes Gefühl beim Essen. Das Schwäbisch-Hällische Schwein wurde zum Inbegriff dieser Gegenbewegung. Der Grünenpolitiker und Hohenloher Pfarrerssohn Rezzo Schlauch und der Sternekoch Manfred Kurz vom Hirschen in Blaufelden schreiben ein Kochbuch: „Die neue Ess-Klasse“, Gerichte aus nachvollziehbarer regionaler Produktion, Hand in Hand mit Landschaft und Menschen. Auf so einer Buchpräsentation sprach mich Manfred Kurz an, ob wir nicht bereit wären, für ihn Limpurger Weideochsen zu halten und das „Bœuf de Hohenlohe“ zu erzeugen. Er versprach, dieses Rindfleisch auf die Karte zu nehmen und mit seinen Gästen zu uns zu kommen. Er wollte zeigen, dass es den Tieren gut ging und wir anständige Leute sind. Danach sollten sie in seinem Sternerestaurant seine Gerichte probieren und sich gut fühlen.

So kamen wir zu der neuen alten Rinderrasse Limpurger. Alles klappte, nur die Betriebsbesuche der Gäste verliefen anders als geplant. Völlig unvorbereitete Menschen trafen auf wunderschöne Tiere, die voll Vertrauen herkamen und sich kraulen ließen. Auf Kälber, die ihnen mit großen, dunklen Augen in die Seele schauten. Nein, so was konnten und wollten sie nicht essen. Wir machten daraufhin die Besichtigung unserer Tiere aus 300 Meter Abstand. Dann ging’s besser.

Eines Tages erreichte uns ein Anruf: Regionale Sterneköche wollten sich auf der Wiese inmitten von Limpurger Weideochsen für ein Feinschmecker-Magazin präsentieren. Dienstag, fünfzehn Uhr, bitte alles vorbereiten! Und dann trafen sie ein: Otto Geisel vom Victoria in Bad Mergentheim und Manfred Kurz vom Hirschen in Blaufelden. Sie trugen Kochkleidung, zeigten sich ganz „Maître de Cuisine“ und machten sich auf den Weg zur Weide. Die Fotografen suchten einen Platz aus. Wir präparierten ihn mit Salz und Kraftfutter, damit die Ochsen auch kamen und blieben. Da standen sie nun, zwei Meister ihres Faches, inmitten ihrer Fleischlieferanten und sprachen über deren Zubereitung. Es war sonniges Wetter, und es wurden tolle Bilder. Sie erschienen im „Stern“, das war der richtige Abstand. Einmal durch einen Fotoapparat und eine Druckerpresse gefiltert, entsteht für den Verbraucher die richtige Distanz zu den Tieren, die er isst.

Unser Hof liegt in einem Teilort von Blaufelden auf der Hohenloher Ebene zwischen Jagst und Tauber. Er wurde 1962 als klassischer Gemischtbetrieb 250 Meter vom Mutterort Wittenweiler entfernt ausgesiedelt. Mein Großvater war ein Viehzüchter vor dem Herrn. Er war lieber im Stall als im Haus und beschickte die umliegenden Zuchtviehmärkte mit Bullen und Kühen. Kein sonntäglicher Besuch kam um einen Gang in den Stall herum. Meinen Eltern dagegen ist die Tierhaltung immer etwas schwergefallen. Aber sie hatten keine Alternative. Und ich war der Älteste von sechs Kindern und wurde Bauer – man brauchte eine Arbeitskraft.

Die Landwirtschaft zeigte Vorbilder

Als ich in den Siebzigern meine Landwirtslehre begann, kam die Tierproduktion gerade richtig in Gang. Neue bunte Agrarmagazine erschienen auf dem Markt. Unglaublich erfolgreiche Betriebe wurden vorgestellt. Ein Ehemann hielt 500 Sauen, seine Familie betrieb einen Partyservice am Wochenende und war ehrenamtlich engagiert. Souveräne Chefs großer Ackerbaubetriebe zeigten modernste Maschinenparks. Ein fröhlicher Mensch stand mit Gummistiefeln inmitten seiner hundertköpfigen Herde, während die Ehefrau als Studienrätin im städtischen Gymnasium unterrichtete. Die Landwirtschaft zeigte Vorbilder.

Nach der Gesundheit von Mensch und Tier fragte man selten. Und so kam es zunehmend zu Überforderungszuständen bei Betriebsleitern und ihren Familien. Zuerst versuchte man mit Maschinenringen, Zeitmanagementseminaren und Fachtagungen vieles auszugleichen und aufzuholen. Trotzdem konnten viele Bauern dem Größenwettlauf nicht folgen. Der Begriff „Strukturwandel“ wurde erfunden. Die modernen Produktionsformen waren intensiv durchstrukturiert. Sie verlangten einen enormen körperlichen und psychischen Einsatz. Und vor allem verlangten sie eine distanzierte Einstellung zu den Tieren. Die Remontierung, also die ständige Erneuerung von produktionsfähigen Sauen oder Kühen, wurde zum wichtigen Fachbegriff. Das Einzeltier zählt nichts, es zählt das System.

Nach meinem Fachschulabschluss 1982 errichteten wir einen Abferkelstall und bauten den Viehstall um. 60 Sauen und 30 Milchkühe waren eine ordentliche Größe. Aber obwohl alles versucht wurde, war ich mit den biologischen Leistungen unserer Tiere nie so ganz zufrieden. Wir besuchten Kurse, lasen Fachmagazine, traten dem Beratungsdienst bei. Aber ich kam einfach nicht so richtig weiter. Immer hatte ich das Gefühl, die Tiere hatten uns und nicht wir die Tiere im Griff.

Anfang der Neunziger war die Zeit unserer ersten großen Zukunftspläne: Milchviehhaltung aufgeben, Sauen verdoppeln und die eben angefangene Saatgutvermehrung von Blumen, Kräutern und Gräsern ausweiten. Also zogen meine Frau und ich los, besichtigten so richtig große, gut geführte, erfolgreiche Sauenbetriebe. Tief beeindruckt saßen wir eines Morgens vor unserer Kaffeetasse und erkannten: Das können wir nicht! Unsere bäuerliche Sauenhaltung war von dieser Perfektion meilenweit entfernt. Unsere Persönlichkeiten passten nicht zu solchen Betriebsgrößen.

Wir weiteten die Saatgutvermehrung aus. Das war mein Ding. Schweinepest und Aujetzkysche Krankheit erschütterten die Tierhaltung. Es gab Keulungen und Totalsanierungen. Hier trennten sich vollends die Wege in der Landwirtschaft. Während die einen nicht wahrhaben wollten, was da geschah, sanierten die Profis ihre Bestände, ohne mit der Wimper zu zucken durch und ließen sich den Schaden von der Tierseuchenkasse erstatten. Während die einen noch ihren Tieren nachtrauerten, waren die Ställe der anderen schon wieder voll in der Produktion. Das war das Schlüsselerlebnis! Wir gaben die Sauen auf und gründeten 1994 mit einem Partner ein Vertriebsbüro für die von uns erzeugten Kräuter- und Grassamen. Unsere Kühe liefen als finanzielles Fundament nebenher, während das ganze Engagement in die Wildpflanzen floss. 14 Jahre führten wir die Firma zusammen, dann schlugen wir einen anderen Weg ein. Heute vermehren wir Gräser und Leguminosensaatgut, ernten und trocknen es, bereiten es auf und liefern palettenfertige Ware von mehr als 60 Arten an unsere frühere Firma.

Die Rinder geben den Lebensrhythmus vor

Mit Mitte fünfzig kam die nächste Entscheidung. Es war mir immer klar, dass die Kühe einmal gehen würden. Dann geschah es ganz schnell. Unser fest angestellter Mitarbeiter verließ uns im Januar 2013. Morgens hing ein Zettel an der Tür: „Es liegt nicht an euch, die Arbeit ist auf Dauer nichts für mich.“ Eine Entscheidung musste her. So wurde von diesem Zeitpunkt an keine Kuh mehr besamt. Es gab nach wie vor Geburten, Milch und Heumachen. Aber die Kühe wurden immer weniger. Als Ende Oktober die letzte Milchkuh den Stall verließ, waren noch das weibliche Jungvieh und die Limpurger Ochsen da.

Allmählich habe ich erkennen müssen, wie lang so ein Tag sein kann, wenn kein Tierarzt kommt und kein Klauenschneider, kein Melkmaschinenmonteur und kein Zuchtwart, kein Milchkontrolleur und kein Viehhändler. Ich muss keinen Klauenstand mehr holen und keine Kälber enthornen, keine Kanäle spülen und Kälberboxen ausmisten, keine Zitzengummis wechseln, und es gibt keine Kontrollen vom Veterinäramt. Es gibt keine nervlichen Belastungen durch festliegende Tiere, Schwergeburten und Fruchtbarkeitsprobleme.

Trotz der wirtschaftlich wichtigeren Saatgutvermehrung haben die Kühe unseren Rhythmus bestimmt. Sie haben mit großer Selbstverständlichkeit immer dann gekalbt, wenn wir auf einen Tanzkursabschlussball wollten. Wenn man wiederkam, hatte bestimmt eine die Kette abgerissen und die Kraftfutterkarre leergefressen. Wenn, dann waren es die Weihnachtstage oder der Neujahrsmorgen, an dem wir kein Vakuum auf der Melkmaschine hatten. Man lebte zwischen Milchquote und Milchkontrollbericht, zwischen Schlachtviehabrechnungen und Milchpreis. Die Kühe waren morgens unser Erstes und abends unser Letztes. Das ist vorbei. Nur eins fehlt mir heute. Früher konnten wir bei sonntäglichen Verwandtschaftsbesuchen so gegen halb fünf immer unruhig auf dem Stuhl herumrutschen und uns dann, unter großem Bedauern der übrigen Anwesenden, verabschieden, um nach den Kühen zu sehen. Heute muss ich bis zum Ende bleiben.

Ich kann durchaus mit moderner Tierhaltung leben. Ich weiß, dass es Milchkühen in modernen Ställen besser geht als den Kühen in unserem Anbindestall. Auch ist die Sauenhaltung auf einem ganz anderen Tierschutzniveau als vor Jahren. Schwer tue ich mich mit dem großtechnischen Mästen von Schweinen und Geflügel, dem Transport und der Schlachtung. Das ist eine eigene industrielle Welt, in der Tiere Material sind. Die undurchschaubaren Strukturen bei den Schlachthöfen und dem internationalen Fleischhandel waren mir schon immer unheimlich. In Deutschland werden im Jahr 56 Millionen Schweine geschlachtet und in Teilen über die ganze Welt verteilt. Die edleren Teile bleiben in Europa, die fetteren Stücke werden nach Osteuropa exportiert. Für den asiatischen Raum gibt es in den Schlachthöfen die „chen–Abteilungen“: Öhrchen, Näschen, Beinchen, Schwänzchen.

Wir haben auf unserem Hof noch 15 Limpurger Rinder für die Selbstvermarktung, Pommerngänse, die Ziegen und Hasen unserer Tochter und zwei Esel. Alle Tiere, außer den Eseln, werden geschlachtet und gegessen. Wenn ich heute einen Limpurger Ochsen zum Metzger bringe, haben wir eine Einrichtung, um ihn ordentlich zu verladen, der Transportweg beträgt fünf Kilometer. Der Metzger ist ein guter Handwerker, der zuerst mit ihm spricht und einen guten Bolzenschuss setzt. Wenn das Tier dann liegt und der Kopf weg ist, ist es Fleisch. Metzger sind einfach andere Typen als Herrenschneider. Das habe ich gelernt.