Es wird ja gern verbreitet, Stuttgart sei ein Dorf. Schon wahr, Rindviecher und Grasdackel gibt’s auch hier, doch so richtig Landluft können wir nur noch alle vier Jahre schnuppern. Dann wird das Landwirtschaftliche Hauptfest gefeiert, ein Besuch beim größten Bauernhof des Landes.

So viel Liebe sind die Bauern gar nicht gewohnt. Was haben sie nicht alles auszuhalten an Kritik, sie killen angeblich die Bienen und Schmetterlinge, überhaupt quälen sie Tiere, ihr Dünger versaue das Grundwasser, eigentlich brauche man sie gar nicht mehr. Doch plötzlich ist man froh um sie, dass sie im Lande Weizen und Gerste produzieren; plötzlich braucht man sie.

 

Schnitzel? Hier sieht man das ganze Schwein

Für den Städter ist der Bauer ja meist ein fremdes Wesen, er kennt das Fleisch nur in Zellophan verpackt, nicht wenn es noch muht und mäht. Doch noch bis Montag sind die Bauern zu Tausenden auf dem Wasen, wandern durch die Zelte und Hallen auf dem Landwirtschaftlichen Hauptfest und machen dem Städter klar, dass das, was dieser für Schwäbisch hält, ein schwach gefärbtes Hochdeutsch ist: „Landwirtschaft erleben“, wie das Motto des Hauptfests lautet – erlebt mal wieder richtigen Dialekt.

Wenn der Trecker zu schnell ist

Der Stuttgarter neigt ja zu bürgerlicher Arroganz, gerade wenn jemand anderer schwäbelt. Weil die Besucher gerne noch ihre Arbeitskluft tragen, könnte man sie leicht unterschätzen. Doch das ändert sich schnell, steht man vor dem Fendt 728 Vario Gen7 mit seinen 303 PS. Befeuert vom Stoßseufzer: „Ich hätt’ so gern’ nen großen Fendt, doch Papa fährt Schlepper, die keiner kennt!“, klettert man hinein. Doch ob man den fahren könnte? Da gilt der alte Spruch: „Sind die Hühner platt wie Teller, war der Trecker wieder schneller.“ Es gibt übrigens einen Kurs „Traktorfahren für jedermann“ auf dem Maschinenvorführgelände. Wie zu hören ist, sind etliche der Treckerfahrer gestandene Landwirte, die mal eine andere Marke fahren wollen, ohne dass der Nachbar es sieht.

Wie im Raumschiff

Völlig verloren ist man in einem dieser nagelneuen Mähdrescher. Haushoch, und es sieht drin aus wie in der Kommandozentrale der Enterprise. Nicht mal Captain Kirk würde sich zurechtfinden. Völlig hilflos steht unsereins da, wenn der Verkäufer für Landtechnik von den „Restkornabscheidung“, dem „Schnecken-Schneidwerk“ und dem „Einzelkornsägerät“ erzählt und drum herum alle wissend nicken. Nicht nur Fachchinesisch, auch Englisch sollte können, wer seinen Fuhrpark aufrüsten will, denn „So geht precision farming“, verkündet die Werbung.

Romantik auf dem Lande?

Klar, wenn Buben Maschinen sehen, dürfen Leistungsdaten nicht fehlen. Landwirtschaft ist nichts für Menschen mit Rechenschwäche. Die neue Quaderballenpresse hat „eine einzigartigen Presskraft von 760 kN Pressdichten von bis zu 245 kg/m³ im Stroh“, und der Traubenernter kann pro Stunde knapp 25 Tonnen entrappte Trauben ernten, der Häcksler schafft mit seinen 100 PS unglaubliche 3000 Tonnen Mais die Stunde. So ein Häcksler kostet übrigens so viel wie eine Eigentumswohnung in Stuttgart.

Wer meint, dies macht vor Tieren halt, der überschätzt die Romantik auf dem Lande. An den Boxen, in denen sich das Braunvieh rekelt, hängt ein Schild: „Neben einer guten Milchleistung (6000 kg Milch mit 3,6 Prozent Fett und 3,5 Prozent Eiweiß) ist der Bemuskelung die größte Aufmerksamkeit zu schenken.“ Oder lieber Fleckvieh? Dann ließe sich Sperma von Weissensee kaufen, der Bulle hat 1203 Töchter, die „vor allem in den Eutern und der Eutergesundheit bestechen“. Und sie geben 9068 Liter Milch im Jahr.

Wellness für die Kuh

Einen vollautomatischen Stall kann man gleich dazu erwerben. Füttern, putzen, all das erledigt der Roboter. Wellness gibt es dazu, die Kühe können sich bürsten lassen. Es muss effizient zugehen in der Landwirtschaft, wir wollen schließlich nicht viel zahlen für Gemüse, Obst und Fleisch. Effizienter als Nolana-Schaf geht gar nicht, das frisst allein – und man hat ihm die Wolle weggezüchtet, man muss es nicht mehr scheren.

Auch so sind Landwirte ausgelastet. Mit 50 Wochenstunden sind sie die Berufsgruppe, die am meisten arbeitet. So ist es kein Wunder, dass auf dem LWH auch koreanische Handakupunktur angeboten wird.