Cineastische Untote, Gottesbilder, stille Konzerte: Mit Shuttlebussen, per Bahn oder zu Fuß pendelten die Besucher zwischen den mehr als achtzig teilnehmenden Museen, Galerien und anderen Ausstellugsorten.
Stuttgart - Frankenstein huscht über den Vorplatz am Haus der Geschichte. Dicht gefolgt von anderen cineastischen Untoten, einst erschaffen vom schwäbischen Hollywood-Produzenten Carl Laemmle und in dieser Langen Nacht der Museen wieder auferstanden. Die Kassen haben gerade eröffnet. Auch wenn es noch ruhig zugeht, lässt der immer größer werdende Besucherandrang am Haus der Geschichte erahnen, dass viele das milde Frühlingswetter genutzt haben, um mit Shuttlebussen, per Bahn oder zu Fuß zwischen den mehr als achtzig teilnehmenden Museen, Galerien und Institutionen zu pendeln. Die Lange Nacht der Museen wurde in diesem Jahr zum 20. Mal vom Stadtmagazin Lift organisiert.
Glücklich diejenigen, die sich früh zu einem der Blockbuster des Abends aufgemacht haben. Punkt 19 Uhr beginnt im Haus der Geschichte eine erste noch überschaubare Gruppe ihre Führung durch die Sonderausstellung „Carl Laemmle presents – Ein jüdischer Schwabe erfindet Hollywood“. Kunstvermittler Michael Schoberth leitet durch die Räume im Untergeschoss und führt ein in die Geschichte des als Karl Lämmle im oberschwäbischen Laupheim geborenen Hollywood-Patriarchen. 1884 als 17-Jähriger in die USA ausgewandert, hat er mit seiner Studiostadt Universal City in Los Angeles die Traumfabrik erfunden und mit Filmen wie „Dracula“, „Die Mumie“ oder „Frankenstein“ das Horrorfilm-Genre entwickelt. Von seinem Leben und Werk zeugen Filmausschnitte, Plakate und Requisiten.
Vor den Besuchermagneten bilden sich Schlangen
Rund 26 000 Menschen strömen insgesamt durch die Straßen der Stadt. Angesichts des Angebots der Langen Nacht der Museen stört es die meisten nicht, dass ein beliebter Programmpunkt abgesagt werden musste: Das Rollende Museum des Württembergischen Automobilclubs (WAC), das für gewöhnlich Besucher in Oldtimern vom Schlossplatz ins Mercedes-Benz Museum und ins Porsche Museum bringt. Aufgrund des Feinstaubalarms haben sich Veranstalter und WAC dazu entschlossen, die Fahrzeuge in der Garage zu lassen.
An Besuchermagneten hat es auch so nicht gemangelt: Zu den größten zählt nicht nur das Haus der Geschichte sondern auch die Ausstellung „Körperwelten“, der Hafen, das Mercedes-Benz Museum, das Planetarium und die Schwaben-Ausstellung im Landesmuseum, auch wenn die Schlange vor den Toren anderes vermuten lässt. „Drinnen werden sie noch einmal anderthalb Stunden warten müssen“, sagt ein Ordner. Einige machen daraufhin kehrt, blättern in ihren Programmheften und planen um.
Anderen ist das herzlich egal – wie Tobias Michael Quandt und seiner Ehefrau Rita. Eben warteten sie anderthalb Stunden am Bunker am Marktplatz, nun stehen sie in der Schlange am Neuen Schloss – vermutlich noch einmal ebenso lange. Weshalb? „Wir stehen einfach sehr gerne an“, sagen sie und lachen. Tatsächlich sind sie aus dem Remstal nach Stuttgart gekommen, um die Orte zu besuchen, die dem Publikumsverkehr sonst verschlossen sind. „Für uns lohnt es sich, die Zeit zu investieren. Museen können wir uns immer anschauen“, sagt Rita Quandt.
Möglichst viel Kunst und Kultur in kurzer Zeit
Andere nutzen die Nacht, um in kurzer Zeit möglichst viel Kunst und Kultur aufschnappen. „Ich habe meinen ganzen Plan schon umgeworfen“, sagt Carina Breisch, Studentin der Kunstgeschichte an der Universität Stuttgart. Sie ist als eine der sogenannten Cicerones im Kunstmuseum unterwegs und spricht mit interessierten Besuchern über die Kunstwerke. Statt wie geplant einen umfassenden Einblick zu geben, hat sie die Informationen im Laufe des Abends komprimiert. Jetzt gibt es nur noch die wichtigsten Fakten, die Menschen sind auf dem Sprung, die nächsten Punkte auf dem Kulturfahrplan durch die Nacht warten darauf, abgehakt zu werden. Das Kunstmuseum hat in dieser Nacht Charme, im vorderen Bereich sitzen die Menschen an der Bar, nebenan spielt die Band Von Welt eines ihrer stillen Konzerte – lediglich dumpfes Schlagen und der Gesang ist zu vernehmen, erst mit Kopfhörern entfaltet sich die Musik.
Abseits der großen Häuser geht es deutlich gemütlicher zu. Die Ebene 0 ist zum ersten Mal Teil der Langen Nacht der Museen. Durch ihre Lage im Züblin Parkhaus ist die winzige Galerie für viele Besucher Ausgangspunkt in dieser Nacht. An den Wänden hängen Zeichnungen des Künstlers Tavon Barz, es sind Comics, die Gottesbilder zeigen und diesen ziemlich aufs Korn nehmen. „Die Leute lachen, ich glaube, ihnen gefällt es“, sagt Julia Pfeiffer vom Verein Ebene 0. Ihr Kollege Jan Diez sorgt für die passende Hintergrundmusik. In der Ifa-Galerie führt Valerie Hammerbacher durch die Ausstellung „Mit anderen Augen“ mit Fotografien des äthiopischen Fotografen Johannes Haile, der im Auftrag der Deutschen Botschaft in Ätiopien Bilder aus dem Nachkriegsdeutschland gemacht hat. Wie in den meisten Kulturorten drängt sich auch hier ein gemischtes Publikum durch die Gänge. „Heute haben wir hier ein ganz junges, interessiertes Publikum“, freut sich Hammerbacher. Die Lange Nacht der Museen bietet vielen die Gelegenheit, Orte in der Stadt zu entdecken, an denen sie sonst vorbeigehen.